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Flüchtlingsarbeit in Ungarn: Fördergelder in Millionenhöhe fallen weg
Reformierte Kirche in Ungarn bittet europäische Partner um Unterstützung
Ein bisschen wirkt es wie Trutzburg, hier, mitten im Zentrum von Budapest: das Gemeindezentrum der Flüchtlingsorganisation „Kalunba“. Seit mehreren Jahren betreibt die Reformierte Kirche Ungarn hier Integrationsprojekte: Sprachkurse, Wohnprojekte, Alltagshilfen. Vor kurzem kamen die schlechten Nachrichten: Zum ersten Juli 2018 ist ein Großteil des Hilfsprogramms weggebrochen.
Weite Teile der Arbeit wurden bisher finanziert über EU-Fördermittel aus dem sogenannten AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfond). Noch im Dezember 2017 fand eine reguläre öffentliche Ausschreibung der Mittel in Ungarn statt. Bis die Nachricht kursierte, dass angeblich innerhalb von einem Jahr 1300 neue Flüchtlinge „heimlich“ im Land Schutz gefunden hatten. Kurz darauf zog die ungarische Regierung die Ausschreibung zurück. Seit Juli 2018 besteht deshalb in der Flüchtlingsarbeit der Reformierten Kirche in Ungarn eine enorme Finanzierungslücke: Es geht um Fördermittel von insgesamt über eine Million Euro.
Die Reformierte Kirche in Ungarn wendet sich darum in diesen Tagen mit einem Hilferuf an ihre europäischen Partner: „Es ist die unausweichliche Pflicht unserer Kirche, Menschen in Not zu helfen.“ Balázs Ódor, Leiter der Ökumeneabteilung der Reformierten Kirche in Ungarn, forderte eine europaweite Zusammenarbeit der Kirchen. „In Europa gibt es keine Flüchtlingskrise - sondern eine Solidaritätskrise“, sagte Ódor im Interview mit reformiert-info.de. „Aufgabe der Kirchen ist es eine klare gemeinsame Stimme zu finden.“
Bis Ende Juni 2018 liefen bei Kalunba sechs AMIF-finanzierte Integrationsprojekte: Dazu gehörten mehrere Sprach- und Schulungsprojekte. 240 Migranten erhielten Hilfe zur Verbesserung ihrer ungarischen Sprachkenntnisse. Dazu kamen Übersetzer-Trainings, mit dem Ziel die Abläufe in der Asylantragsstellung zu verbessern. Rund 200 Flüchtlinge fanden in Mietwohnungen Unterkunft. Zum ersten Juli 2018 lief ein Großteil dieser Projekte aus - und damit Fördermittel von insgesamt 1,1 Million Euro.
Seit Juli musste der Sprachunterricht bei Kalunba in weiten Teilen entfallen. Manche Flüchtlinge mussten bereits ihre Wohnungen verlassen. Andere haben inzwischen einen Job gefunden und können selbst ihre Unterbringung finanzieren. „Vielen Vermietern fehlt es aber an Vertrauen, sie geben ihre Wohnungen nur ungern an Flüchtlinge“, sagt Dóra Kanizsai, Leiterin der Organisation Kalunba in unserem Interview. „Dann müssen wir Überzeugungsarbeit leisten und finanzielle Sicherheiten garantieren.“
Einige Flüchtlingen wollen deshalb nach Westeuropa zu ziehen. „Eigentlich kennen wir viele, die hier Fuß gefasst haben und die wir überreden hier in Ungarn zu bleiben“, sagt Kanizsai. „Die angespannte Stimmung bekommen sie aber natürlich mit, das motiviert nicht jeden.“ Die Aufrechterhaltung des Gemeinschaftszentrums habe deshalb auch symbolische Bedeutung. „Es zeigt: Wir werden weitermachen“, sagt Kanizsai.
Die Bedingungen für Flüchtlingshilfe aber haben sich in den vergangenen Jahren in Ungarn zunehmend erschwert. „Seit den Anschlägen von Paris 2015 wird die Flüchtlingshilfe in Ungarn immer weiter behindert“, sagt Kanizsai. Asylbewerber, die ins Land gelangen, werden in sogenannten „Transitzonen“ unmittelbar an der Grenze zu Serbien festgehalten. Das Erasmusprojekt für Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, bei dem die Reformierte Kirche in Ungarn Projektpartner ist, hat gezeigt, dass nur manchmal Ehrenamtliche in diesem Lager helfen dürfen. Mit einer breit angelegten Plakatkampagne („Stop Soros“) prangerte die ungarische Regierung noch im Februar 2018 US-Milliardär George Soros für zivilgesellschaftliches Engagement an. Als Folge der ungarischen Politik wurden an den Türen von einigen NGOs Plaketten angebracht, mit der Aufschrift „Diese Einrichtung fördert Einwanderung“. Es sind migrationskritische Label, die Integrationsarbeit für Passanten gut sichtbar markieren und zugleich diffamieren.
„Wenn ich das Leuten hier in Deutschland erzähle, dann trifft das einen Nerv“, sagt Martina Wasserloos-Strunk, Präsidentin des europäischen Gebiets der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen (WCRC-E) und Mitglied des Moderamens des Reformierten Bundes. Flüchtlingshilfe wird zunehmend stigmatisiert, Arbeitsabläufe erschwert. Nichtregierungsorganisationen sind in Ungarn inzwischen verpflichtet, sich bei Gericht zu registrieren, wenn sie Geld aus dem Ausland bekommen. Im Juni 2018 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetzespaket, das die Strafverfolgung von Flüchtlingshelfern ermöglicht. „Die Flüchtlingsarbeit in Ungarn wird massiv unter Druck gesetzt und systematisch erschwert“, sagt Wasserloos-Strunk. „Unter diesen Umständen muss man erstaunt sein, dass es überhaupt noch ehrenamtliche Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe gibt.“
Auch Kalunba verfügt über mehrere freiwillige Helfer. Noch bis Ende Juni konnte die Organisation außerdem 18 Mitarbeiter bezahlen. Die Hälfte musste gehen. Ob Hilfe bei Bewerbungen, Behördengängen: „Wir versuchen gerade die komplexen Prozesse irgendwie mit dem reduzierten Personal weiter umzusetzen“, sagt Kanizsai.
Bereits im Mai 2018 wandte sich die Reformierte Kirche in Ungarn an ihre Partner in Deutschland und der Schweiz. Laut Kanizsai habe es viele positive Rückmeldungen gegeben. Das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) ermutigte die RKU, an der Stellungnahme zur Flüchtlingspolitik von 2015 festzuhalten. Die RKU steht derzeit in Verhandlungen mit ihren Partnern zu Sonderzuschüssen. Im Gespräch sind außerdem Kredite in Höhe von 50.-60.000 Euro. Ziel sei laut RKU ein vorläufiges halbjähriges Budget von 120.000 Euro, um zumindest Teile des Integrationsangebots finanziell abzusichern.
Balázs Ódor forderte außerdem eine gemeinsame europäische Stimme der Kirchen: „Wir sehen, wie die Niederlassung von Geflüchteten in Europa immer wieder innenpolitisch instrumentalisiert wird. Zur Begründung berufen sich einige Politiker auf vermeintlich christliche Werte“, sagte Ódor im Interview. „Das biblische Gebot der Solidarität und Nächstenliebe aber kennt keine Grenzen, ist voraussetzungslos und bezieht sich auf jeden Menschen.“
Kollektenempfehlung: Flüchtlingsarbeit in Ungarn
Die Menschen, die sich in Ungarn für Flüchtlinge einsetzen, brauchen unsere Solidarität. Als Kollekte empfehlen wir Ihnen die Projekte der Kalunba Non-Profit GmbH in Budapest, der diakonischen Hilfsorganisation der Flüchtlingsarbeit der Reformierten Kirche in Ungarn. Der Reformierte Bund hat dazu ein Spendenkonto eingerichtet. Mehr dazu erfahren Sie hier.
Mit Blick auf die aktuelle europäische Flüchtlingspolitik hatte es in den vergangenen Wochen immer wieder Kritik von Vertretern Reformierter Kirchen gegeben. So forderte Chris Ferguson, Generalsekretär der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WCRC), in diesen Tagen aktive Friedensarbeit: „Der Psalm 34, 15 erinnert uns daran, dass unser Engagement aus einer aktiven Vorwärtsbewegung besteht, vor allem aus dem Bemühen, nach Frieden zu suchen und zu jagen.“ Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche Dietmar Arends kritisiert die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels als „menschenrechtlich sehr bedenklich“. „Die Europäische Union sollte den Friedensnobelpreis zurückgeben“, forderte Präses Manfred Rekowski.
Auch Martin Engels, Moderator des Reformierten Bundes, sprach sich für Solidarität aus: „Kein Mensch ist egal. Die Unterstützung unserer Brüder und Schwestern in Ungarn ist ein Gebot der Geschwisterlichkeit und zugleich ein politisches Signal, dass Hilfe für Menschen in Not nicht kriminalisiert werden darf“, sagte Engels. „Wer glaubt, der übernimmt Verantwortung. Wenn Christus Versöhner der ganzen Welt ist, kann die Kirche sich mit nationalen Verengungen nicht abfinden.“ Der Reformierte Bund hat aus diesem Anlass ein Spendenkonto eingerichtet. Die Spenden gehen an die Flüchtlingshilfe der Hilfsorganisation „Kalunba“.
Insgesamt sei das Echo auf die aktuelle Flüchtlingspolitik auch in Deutschland laut Wasserloos-Strunk noch „überraschend still“. „Wir erleben, wie plötzlich Werte diskutiert werden, die wir glaubten längst in trockenen Tüchern zu haben. Wie Menschenrechte und Asylrechte plötzlich grundsätzlich hinterfragt werden“, sagt Wasserloos-Strunk. „Ungarn ist ein Brennglas. Wie auch in anderen Teilen Europas erleben wir hier rechte Tendenzen – und sehen, wo es hingehen kann.“
Isabel Metzger
Seit die ungarische Regierung im Sommer 2018 die Ausschreibung von EU-Fördermitteln zurückzog, ist die weitere Finanzierung des Integrationsprojekts "Kalunba" gefährdet. Im Interview spricht Mitbegründerin Dóra Kanizsai über den aktuellen Stand - und wo die Mittel am meisten fehlen.
Seit Jahren unterstützt die Reformierte Kirche in Ungarn mit der Organisation Kalunba Integrationsprojekte in der Flüchtlingsarbeit. Ein Großteil der Projekte wird finanziert über EU-Fördermittel aus dem sogenannten AMIF (Asyl-, Migrations- und Integrationsfond). Zum Juli 2018 ist ein Großteil der finanziellen Mittel weggebrochen. Es geht um Fördermittel in Millionenhöhe.
Ein tiefer Riss geht durch die Reformierte Kirche von Ungarn. Die Kirchenleitung sieht das Thema 'Flucht und Migration' durchaus kritisch. Die Menschen in den kirchennahen Hilfswerken dagegen und auch der gesamte Arbeitsbereich „Ökumene“ der Reformierten Kirche engagieren sich mit Liebe und Herzblut für die Menschen, die hier als Flüchtlinge ankommen.
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Allein 2018 ertranken bereits über 1000 Menschen auf dem Mittelmeer bei ihrer Flucht nach Europa. Die Grenzen Europas sind an vielen Stellen mit Zaun umgeben. Ein Gebet für Flüchtlinge und die Schwachen auf ihrer Suche nach Beistand.