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'Wir brauchen den Dialog dringender denn je'
Interview mit Chloe Clemmons
Frau Clemmons, in Ungarn werden Sie in einem Vortrag darüber sprechen, wie Kirche in Zeiten der Unsicherheit den Geist der Gemeinschaft stärken kann. Blicken wir aktuell zum Vereinigten Königreich, dann sieht das ganz und gar nicht nach Gemeinschaft aus. Was sind Ihre Eindrücke von Zusammenhalt im UK aktuell?
Das Problem ist, dass sich viele Menschen im Vereinigten Königreich gerade nicht vom Parlament repräsentiert fühlen. Es gibt eine Front, die für den Brexit ist – aber nicht so, wie er gerade vorangetrieben wird. Und es gibt eine andere Front, die komplett gegen den Brexit ist. Besonders in Schottland gibt es zahlreiche Gegner. Dazu erleben wir gerade ein Parlament ohne Plan. Die Menschen sehen nicht, wo es hingeht, sind deshalb gar nicht vorbereitet. Momentan gibt es wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Für die Kirchen ist das eine schwierige Situation.
Wie wirkt sich das auf die kirchliche Arbeit aus?
Gerade sind viele Menschen im UK verärgert. Wir erleben ein geteiltes Land. Die Menschen wissen nicht, wo sich das Vereinigte Königreich hin entwickeln wird. Manche kommen aus anderen EU-Staaten und leben hier erst seit ein paar Jahren. Sie wissen nicht, was mit ihnen weiter passiert. Wir spüren viel Unsicherheit, Kirchen versuchen deshalb mit gemeinsamen Unternehmungen wie Gemeindeessen diesen Fragen Raum zu geben und die Menschen zusammenzubringen.
Sehen Sie die Unternehmungen in den Gemeinden als Ruhepol oder auch als wirklichen Austausch politischer Gegner?
Wir hoffen natürlich auf einen Austausch. Als ein Land brauchen wir den Dialog dringender denn je. Dafür brauchen wir aber auch Orte, an denen wir miteinander sprechen können. Kirchengemeinden können dazu ein wichtiger Anlaufpunkt sein. Gerade aber ist auch gar nicht klar, was als nächstes passieren wird. Manche Menschen hoffen immer noch, dass der Brexit verhindert wird. Solange keine Entscheidung getroffen ist, könnte man sagen: Die Menschen wissen gar nicht, was sie fühlen sollen.
Gemeinschaft wird aktuell sehr stark unter dem Label „Brexit“ und damit politischen Gesichtspunkten gesehen. Ist das zu einseitig?
Ja, allerdings. Eigentlich hätten wir gerade genügend andere Aufgaben. Dringend notwendig wären zum Beispiel Neuerungen an unserem Sozial- und Gesundheitssystem. Soziale Themen müssten überhaupt viel mehr in den Fokus. Auf den Straßen rufen die Menschen nach einer neuen Klimapolitik. Aber das Parlament kümmert sich nicht darum. Die Menschen, die eigentlich dazu Politik machen sollten, scheinen nicht verfügbar zu sein.
Liegt das Problem dann im Parlament oder in der Gesellschaft?
Der Brexit ist aus meiner Sicht teilweise dadurch entstanden, dass das Parlament und die Bürger auseinanderdrifteten. Die Menschen fühlen sich oft nicht mehr verbunden mit ihren politischen Vertretern. Die Beteiligung an politischen Entscheidungen muss wieder gestärkt werden. Kirchen können den Prozess zumindest unterstützen.
Welche Bedeutung hat für Sie die Zusammenarbeit von Kirchen über die nationalen Grenzen hinaus?
Die Zusammenarbeit der Kirchen ist enorm wichtig. Der Brexit ist eine politische Entscheidung. Wir als Kirchen aber wollen unsere partnerschaftliche Arbeit in jedem Fall fortführen – egal ob und wie es zum Brexit kommt. Wir haben trotzdem gemeinsame Interessen. Dazu kommt, dass wir in Europa gerade in vielen anderen europäischen Ländern ähnliche Probleme haben und gesellschaftliche Spaltung ja nicht nur den UK betrifft. Ich denke da zum Beispiel an Einwanderungsdebatten. Hier sollten wir als Kirchen in jedem Fall über die Grenzen hinaus zusammenarbeiten.
Angenommen, es kommt, wie geplant, am 31. Oktober zum Brexit. Mit oder ohne Deal. Wie könnte die kirchliche Arbeit im UK weitergehen?
Ich weiß es nicht. Wenn es keinen wenn keinen Deal gibt, dann könnte es zu einer Krise kommen, angefangen mit der medizinischen Versorgung. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass eine Regierung das tun würde.
Und wenn es einen Deal gibt?
Dann wird es zumindest einfacher, die Konsequenzen zu sehen. Momentan sind die Leute auf den Brexit noch nicht vorbereitet. Wir wissen bislang nicht, welche Optionen es überhaupt gibt. Die Kirchen würden an diesem Prozess gerne teilnehmen und mit den Menschen ins Gespräch kommen. Momentan begegne ich vielen Leuten, die nicht mehr über das Thema Brexit sprechen wollen. Wenn wir mehr über die Zukunft wissen, können wir hoffentlich auch besser miteinander reden.
Das Interview führte Isabel Metzger