Aktuelles
Aus den Landeskirchen >>>
Aus den Gemeinden >>>
Aus dem Reformierten Bund >>>
Kolumne >>>
from... - die reformierte App
Newsletter
Wir auf Facebook
Wunder gibt es immer wieder
Anmerkungen zum Wunderbaren in Texten der Bibel und der kirchlichen Tradition
I. Über Wunder soll man sich wundern
"Wunder gibt es immer wieder" . Das war der Song von Katja Ebstein für den European Song Contest 1970. Es war eine bewegte Zeit: im Westen bewegt durch die Studenten, die in Massen auf die Straße gingen und von ihren Vätern Rechenschaft über deren Rolle in der Nazi-Zeit verlangten. Feste Positionen wurden angefragt, an Traditionen wurde gerüttelt. Diese Zeit der 68er hat die Bundesrepublik damals verändert: zum Guten wie zum Bedenklichen.
Im Osten blühte der Prager Frühling an den Ufern der Moldau. Es war der Traum eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz und es war die brutale Ernüchterung, als die Truppen des Warschauer Paktes in der CSSR einmarschierten und russische Panzer durch Prag rollten. Derweil zerbombten US-amerikanische Bomber das kleine Vietnam in Süd-Ost-Asien. Und die Bombardements nährten Zweifel an der demokratischen Haltung der amerikanischen Regierung.
Hoffnung und Enttäuschung lagen dicht beieinander. In solcher Zeit singt Katja Ebstein ihr Lied von den Wundern. Sie besingt das Nicht-Erwartete, das Unvorhersehbare. Und sie bringt es auf den Punkt, indem sie die Liebe als Wunder besingt. Es gibt sie. Sie wird Ereignis hier und jetzt, man muss nur Augen haben, sie zu sehen, sie wahrzunehmen und sie anzunehmen. Die ganze Schlagerbranche, ja die Weltliteratur und die Geschichte des Theaters, wie die Geschichte der Oper und der Operette und des Musicals, sie alle leben davon, dass dieses Wunder der Liebe geschieht.
Wunder im Lied der Katja Ebstein bedeutet: Im Alltäglichen das Wunderbare erkennen. So gehören immer zwei Seiten zu einem Wunder: auf der einen Seite ist es das Geschehen, das durchaus ganz normal sein kann, völlig im Bereich des Möglichen und des Wirklichen. Und auf der anderen Seite ist es die Wahrnehmung, die dieses normale Geschehen als Wunder erkennt. Was also dem einen wunderbar erscheinen muss, das muss es für den anderen noch lange nicht. Das Wunder braucht eine Wahrnehmung, die es als Wunder erkennt.
II. Sich wundern heißt wahrnehmen
Besonders schön bringt das der große Schöpfungspsalm der Bibel zum Ausdruck: Ein Mensch wundert sich, und er bringt die Wunder mit dem Gott in Verbindung, den er in der Geschichte seines Volkes kennen gelernt hat. Der Glaube wundert sich. Das macht ihn Staunen. Das hebt die Alltäglichkeiten über den Alltag hinaus und setzt sie in ein neues Licht.
Psalm 104
Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt.
Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich;
du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes,
der du machst Winde zu deinen Boten und Feuerflammen zu deinen Dienern;
der du das Erdreich gegründet hast auf festen Boden, dass es bleibt immer und ewiglich.
Mit Fluten decktest du es wie mit einem Kleide, und die Wasser standen über den Bergen.
Aber vor deinem Schelten flohen sie, vor deinem Donner fuhren sie dahin.
Die Berge stiegen hoch empor, und die Täler senkten sich herunter zum Ort, den du ihnen gegründet hast.
Du hast eine Grenze gesetzt, darüber kommen sie nicht und dürfen nicht wieder das Erdreich bedecken.
Du lässest Wasser in den Tälern quellen, dass sie zwischen den Bergen dahinfließen,
dass alle Tiere des Feldes trinken und das Wild seinen Durst lösche.
Darüber sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen.
Du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte, die du schaffest.
Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen, dass du Brot aus der Erde hervorbringst,
dass der Wein erfreue des Menschen Herz und sein Antlitz schön werde vom Öl und das Brot des Menschen Herz stärke.
Die Bäume des Herrn stehen voll Saft, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat.
Dort nisten die Vögel, und die Reiher wohnen in den Wipfeln.
Die hohen Berge geben dem Steinbock Zuflucht und die Felsklüfte dem Klippdachs.
Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen; die Sonne weiß ihren Niedergang.
Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden Tiere,
die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub und ihre Speise suchen von Gott.
Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich in ihre Höhlen.
So geht dann der Mensch aus an seine Arbeit und an sein Werk bis an den Abend.
Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.
Da ist das Meer, das so groß und weit ist, da wimmelt’s ohne Zahl, große und kleine Tiere.
Dort ziehen Schiffe dahin; da sind große Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen.
Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit.
Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt.
Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.
Du sendest aus deinen Odem, so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde.
Die Herrlichkeit des Herrn bleibe ewiglich, der Herr freue sich seiner Werke!
Er schaut die Erde an, so bebt sie; er rührt die Berge an, so rauchen sie.
Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin.
Mein Reden möge ihm wohlgefallen. Ich freue mich des Herrn.
Die Sünder sollen ein Ende nehmen auf Erden / und die Gottlosen nicht mehr sein. Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!
Der Psalmbeter, zählt auf, was er sieht, und er bringt es mit Gott in Verbindung. Niemand zwingt ihn, es so zu sehen. Es gibt genug Beispiele dafür, dass Menschen in der Welt keine Wunder erkennen können, dass sie die Zusammenhänge mit Gott und untereinander so nicht erkennen können. Niemand kann beweisen, dass die Welt Gottes Schöpfung ist. Der Glaube kann aber nicht anders, als es so zu sehen.
Die Welt ist eben nicht nur Material, nicht nur ein Steinbruch für menschliche Interessen und Unternehmungen. Wer Augen hat, zu sehen, dass die Welt wunderbar ist, Ausdruck der Schöpfung Gottes. Und wer Augen hat, zu sehen, der sieht auch, dass alles miteinander zusammenhängt: die Welt ist Schöpfung, und ich bin es auch. Daran ändert auch nichts, dass die Naturwissenschaft den Erscheinungen der Welt mehr und mehr auf die Spur kommt, die Geheimnisse des Lebens entschlüsselt und die chemischen Bausteine der Welt namhaft machen kann.
Im Gegenteil: Jede neue Erkenntnis wirft auch neue Fragen auf, jede neue Erklärung schafft tiefere Einblicke in das Wunderbare des Weltzusammenhangs. „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel. Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter!“ – erinnert der 104. Psalm. Und die Konsequenz, die er daraus zieht, ist das Lob Gottes. Man kann nicht die Welt mit Gott in Zusammenhang bringen, ohne dass es dazu kommt, dass Menschen Gott loben, sich mit ihm über die kunstvoll zusammengefügte Schöpfung freuen.
Ein Ort des Lobes Gottes ist die Kunst. Sie ist der Ausdruck des schönsten, wozu Menschen fähig sind. Es ist die Kunst in der Sprache, in der bildenden Kunst, in der Musik. In der Kunst kann das Wunder Gottes seine menschliche Antwort finden. Kunst kann zusammenfassen, was viele empfinden und das im Kunstwerk verdichten, sodass viele sich darin wieder finden können. Vielleicht ist es sogar das Geheimnis der Kunst schlechthin, dass sie dem Wunder Gottes auf der Spur ist.
In der Kunst Johann Sebastian Bachs werden die Wunder Gottes und der menschlich-künstlerische Ausdruck direkt miteinander in Zusammenhang gebracht. Bach versteht seine Kunst als Musik aus dem Glauben, seine Kunst als Lob Gottes – ganz gleich ob es geistliche oder weltliche Kantaten sind, die er komponiert, ob er Instrumentalmusik für den Fürstenhof schreibt oder Orgelmusik für die Kirche.
Für die Kantate, die die Wunder Gottes besingt, ist keine Bestimmung im Kirchenjahr überliefert. Es ist eine Choralkantate, die den Text eines überlieferten Kirchenliedes aufnimmt und ihn in der Musik neu zur Sprache bringt. Orchester, Chor und Solisten teilen sich die Stimmen. Den Text von Johann Jakob Schütz „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut“ lässt Bach unangetastet. Johann Jakob Schütz (1640-1690) entstammt dem Umkreis des Pietisten Philipp Jakob Spener, dem „Haupt der Pietisten“ in Berlin.
Später wandte er sich apokalyptischen und chiliastischen Strömungen zu. Sein Liedertext erschien lm Anhang zu seinem Buch Christliches Gedenkbüchlein zur Beförderung eines anfangenden neuen Lebens, worin zur Ablegung der Sünde, Erleuchtung des inneren Menschen und der Vereinigung mit Gott in möglichster Kürze und Einfalt die erste Anregung geschieht. (1675). Es fand bald Eingang in die zeitgenössischen Gesangbücher und wurde im Dresdner (1725) und im Leipziger Gesangbuch (1734) als Lied zum 12.Sonntag nach Trinitatis geführt. Man kann vermuten, dass Bachs Komposition aus den Jahren 1728 und 1731 ebenfalls für einen 12.Sonntag nach Trinitatis bestimmt war.
Mit seiner Musik setzt Bach eigene Akzente. Das Orchester beginnt mit einem instrumentalen Vorspiel, bevor die Choralstrophe vom Chor zeilenweise in diesen Instrumentalsatz eingefügt wird. H.J. Schulze hebt die schwungvolle Leichtigkeit dieses Eingangssatzes hervor. Gott Lob und Ehre singen ist nicht nur angemessen, es ist auch schön, so schön, dass das Herz und die Beweglichkeit des Menschen mit in dieses Lob des Gottes, der Wunder tut, hineingezogen werden.
Lob Gottes ist ansteckend. Es zieht in den Bann, wie diese Musik Menschen in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt. Zur Schönheit des Lobes Gottes gehört bei Bach vor allem auch seine Ordnung. Das Wunder, das Gottes Lob hervorruft, ist nicht das Unordentliche, nicht das Chos. Das Chaos war am Anfang, bevor das Wunder der Schöpfung begann. Gottes Schöpfung bringt Ordnung in das Chaos, Struktur, wie die Naturwissenschaftler sagen. Diese Ordnung bildet sich auch in der Musik ab. Die Stimmen, die nacheinander einsetzen, bilden das kunstvolle Gebilde einer Fuge. Die Choralmelodie fügt sich geordnet ein in den Instrumentalsatz, als habe sie schon immer dazugehört.
Bach weist die insgesamt 9 Choralstorophen von Johann Jakob Schütz zu gleichen Teilen dem Chor, Arien und Rezitativen einzelner Solisten zu. In den Rezitativen und Arien entfernt sich die Musik von der vorgegebenen Choralmelodie und Bach sucht eigene musikalische Ausdrucksmittel, um die Textaussage zu unterstreichen, um bestimmte Teile durch Wiederholung oder besondere Betonung hervorzuheben. Die Wunder Gottes erfahren vielfältige Antworten: von der Gemeinde, die im Chor repräsentiert ist, von den Einzelnen Menschen, die in Rezitativ und Arie präsent sind.
J.S.Bach: Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut (BWV 117)
CHOR
Sei Lob und Ehr´ dem höchsten Gut,
dem Vater aller Güte,
dem Gott, der alle Wunder tut,
dem Gott, der mein Gemüte
mit seinem reichen Trost erfüllt,
dem Gott, der allen Jammer stillt.
Gebt unserm Gott die Ehre!
REZITATIV (BAß)
Es danken dir die Himmelsheer´,
o Herrscher aller Thronen,
und die auf Erden, Luft und Meer
in deinem Schatten wohnen;
die preisen deine Schöpfermacht,
die alles also wohl bedacht.
Gebt unserm Gott die Ehre!
ARIE (TENOR)
Was unser Gott geschaffen hat,
das will er auch erhalten;
darüber will er früh und spat
mit seiner Gnade walten.
In seinem ganzen Königreich
ist alles recht und alles gleich.
Gebt unserm Gott die Ehre!
Das Wunder verstanden als Gottes ordnendes Handeln gegen das gottlose Chaos. Dieses Handeln Gottes ist schön und bringt Menschen dazu, mit dem schönsten zu antworten, dessen sie fähig sind: mit Kunst und Musik, mit Dichtung und Prosa.
III. Das Wunder als das, was die Regel des Gewöhnlichen durchbricht
Bislang hatten wir das Wunder verstanden als das Gewöhnliche, das im Auge des Betrachters zum Besonderen wird. Aber das ist wohl nicht das allgemeine Verständnis von Wundern. Allgemein versteht man unter Wunder gerate etwa, das die Regel durchbricht, das die Grenze des Möglichen übersteigt. Ein Wunder ist es, wenn ein Ereignis, eine Tat in Gegensatz zu dem steht, was ich sonst erlebe und erfahre. Der Schlager besingt das Außergewöhnliche im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen – hatten wir bei Katja Ebstein gesehen.
Ähnliches wünscht und erwartet sich auch Zarah Leander: „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ – singt sie 1942, als bereits Bomber über Deutschland fliegen und ihre tödliche Fracht abwerfen. Der Schlager hat einen Text zwischen den Zeilen. Er besingt nicht nur das Wunder der Begegnung Liebender, er besingt auch das politische Wunder, dass sich das Kriegsglück wieder umkehren möchte, dass am Ende nicht die Niederlage, sondern der Endsieg steht. Goebbels wusste sehr wohl, warum er Zarah Leander diesen Schlager singen ließ: Die Leute sollen an das Wunder des Unmöglichen glauben.
Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn ...
Solch ein Wunder vermag Staunen und Verblüffung zu erregen. Die Kunststücke eines Zauberkünstlers scheinen die Naturgesetze auf den Kopf zu stellen. Unmögliches erscheint wirklich: Die zersägte Jungfrau, das Kaninchen aus dem Zylinder, der Besen, der Wasser trägt, wie in Goethes Zauberlehrling drastisch beschrieben. Die Natur steht Kopf, das Unmögliche ist möglich. Dass das nicht nur spaßig ist, weiß Goethe gerade in diesem Gedicht zu sagen. Es hat seine gute Ordnung, dass alles ist, wie es ist. Und wer mit den Grenzen des möglichen experimentiert, der sollte sein Handwerk auch verstehen. Der sollte auch sagen können: „In die Ecke, Besen, Besen sei’s gewesen!“*
Der Zauberlehrling
Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
merkt ich und den Brauch,
und mit Geistesstärke
tu ich Wunder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.
Und nun komm, du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen:
nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
oben sei ein Kopf,
eile nun und gehe
mit dem Wassertopf!
Walle! walle
manche Strecke,
daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.
Seht, er läuft zum Ufer nieder,
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
und mit Blitzesschnelle wieder
ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
voll mit Wasser füllt!
Stehe! stehe!
denn wir haben
deiner Gaben
vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
stürzen auf mich ein.
Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Mine! welche Blicke!
O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!
Willst am Ende
gar nicht lassen?
Will dich fassen,
will dich halten
und das alte Holz behende
mit dem scharfen Beile spalten.
Seht da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
gleich, o Kobold, liegst du nieder;
krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
und ich atme frei!
Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!
Und sie laufen! Naß und nässer
wirds im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.
"In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister."
(Johann Wolfgang von Goethe)
„Und mit Geistes Stärke tu ich Wunder auch“ – das ist die Sehnsucht des Menschen, sich die Welt so zu ordnen, wie er es will und wie er es für richtig hält. Das Wunder soll mir die Welt dienstbar machen. Die Dinge sollen mir zu Gebote stehen, sich mir fügen, sich mir unterordnen. „Magie ist eine Vorform der Technik“ – sagte ein bedeutender Alttestamentler (Gerhard von Rad). Und umgekehrt könnte man sagen, dass die Technik auch eine Form der Magie ist. Erst hat der Mensch die Technik beherrscht, dann begann die Technik den Menschen zu beherrschen.
Sachzwänge seien das – sagt man. Die moderne Welt ist derart von elektrischer Energie abhängig, dass ein Energieausfall die größte denkbare Katastrophe der Menschheit darstellt. Die höchste Form der Waffentechnik war es, die Atombomben zu erfinden, die über die größte, jemals hergestellte Vernichtungskraft verfügen. Und heute, nachdem die Atomwaffen auch in Ländern vorhanden sind, in denen es möglich ist, dass das Hauptquartier der Armee von Terroristen besetzt wird, ist das Risiko unberechenbar geworden. Nicht wir haben die Technik, die Technik hat uns und zwingt uns dazu, nach ihren Regeln zu spielen. Aus der Möglichkeit, sich durch das „Wunder der Technik“ die Natur untertan zu machen, ist der Fluch geworden, dass wir die Technik nicht mehr beherrschen können.
Der französische Komponist Paul Dukas (1865-1935) hat diesen Zauberlehrling Goethes in Musik gesetzt. Wir hören, wie der Besen Wasser schleppt, wie die Besen sich teilen und wie der meister am Ende dem unseligen Treiben Einhalt gebietet.
Wunder und Fluch können eng zusammen hängen. Auch die Märchen wissen davon. Selten geht es gut, wenn ein Mensch drei Wünsche frei hat, oder wenn man sich wie des Fischers Frau aus ihrer alten Kate herauswünschen kann. Die Grenzen, die dem Menschen durch die Naturgesetze gezogen sind, mögen von Fall zu Fall lästig sein, hilfreich sind sie allemal, weil es nicht nur um den Einzelnen und seine Befindlichkeiten geht, sondern um den Zusammenhang, und den vermag der Einzelne nie so zu überblicken wie es angemessen wäre.
IV. Die Wunder Jesu als Zeichen des Reiches Gottes
Wundererzählungen gehören zum Grundbestand der biblischen Texte. Die biblischen Erzähler deuten den Durchzug der Israeliten durchs Rote Meer als Wunder. Ebenso werden die Geschehnisse bei der Eroberung des Landes Kanaan als Wunder Gottes gedeutet. Jericho ist den Israeliten nicht zufällig in die Hände gefallen. Gott selbst brachte die Mauern der Stadt zum Einsturz als die Krieger ihre Hörner bliesen – so beschreiben es die Autoren des Buches Josua.
Das Volk Gottes, das mit seiner Gegenwart rechnet, lebt auch in Erwartung seiner Wunder. Er ist der Gott, der Wunder tut, der das Bestehende so geschaffen hat, wie es ist und der die Dinge so fügt, dass es die Menschen zum Staunen bringt. Allerdings bleiben die Wunder exklusiv an Gott gebunden. Er überträgt die Fähigkeit, Wunder zu tun, nicht einfach auf x-beliebige Menschen. Darum ist die Bibel allen Versuchen von Magie und Zauberei gegenüber sehr abweisend eingestellt. Gott tritt seine Wundermacht nicht ab. Wenn Menschen sich selber anmaßen, Wunder vollbringen zu können, dann greifen Sie in Gottes Herrschaftsbereich ein.
Der Glaube an den Gott, der Wunder tut, setzt sich im Neuen Testament fort. Jesu Wirken ist ein Wirken in Wort und in Tat. Jesus sagt Gottes Reich an und er setzt Gottes Reich auch hier und da ins Werk. Für einen Moment zerreißt der Schleier, der zwischen Gottes Reich und unserer Welt hängt und ein Blick wird frei auf die unverstellte Wirklichkeit Gottes.
Dabei sind die überwiegende Anzahl der Wunder Jesu Heilungswunder. Das Weinwunder von Kana ist die absolute Ausnahme, wo es darum geht, dass Jesus den Hochzeitsgästen seine Macht offenbart, indem er aus Wasser Wein werden lässt. Eine Machtdemonstration Jesu, die oft missverstanden worden ist, und die auch Anlass zu Witzen gegeben hat. Es gibt in der antiken Literatur Beispiele von solchen Wundertaten, die Göttern oder besonderen Wundermännern zugeschrieben werden. Der griechische Historiker Herodot berichtet von einem Weinwunder des Gottes Dionysos, das seinen Sinn völlig in sich selbst trägt und darin, die Menschen zum Fest in den göttlichen Rausch zu versetzen.
Pausanias, Beschreibung Griechenlands VI 26,1f.
Unter den Göttern verehren die Eleer den Dionysos ganz vorzüglich und sagen auch, der Gott besuche sie bei dem Feste der Thyien. Der Ort, wo sie das Fest feiern, mit Namen Thyia liegt etwa acht Stadien von der Stadt. Die Priester bringen drei Kessel und stellen sie leer in eine Kapelle nieder, in Gegenwart der Bürger und der Fremden, wenn sich etwa welche in der Stadt befinden; dann legen die Priester und wem von den übrigen es sonst noch beliebt, ihr Siegel an die Türe der Kapelle.
Am folgenden Tage kann jeder die Siegel untersuchen, und wenn sie in die Kapelle kommen, finden sie die Kessel mit Wein angefüllt. Daß sich dies auf die erzählte Weise verhalte, beteuerten mir die angesehensten Eleer und auch Fremde eidlich; denn ich selbst war zur Zeit des Festes nicht da. Auch die Andrier sagen, alle zwei Jahre fließe bei ihnen am Feste des Dionysos von selbst Wein aus dem Heiligtume. Wenn man dies den Griechen glauben muß, könnte man ebensowohl auch alles das annehmen, was die Äthioper oberhalb Syene von dem Sonnentische erzählen (vgl. Herodot III 18).
Wie gesagt: Dieses Wunder von Kana ist die Ausnahme. Wenn es um die Wunder Jesu geht, dann geht es um Heilungswunder, um den Kampf des Reiches Gottes gegen die zerstörerische Macht der Krankheit und des Todes und der Gottesferne. Der Evangelist Markus erzählt eine Geschichte, die das deutlich werden lässt.
Markus 2,1-12: Die Heilung eines Gelähmten
1 Und als er nach einigen Tagen wieder nach Kafarnaum ging, wurde bekannt, dass er in einem Haus sei. 2 Und viele versammelten sich, so dass nicht einmal mehr vor der Tür Platz war. Und er sagte ihnen das Wort. 3 Da kommen einige, die einen Gelähmten zu ihm bringen; vier von ihnen trugen ihn. 4 Und weil sie ihn wegen des Gedränges nicht bis zu ihm hinbringen konnten, deckten sie dort, wo er war, das Dach ab, rissen es auf und liessen die Bahre, auf der der Gelähmte lag, hinab. 5 Und als Jesus ihren Glauben sieht, sagt er zu dem Gelähmten: Kind, dir sind die Sünden vergeben! 6 Es sassen dort aber einige Schriftgelehrte, die dachten bei sich: 7 Was redet der so? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben ausser Gott? 8 Und sogleich erkennt Jesus in seinem Geist, dass sie solche Gedanken hegen, und spricht zu ihnen: Warum hegt ihr solche Gedanken? 9 Was ist leichter? Zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind die Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm deine Bahre und geh umher? 10 Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu vergeben - sagt er zu dem Gelähmten: 11 Ich sage dir, steh auf, nimm deine Bahre und geh nach Hause! 12 Und der stand auf, nahm sogleich die Bahre und ging vor aller Augen hinaus, und alle waren fassungslos und priesen Gott und sagten: Nie haben wir solches gesehen! (Zürcher Bibel)
Jesus ist im Haus und redet zu den Menschen vom Reich Gottes. Die Leute stehen dicht gedrängt. Kein Platz mehr für einen, der noch hinzukommt. Draußen machen sich Menschenam Dach des Hauses zu schaffen. Sie sind die Treppe zum Dach hinaufgestiegen und decken das Dach an einer Stelle auf. Dann lassen sei einen gelähmten Mann auf einer Matratze hinunter, so dass er genau dort hinkommt, wohin kein Durchkommen war: direkt vor die Füße Jesu. 4 Menschen sind es gewesen, die den Gelähmten heruntergelassen haben.
Vielleicht waren es Verwandte und Freunde des kranken Mannes. Vielleicht erwarten sie, dass Jesus entscheidendes für diesen Mann tut. Denn kranke Menschen sind je nicht von sich aus auch gute Menschen. Kranke Menschen können sehr anstrengend sein. Und der Gelähmte kann seinen Freunden gehörig auf die Nerven gehen, so dass sie hoffen, ihn ruhig stellen und zur Vernunft bringen zu können. Vielleicht sagt Jesus ihm Worte, die sein Leben verändern, Worte, die ihm ganz neue Einsichten und Aussichten geben können. Jesu Worte können Wirklichkeit verändern, warum nicht auch die Wirklichkeit dieses gelähmten Mannes?
„Als Jesus ihren Glauben sah...“ heißt es. Bemerkenswert ist der Plural „ihren Glauben“ – nicht also den Glauben des Gelähmten, den Glauben derer, die ihn getragen und durch das Dach vor Jesu Füße gelegt haben. Er sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“ – das würde man nun gerade nicht erwarten. „Daqs kann ja jeder sagen“ denken die Leute. Sündenvergebung ist auf den ersten Blick unsichtbar, wenn sie vielleicht auch das Entscheidende ist. Was hilft einem Menschen die Gesundheit, wenn er mit Gott nicht im Reicnen ist, wenn er sein Leben vor die Wand gefahren hat? Ein zerstörtes Leben gibt es in einem gesunden und in einem kranken Körper, und es ist kein Geheimnis, dass eine gestörte Gottesbeziehung auch ein Leben krank machen kann. Vielleicht sind die Worte „Dir sind deine Sünden vergeben“ einfach die entscheidenden Worte, die der gelähmte Mann in seinem Leben gehört hat.
Jesus spürt die Skepsis bei den Leuten und den Widerstand. „Das kann jeder sagen“ denken sie. Anmaßung ist das, sagen sich andere. Niemand kann Sünden vergeben außer Gott allein. Hier greift Jesus über seine Kompetenzen hinaus. Hier maßt er sich an, was kein Mensch von sich behaupten kann. Man muss nur in die Gesichter sehen, um zu wissen, was die Leute denken. Und so sagt Jesus auch das andere Wort: „Stehe auf, nimm deine Matratze und geh!“ Das ist nicht mehr im Bereich des Unsichtbaren. Das geht ins Sichtbare, Hier lässt sich überprüfen, ob Jesus die Wahrheit sagt, oder ob er nur leere Phrasen drischt. Und hier wird sichtbar, dass das Wort Jesu, das die Sünden vergibt mächtig ist wie das Wort, das den Gelähmten zum aufstehen bringt. Wie dieser innerlich gesund geworden ist, so ist er auch äußerlich gesund geworden.
Das Griechische Wort, das das Neue Testament vornehmlich für diese Taten Jesu verwendet ist das Wort semeion – auf deutsch: Zeichen. Die Wunder stehen also nicht für sich selbst, so wie die Kunststückchen eines Zauberkünstlers für sich selber stehen. Diese Wundertaten Jesu sind Zeichen, die auf eine andere Wirklichkeit verweisen, sie sind Anzeichen für das kommende Reich Gottes.
Nur im Zusammenhang mit den Worten Jesu bekommen diese Zeichen ihre Bedeutung als Vor Zeichen dessen, was schon begonnen hat, aber was noch nicht ist. Jesus ist zur Welt gekommen, aber Gottes Reich für alle Menschen steht noch aus. Er ist gekommen, aber wir warten noch auf Gottes Gerechtigkeit und auf den Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Die Zeichen Jesu machen deutlich, dass Gottes Reich auch Gesundheit bedeutet, auch körperliche Gesundheit, dass in Gottes Reich der Tod nicht mehr die entscheidende Macht hat, sondern das Leben, das mit Jesus in die Welt gekommen ist.
Hören wir zum Abschluss noch einmal auf Johann Sebastian Bach. In seiner Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ legt er die Geschichte von der Ankündigung der Geburt Jesu aus. Dort heißt es in einer Bass-Arie:
9. Arie (Bass)
Ich will von Jesu Wundern singen
Und ihm der Lippen Opfer bringen,
Er wird nach seiner Liebe Bund
Das schwache Fleisch, den irdischen Mund
Durch heilges Feuer kräftig zwingen.
10. Choral
Tromba, Oboe I/II, Violino I/II, Viola, Continuo
Jesus bleibet meine Freude,
Meines Herzens Trost und Saft,
Jesus wehret allem Leide,
Er ist meines Lebens Kraft,
Meiner Augen Lust und Sonne,
Meiner Seele Schatz und Wonne;
Darum lass ich Jesum nicht
Aus dem Herzen und Gesicht.
Domprediger Martin Filitz