Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Der reformierte Bund vom Kirchenkampf bis in die 1980er Jahre
von Wilhelm Niesel
Wie eng das Geschehen in der Kirche, also auch im Reformierten Bund, mit den Ereignissen im Staat verbunden war, zeigte das Jahr 1933. Es brachte den Einbruch des Nationalsozialismus, vertreten in der »Glaubensbewegung Deutsche Christen« (DC), in die Kirche. Zwar hatte bereits im Herbst 1932 das Presbyterium der damals größten reformierten Gemeinde Elberfeld in einer Kanzelerklärung, verfaßt von P. Lic. Klugkist Hesse, vor ihr gewarnt, »gegen alle Versuche von politischen Parteien ihre Programme der Kirche als maßgebend aufzuzwingen. Denn die evangelische Kirche kann niemals eine andere Autorität anerkennen als ihren König Jesus Christus, der für alle Völker ohne Unterschied der Rasse den Tod erlitten hat. Einen germanischen Christus gibt es nicht«.
Aber als wenige Monate später alle Dämme brachen, wurden auch unsere Gemeinden von der Flut überschwemmt. Durch den Einfallsreichtum und die Entschlossenheit von Pastor Karl Immer in Barmen-Gemarke kam es Anfang Januar 1934 zu einer Freien reformierten Synode in Gemarke, auf der die Vertreter von treu gebliebenen Gemeinden in einer von Prof. Karl Barth verfaßten »Erklärung über das rechte Verständnis der reformatorischen Bekenntnisse in der Deutschen Ev. Kirche der Gegenwart« nicht gegen andere protestierten, sondern bekundeten: »Angesichts der kirchlichen Ereignisse des Jahres 1933 gebietet uns das Wort Gottes, Buße zu tun und aufs neue die Hoheit des einen Herrn der einen Kirche zu erkennen.« Andere Ansichten wurden abgelehnt, was von großer Bedeutung war, weil Deutsche Christen behaupteten, auf dem Boden des Heidelberger Katechismus zu stehen. Eine im unmittelbaren Anschluß am 5. Januar tagende außerordentliche Hauptversammlung des Bundes beschloß:
»Der Reformierte Bund für Deutschland hat mit Dank an der Versammlung der Freien reformierten Synode am 3. und 4. Januar 1934 teilgenommen. Er weiß sich mit ihr im Kampf um die Kirche, ihren Dienst und ihre Gestalt einig und wird gemäß der gestern angenommenen >Erklärung< allen Versuchen, die Botschaft der Kirche zu hindern, abzuschwächen oder zu verkehren, unbewegt widerstehen, mögen diese Versuche kommen, woher sie wollen.«
Dementsprechend hielt die Hauptversammlung »die Zugehörigkeit zu den Deutschen Christen nicht vereinbar mit den bekenntnismäßigen Grundlagen des Bundes. Mitglieder der DC haben sich damit außerhalb des Bundes gestellt«. Dem neu gewählten Moderamen gehörten u. a. Karl Barth und als Moderator Studiendirektor Pastor D. Hesse aus Elberfeld an. Damit war für den weiteren Dienst des Bundes die Weiche so entscheidend gestellt, wie es bis dahin noch nie geschehen war.
Die Hauptversammlungen während der Zeit des Kirchenkampfes wurden infolge der zu treffenden Entscheidungen, die damals die besondere Situation erforderte, in unregelmäßigen Abständen gehalten. In den späten Kriegsjahren konnten sie überhaupt nicht mehr zusammenkommen:
5. Januar 1934 in Barmen (außerordentliche Mitgliederversammlung), D. Hesse zum Moderator gewählt,
29.-30. November 1934 in Detmold,
24.-25. Juni 1936 in Barmen,
27. Oktober 1937 in Barmen,
31. Oktober 1938 in Gronau,
5. Dezember 1940 in Barmen,
29. September 1942 in Loga/Ostfriesland.
Es galt nun, aus der grundsätzlichen Erklärung der Freien reformierten Synode die Folgerungen zur Gestalt der Kirche zu ziehen. Im Moderamen gab es Stimmen, die für die Bildung einer reformierten Kirche innerhalb der DEK eintraten. Man beschloß, diese Frage auf einer bald abzuhaltenden reformierten Nationalsynode zu klären. Während der Vorbereitung dafür ergriff aber die Leitung der reformierten Landeskirche Hannover die Führung und lud die reformierten Kirchen, Synoden und auch den Reformierten Bund ein, auf den 18.-19. April 1934 Abgeordnete zu einem Kirchenkonvent nach Osnabrück zu entsenden.
Dort kam es zur Bildung eines siebenköpfigen reformierten Kirchenausschusses unter dem Vorsitz von Kirchenpräsident Horn aus Nordhorn und seinem Vertreter, dem damaligen Moderator des Bundes. Damit glitt die Führung der Reformierten aus der Hand des Bundes in die einer verfaßten Landeskirche, die auf den Bestand ihres Kirchengebildes bedacht war. Auch außer ihrem Bereich gab es Gemeinden, denen es in der von Rechtsbrüchen strotzenden DEK vornehmlich um die Bewahrung ihrer Existenz zu tun war. Sehr bald kam an den Tag, daß sich beides nicht vereinigen ließ: ein klares Bekenntnis zu Jesus Christus als dem alleinigen Herrn und das Bemühen um Selbstsicherung.
Der Osnabrücker Kirchenkonvent trat zwar noch für die um der klaren Verkündigung des Evangeliums willen verfolgten Pastoren und Ältesten ein und forderte sie auf, entgegen den wider sie ergriffenen Maßnahmen weiterhin ihren Dienst zu tun. Als jedoch der Moderator des Bundes zu der ersten deutschen Bekenntnissynode nach Barmen eingeladen wurde und diesem Ruf Folge leistete, weigerte sich reformiert Hannover, sich auf ihr vertreten zu lassen. Die lutherischen Landesbischöfe von Bayern und Württemberg zeigten größere Entschlossenheit und kamen trotz mancher Bedenken. Wohl aber beteiligten sich die leitenden Männer von reformiert Hannover an einer am 9. August 1934 in Berlin tagenden Nationalsynode der DEK und stimmten einem Gesetz zur Sicherung des reformierten Bekenntnisstandes zu, während die in Berlin erschienenen Vertreter der süddeutschen lutherischen Kirchen die Zusammenkunft scharf kritisierten und ablehnten.
Zum Bruch zwischen reformiert Hannover, seinen Anhängern und dem Reformierten Bund kam es nach dem Beschluß der 2. deutschen Bekenntnissynode vom 20. Oktober 1934 in Dahlem. Die Synode schuf nach Zerstörung der Verfassung der DEK und Beseitigung ihrer rechtmäßigen Organe auf Grund des kirchlichen Notrechts neue Organe der Leitung, den Bruderrat der DEK und aus seiner Mitte den Rat, den Bekenntnissen entsprechend zusammengesetzt und gegliedert. Die Hauptversammlung 1934 des Bundes in Detmold vom 29.-30. November nahm dazu folgendermaßen Stellung:
»Wir erkennen die Bekenntnissynode der DEK als die rechtmäßige Leitung der DEK an. Wir fordern die dem Bund angeschlossenen Gemeinden und Einzelmitglieder auf, sich von jeder Zusammenarbeit mit dem falschen, deutsch-christlichen Kirchenregiment zurückzuziehen. Im Glauben an die eine, heilige, allgemeine Kirche Jesu Christi bejahen wir aufs neue die alte Aufgabe des Reformierten Bundes, die nach Gottes Wort reformierte Kirche in Deutschland zu sammeln und zu ihrer besonderen Verantwortung aufzurufen. Wir halten es um der Arbeitsfähigkeit des Modenamens willen für nötig, daß ihm nur solche Männer angehören, die diese Beschlüsse billigen und durchzuführen bereit sind.«
Dies wurde bei vier Enthaltungen beschlossen und führte dazu, daß Landessuperintendent D. Dr. Hollweg, Prof. D. Dr. jur. Bredt, Marburg, und Pastor Langenohl, Rheydt, die der Versammlung ferngeblieben waren, das Modenamen verließen. Diese Trennung blieb leider bis nach dem Kriege bestehen.
Vom Modenamen geriet um diese Zeit Karl Barth in die Schußlinie des Staates. Er hatte erklärt, den neu geforderten Beamteneid auf den Führer nur leisten zu können mit dem Zusatz, »Soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann«. Dieser Vorbehalt war nicht mehr nötig, nachdem die vom Modenamen unterstützte Erklärung der Leitung der Bekennenden Kirche veröffentlicht worden war und vom Staate kein Einspruch gegen sie erfolgte: Der »Eid schließt durch die Berufung auf Gott ein Tun aus, das wider das in der Heiligen Schrift bezeugte Gebot Gottes ist«. Dadurch erübrigte sich ein Zusatz.
Trotzdem wurde Barth aus dem Staatsdienst entlassen. Einem Rufe an die vom Reformierten Bund gegründete Theologische Schule in Elberfeld Folge zu leisten, sah er sich nicht in der Lage, weil er nach seiner Aussage Studenten nötig hätte, die längere Zeit bei ihm Dogmatik hören könnten. Ein anderer Lehrauftrag durch die rheinisch-westfälische Bekennende Kirche kam nicht zustande. So nahm er einen Ruf nach Basel an und schied aus dem unmittelbaren Bereich der Bekennenden Kirche aus, die ihm die Erklärung der ersten Freien reformierten Synode und die für alles Folgende grundlegende Barmer Theologische Erklärung der ganzen DEK verdankte, darunter die Stellungnahme des Reformierten Bundes nach der 2. Bekenntnissynode der DEK von Dahlem. Ein ganz schwerer Verlust, auch für das Moderamen, dem Barth angehörte.
Die bereits erwähnte Theologische Schule des Bundes sollte bald eine große Bedeutung erlangen. Das Moderamen beschloß, auf den 26.-28. März 1935 eine zweite Freie Reformierte Synode nach Siegen einzuberufen, die sich angesichts der Zerstörung der theologischen Fakultäten durch den Staat vor allem mit der Frage des theologischen Nachwuchses befassen sollte. Nach einem Vortrag vom Lic. Wilhelm Niesel beschloß die Synode: Die Bekennende Kirche muß »die Errichtung einer Hochschule für reformatorische Theologie in die Wege leiten.«
Ein Ausschuß wurde beauftragt, in dieser Sache mit dem Bruderrat der Ev. Kirche der altpreußischen Union in Verbindung zu treten. Das führte dazu, daß der Bruderrat zum Wintersemester 1935/36 die Kirchliche Hochschule für reformatorische Theologie Berlin-Elberfeld ins Leben rief. Sie wurde sofort von der Gestapo verboten, konnte aber in Elberfeld unter dem Dach der alten Theologischen Schule zu Stand und Wesen kommen, indem diese um zwei lutherische Dozenten ergänzt wurde. Dieses Idyll währte freilich nur bis zum Frühjahr 1937. Da wurde die Schule auf staatliches Geheiß geschlossen. Ein Protest des Moderamens fruchtete nichts. Sie mußte fortan wie die Berliner Hochschule im Untergrund arbeiten.
Eine wichtige Hilfe nicht nur für den theologischen Unterricht waren die im Auftrage des Reformierten Bundes erstmals 1938 erschienenen »Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen der nach Gottes Wort reformierten Kirche«. Die lang erwartete große Ausgabe in Parallele zur lutherischen liegt immer noch nicht vor, ist aber jetzt energisch in Angriff genommen worden. Die besondere Aufmerksamkeit des Moderamens galt immer dem Heidelberger Katechismus. Seine 400-Jahr-Gedenkfeier fand an seinem Entstehungsort mit einem Gottesdienst in der Heiliggeistkirche, einem Hauptvortrag von Prof. Erik Wolf, Freiburg, und mancherlei anderen Veranstaltungen statt.
Unmöglich ist es, hier die verschiedenen Ausgaben des Katechismus aufzuzählen, um die sich der Bund bemüht hat. Schließlich hat er die hervorragende lippische Jubiläumsausgabe empfohlen. Im Auftrage des Moderamens hat Heinrich Graffmann eine stundenweise Erläuterung: »Unterricht im Heidelberger Katechismus«, in drei Bänden 1951ff. herausgebracht. Es folgten 1963 das Handbuch, hrsg. von Lothar Coenen und letzthin das Unterrichtsbuch »Bausteine zum Heidelberger Katechismus« von Günter Twardella u. a. Das alles bekundete nicht ein starres Beharren beim Zeugnis der Väter.
Das Moderamen hat 1953 einen Ausschuß berufen, der sich mit der Frage eines neuen Katechismus befassen sollte. Wenn dieser Aufbruch versandete, so lag das daran, daß Mitglieder des Ausschusses zur Erarbeitung eines evangelischen Katechismus im Rheinland herangezogen wurden. In der Wirrnis der dreißiger Jahre sorgte das Moderamen dafür, dass angefochtene Gemeinden zu ihrer Stärkung besucht wurden. Bald nach dem Kriege wurde ein regelrechter Besuchsdienst eingerichtet, den nacheinander die Pastoren Karl Halaski, Erich Schmidt und Friedrich Middendorff für jeweils etwa drei Monate wahrnahmen. Vornehmlich um dieser Aufgabe willen wurde der hauptamtliche Dienst des Generalsekretärs geschaffen, den Pastor Karl Halaski vom 1. Oktober 1960 bis 1973 mit großer Umsicht versehen hat.
Sein Nachfolger ist Pastor Joachim Guhrt. Für einen Besuchsdienst ganz besonderer Art meldete sich beim Moderamen P. em. Friedrich Gräber aus Essen. Die reformierte Gemeinde Marburg war in die lutherische aufgelöst worden. Das war für den überzeugten Unionsmann reformierter Herkunft unerträglich. So bezog er mit Unterstützung des Moderamens für lange Zeit eine Studentenbude, um die Reformierten zu sammeln. Schließlich kam eine Übereinkunft zustande, die vorsieht, dass in der ehemaligen reformierten Universitätskirche ab und an das Abendmahl in reformierter Weise gehalten wird.
Gegen eine echte Union hat sich der Bund nie gewandt. Generalsekretär Guhrt hat auf der Hauptversammlung 1980 in seinem Bericht die Frage erörtert, wie das reformierte Bekenntnis in einer vereinigten Gemeinde praktiziert werden kann. In Großstädten war sie besonders brennend. Darum hat das Modenamen mehrmals eine Großstadtkonferenz zusammengerufen. Sie vermochte nichts daran zu ändern, daß es seit Anfang 1981 keine reformierte Gemeinde Elberfeld mehr gibt. Einst war sie die einzige in Wuppertal und später die größte reformierte Gemeinde in Deutschland gewesen, die wichtige Aufgaben für alle Reformierten wahrnahm. Nur in Cronenberg, Ronsdorf und an wenigen Orten Niederbergs tragen Gemeinden den guten, sachentsprechenden Namen »reformiert«, und auch dort droht er zu entschwinden.
Aber wir sind der Entwicklung vorausgeeilt. Mit einem Geleitwort des Moderators erschien 1941 eine Sammlung von Gottesdienstordnungen von der Reformationszeit bis Mitte des 18. Jahrhunderts, von Martin Albertz herausgegeben. Zehn Jahre später kam auf Beschluß des Modenamens das handliche Kirchenbuch (Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde) von Karl Halaski heraus, das 1983 verbessert aufgelegt wurde.
Eines der wichtigsten Bindemittel zwischen unseren Gemeinden war und ist die Reformierte Kirchenzeitung. Sie ist in den dreißiger Jahren mehrmals verboten worden, obwohl sie über das Geschehen in den Gemeinden schließlich nichts mehr bringen durfte. Schriftleiter war bis Ende 1936 P. D. Wilhelm Kolfhaus. Ihm folgten Robert Steiner und Benjamin Locher. Die letzte Nummer vor dem Zweiten Weltkrieg trägt das Datum vom 5. Februar 1939. Obwohl die RKZ die tapferste Kirchenzeitung war, durfte sie erst spät nach der Nazidiktatur wieder erscheinen.
Der erste Antrag dafür war bei der britischen Militärregierung verloren gegangen. Dann bekam der westfälische Präses D. Koch ein Vorschlagsrecht und setzte die RKZ überhaupt nicht auf die von ihm eingereichte Liste! So konnte Pastor Steiner das Organ des Bundes erst zum 1. Januar 1949 herausbringen. 1940-1942 vermochte D. Kolfhaus, der noch in die Schrifttumskammer eingetragen war, mit einem Vierteljahresblatt »Die Kirche« die Lücke auszufüllen. Von dieser Zeit ab gab es für kirchliche Blätter kein Papier mehr, während Schandschriften solches bekamen. Nach dem Kriege durften kurze »Mitteilungen« des Bundes gedruckt werden. Als Schriftleiter der RKZ folgten auf Steiner während langer Zeit Karl Halaski, dann bis 1983 Pastor Walter Herrenbrück, Leiter des Predigerseminars Elberfeld, und seit dem 1. Januar 1984 Pastor Jörg Schmidt, Braunschweig.
Eine große Schwierigkeit für die Leitung des Bundes ergab sich, als der bereits 66jährige Moderator D. Hesse 1943 verhaftet und ins KZ Dachau überführt wurde. Er hatte in einem Gottesdienst den Bombenangriff auf Barmen als ein Gericht auf das frommme Wuppertal bezeichnet und erlaubt, daß sein jüngster Sohn ein Wort zur Judenfrage verlas. Dieser starb bald nach der Einlieferung ins KZ mangels ständig benötigter Medikamente. Sein Vater wurde zwar im April 1944 entlassen; aber das löste die Schwierigkeiten für den Bund nicht. P. Lic. Harmannus Obendiek war mit einem Ausschuß eingesprungen, um die Geschäfte des Bundes zu führen. Dieser sah D. Hesse und den Bund gefährdet, falls er wieder tätig würde. Nach dem Kriege machte der neue Wohnort des Moderators in dem entfernten Ostfriesland seinen Dienst unmöglich. So mußte es bei der Zwischenlösung bleiben.
Nach Ende des letzten Krieges konnten die Hauptversammlungen wieder in regelmäßigen Abständen gehalten werden:
1.-3. Oktober 1946 in Detmold, Prof. D. Dr. Niesel zum Moderator gewählt
7.- 9 Oktober 1948 in Frankfurt/Main
25.-27. September 1950 in Schüttorf
28. Sept. bis 1. Oktober 1952 in Moers
28.-29. September 1954 in Lengerich
25.-26. September 1956 in Siegen
29. Sept. bis 1. Oktober 1958 in Bremerhaven
3.- 5. Oktober 1960 in Barmen
24.-26. September 1962 in Detmold
19.-21. Oktober 1964 in Göttingen
26.-28. September 1966 in Lübeck
14.-16. Oktober 1968 in Bielefeld
22.-25. Oktober 1970 in Elberfeld
12.-14. Oktober 1972 in Hamburg
29.-30. März 1973 in Siegen, Prof. D. Dr. Hans Helmut Esser zum Moderator gewählt
10.-12. Oktober 1974 in Nürnberg
21.-23.Oktober l976 in Duisburg-Homberg
12.-14. Oktober 1978 in Detmold
2.- 4. Oktober 1980 in Kassel
22.-24. April 1982 in Aurich (in Verbindung mit dem Landeskirchentag der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland anlässlich deren 100-jährigen Bestehens), Prof. D. Dr. Hans-Joachim Kraus zum Moderator gewählt.
Die erste Hauptversammlung des Bundes Anfang Oktober 1946 im Detmolder Diakonissenhaus, einer Herberge der Bekennenden Kirche unter Leitung der tapferen Schwester Martha Coerper und des Vorstehers Pastor Jürges, brachte einen richtungweisenden Vortrag von Lic. Niesel über den »Beitrag der reformierten Kirche zum Neuaufbau der Ev. Kirche in Deutschland« und die Neuwahl des ganzen Moderamens mit P. Lic. Niesel als Moderator.
Daneben wurden ein theologischer Beirat berufen, dem u. a. Karl Barth und Lic. Obendiek angehörten, und ein Gebietsbeirat. 1945 war auf der Kirchenkonferenz von Treysa ein Sechserausschuß entstanden, der die vom Bund und dem reformierten Kirchenausschuß unter der Leitung von reformiert Hannover vertretenen Reformierten zu Besprechungen über gemeinsame Aufgaben zusammenbringen sollte. Da sich aber schon 1947 reformiert Hannover und auch Lippe offiziell im Moderamen vertreten ließen, wurden der Sechserausschuß und der Kirchenausschuß überflüssig.
Die zwei Jahre später in Frankfurt a. M. im Notkirchensaal der Deutsch-reformierten Gemeinde gehaltene Hauptversammlung erarbeitete eine neue Ordnung des Bundes. In der Grundlage wird neben den anderen Bekenntnissen die Barmer Theologische Erklärung von 1934 aufgeführt. Das Neue besteht im übrigen darin, daß die Kirchen von Nordwestdeutschland, Lippe, Rheinland und Westfalen vollberechtigte Mitglieder ins Moderamen entsenden können, unierte Kirchen solche zur Mitarbeit und die bisherigen Einzelmitglieder zu einem Freundeskreis zusammengefaßt werden.
Zur lebendigen Verbindung mit den Gemeinden wird ein Gebietsbeirat vorgesehen. Aus ihm sind allmählich die Gebietskonferenzen erwachsen, auf denen bis heute in Vorträgen und Aussprache wichtige Fragen behandelt werden. Eine Ordnung ist nicht zur Einzwängung des Lebens da, sondern zu seiner Förderung. So wurde im Anschluß an die weitere Entwicklung auf einer Hauptversammlung am 24. Oktober 1970 in Elberfeld die jetzt (1984) gültige Ordnung des Bundes beschlossen.
Wohl sind jetzt Einzelpersonen wieder vollberechtigte Mitglieder des Bundes; aber die Verkirchlichung des Bundes ist deutlich fortgeschritten. Von den 24 Mitgliedern des Moderamens wird nur noch die Hälfte von der Hauptversammlung berufen. Je ein Mitglied wird entsandt von der nordwestdeutschen Kirche, von der Lippischen Kirche, vom Bund ev.-ref. Kirchen, von den Altreformierten, von der rheinischen, der westfälischen, der hessen-nassauischen, der kurhessischen und der Bremischen Kirche.
Bis auf die hessen-nassauische Kirche waren in all den aufgeführten Kirchen reformierte Vertreter in deren Leitungen. Nach Verhandlungen mit dem Kirchenpräsidenten in Darmstadt gelang es, in einer Dienstanweisung festzulegen, daß ein Mitglied des Leitenden Geistlichen Amtes dieser Kirche für die reformierten Gemeinden zuständig ist mit der Aufgabe, diese zu besuchen und zu beraten.
Auf Beschluß des Moderamens wurde 1957 ein besonderer Frauenkreis gebildet. Die Anregung dazu kam vom Reformierten Weltbund, der nach Sitte der amerikanischen Kirchen eine Frauenabteilung hatte und eine entsprechende Stelle in unserem Bunde wünschte. Über die Arbeit des Frauenkreises hat Frau Susanna Niesel der Hauptversammlung 1962 berichtet. Frucht dieser Tätigkeit war vor allem, daß von nun an Frauen in die Kirchenvorstände, namentlich der norwestdeutschen Kirche, gewählt wurden. In dieser ist bis heute ein Frauenausschuß für die ganze Kirche tätig.
Weil soeben der Weltbund genannt wurde, darf nicht unerwähnt bleiben, daß er auf vielfältige Weise unseren Dienst befruchtet hat. Seine Generalversammlung vom 3.-13. August 1964 in Frankfurt a. M. mit dem Thema »Komm, Schöpfer Geist!« war für unsere Gemeinden ein großes Ereignis und ihre Organisation eine hervorragende Leistung des Generalsekretärs Halaski. Der Moderator des Bundes wurde bis zum Jahre 1970 zum Präsidenten gewählt und hatte so die Möglichkeit, unsere Gemeinden an den Fragen der weltweiten konfessionellen Familie teilnehmen zu lassen.
All diese Unternehmungen waren nur bei einer sorgfältigen Planung der Finanzen möglich. Bankdirektor Wilhelm Hein von 1952-1973 und seitdem Verwaltungsdirektor i. R. Martin Weyerstall haben als Schatzmeister dem Bund nicht abzuschätzende Dienste geleistet.
Das Jahr 1973 brachte auch einen Wechsel im Vorsitz des Moderamens. D. Dr. Niesel schied nach 27 Jahren aus und wurde auf einer außerordentlichen Hauptversammlung durch den gelehrten, im Rat der EKD aktiven Prof. D. Dr. Helmut Eßer in Münster ersetzt. Ihm folgte als Moderator 1982 der in vielfacher Hinsicht ausgewiesene Prof. D. Dr. Hans-Joachim Kraus in Göttingen.
Alle Bemühungen des Bundes zielten auf die Verkündigung des Wortes Gottes. Das Modenamen erließ einen Aufruf an die Gemeinden:
»Wir brauchen Prediger für die Gemeinden«. Auf Bitte des Moderators schenkte das Schweizerische Hilfswerk dem Bunde eine Baracke für das von den Nazis verbotene und dann ausgebombte Predigerseminar, das 1951 neue Räume in der Mainzer Straße in Wuppertal-Elberfeld beziehen konnte. Die Leitung übernahm D. Hesse, später - in der Mainzer Straße - wurde Udo Smidt Leiter des Seminars.
Der Bund beteiligte sich am Neubau und an der Unterhaltung des reformierten Studienhauses in Göttingen, das bis dahin allein von der dortigen Gemeinde getragen worden war. Er hielt Ausschau nach einer theologischen Vorschule, »in der der theologische Nachwuchs für 1-2 Semester vor Beginn des Hochschulstudiums in reformierte Theologie und die biblischen Sprachen eingeführt wird«. Mit Hilfe der Deutsch-reformierten Gemeinde Frankfurt wurde ein Theologisches Konvikt errichtet, dem der Bund 1960 beitrat. Weil seinen Anforderungen (Einführung in den Heidelberger und in die biblischen Fächer) die Arbeit im Konvikt aber nicht entsprach, zog er sich 1978 von ihm zurück wie auch die Gemeinde.
Zur Verkündigung gehören die Taufe und das Heilige Abendmahl. Zur Belehrung der Gemeindeglieder hat das Moderamen mehrmals ein Tauf- und ein Abendmahlsbüchlein herausgegeben. Leider sind sie außer Gebrauch gekommen.
Längst ehe Lutheraner es kritisiert haben, hat sich das Moderamen angesichts eines geplanten Einheitsgesangbuchs gegen die Altertümelei vorgesehener Lieder gewandt. Es hat darüber ein eigenes Heft mit einem Vortrag von D. Dr. Hollweg den Gemeinden zugehen lassen. Leider waren die Bemühungen ohne Erfolg. Nachdrücklich ist das Moderamen für den Gesang der Psalmen mit ihren herrlichen Melodien eingetreten.
Der genannte Vortrag ist in einer Schriftenreihe »Nach Gottes Wort reformiert« erschienen. Sie wurde nach dem Kriege von Heft 5 an bis Heft 18 (1967) von Karl Halaski herausgegeben und ist danach eingestellt worden. Immer wieder ist die Frage erörtert worden, wie das für die Gemeinden so wichtige Kleinschrifttum bereitgestellt werden könnte. Leider ohne Ergebnis.
Daß ein reformierter Bund jeweils gezielt zum Halten der Gebote Gottes aufrief, ist nicht verwunderlich. D. Hesse ermunterte das Moderamen, darauf zu dringen, die Ehescheidung ernster zu beurteilen.
Die Massenvereidigungen in der Nazizeit gaben Veranlassung für das Moderamen, einen Beschluß zum Beamteneid zu fassen. Das Wort, von D. Walter Herrenbrück, dem Landessuperintendenten der Ev.-ref. Kirche in Nordwestdeutschland, verfaßt, wurde den Staats- und Länderregierungen und auch dem Rat der EKD 1951 zugesandt, unter Hinweis auf die Grenze aller Treueide am Gehorsam gegen Gottes Gebote, Vereidigungen nur da vorzunehmen, wo es verantwortet werden kann.
Daraufhin hat später der Rat der EKD dafür gesorgt, daß in der Bundesrepublik die Rekruten nach ihrer Einberufung keinen Eid schwören, sondern nur ein Gelöbnis abgeben müssen. Gründlich befaßte sich das Moderamen im Herbst 1952 mit der Reichweite des 2. Gebots. In einem wiederum von D. Herrenbrüsk entworfenen Beschluß stellte das Moderamen fest: »Der Sohn Gottes hat wahre menschliche Natur angenommen. Er ist aber zugleich wahrer Gott.
Daher sind Abbildungen Jesu Christi ebenso unmöglich wie Abbildungen Gottes.« Der Neukirchener Verlag wurde gebeten, dies bei der Gestaltung der Rückwand seines Abreißkalenders zu beachten. Der damalige Militärbischof willigte ein, im Militärgesangbuch keine Abbildungen Jesu Christi zu bringen. Um so bedauerlicher ist es, daß neuerdings auf der ersten Seite eines reformierten Kirchenblattes ein strampelndes Jesuskindlein zu sehen war. Die Stellungnahme des Moderamens ist ebenso wie die zum Beamteneid in Heft 13 der Reihe »Nach Gottes Wort reformiert« zu finden.
Hier ist auch ein Wort des Moderamens vom Frühjahr 1947 über »Die Einheit der EKD und die Augsburger Konfession« enthalten. Die Bemühungen, die Einheit der EKD auf dieses Bekenntnis zu gründen, seien vergeblich, weil schon sehr früh Auseinandersetzungen um seine Auslegung entstanden seien. Die Einheit der Kirche sei von den in der EKD verbundenen Bekenntniskirchen unter Berufung auf die Barmer Erklärung verbindlich bezeugt worden und diese Tatsache dürfe unter keinen Umständen verdunkelt werden. Das Moderamen schloß sich dem Protest der nordwestdeutschen Kirche an, die EKD lediglich als einen Kirchenbund zu verstehen.
Die Hauptversammlung von 1962 rief die Gemeinden auf, aufgrund der Arnoldshainer Abendmahlsthesen die äußere und innere Verbundenheit der Bekenntnisse in der EKD wirksam werden zu lassen und für die volle Abendmahlsgemeinschaft in der EKD einzutreten. Später trat der Bund der Leuenberger Konkordie bei, die den Streit zwischen den Konfessionen als überholt erklärte. Scharfen Einspruch erhob die Hauptversammlung von 1950 gegen die Aufforderung des Kirchlichen Außenamtes der EKD, die evangelischen Auslandsgemeinden möchten sich dem Lutherischen Weltbund anschließen.
Es folgten lange Auseinandersetzungen hinsichtlich der Gemeinden in Großbritannien und in Italien. Die Lutheranisierung setzte sich durch, auch in Brasilien, obwohl dort die größte deutsche Synode vordem schweizerische Präsidenten gehabt hatte. Als einzige reformierte Auslandsgemeinde ist die in Kopenhagen übriggeblieben. Hatten wir auf der Hauptversammlung 1956 noch einen Vortrag gehört »Sollen wir wieder katholisch werden?«, so begrüßte das Moderamen im Sommer 1971 die Ausgabe einer gemeinsamen Bibellese mit der römisch-katholischen Kirche unter der Voraussetzung, daß die Apokryphen nicht berücksichtigt würden.
Im Frühjahr 1977 hat das Moderamen empfohlen, den Ausgaben des Heidelberger folgende Anmerkung zu Fr. 80 beizufügen: »Der Katechismus spricht hier die harte Sprache des Kampfes, der in der Reformationszeit um die rechte Lehre geführt wurde. Der Gegensatz der Auffassungen über die römisch-katholische Messe und das ev. Abendmahl besteht auch heute noch. An die Stelle der Verdammung ist aber das ökumenische Gespräch zwischen den Kirchen getreten«.
Mit Teilnahme der Katholiken hat die Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates eine Erklärung über Taufe, Eucharistie und Amt erarbeitet. Das Moderamen hat bereits im Sommer 1976 das darin vorgetragene Amtsverständnis kritisiert. Es schlug 1977 die wechselseitige Anerkennung der vorherrschend neutestamentlich orientierten Ordnungstypen vor, die indirekt auch eine wechselseitige Würdigung der Amtsverständnisse einschließt.
Inzwischen hat die Kommission für Glaube und Kirchenverfassung ihre Vorlage, Accra-Papier genannt, überarbeitet und nach dem neuen Tagungsort als Lima-Papier bezeichnet, der Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Vancouver unterbreitet. Dieser Text wird uns schmerzliche Überlegungen bereiten, kommt doch z. B. unser bewährtes Ältestenamt in ihm überhaupt nicht vor! Läge hier nicht eine Aufgabe für unsere jährlich tagende Professorenkonferenz vor. (?) Auch unsere Studenten, die ab und an zu einer Freizeit sich treffen, werden an diesem ökumenischen Dokument nicht vorbeikommen, da sie ja das Predigtamt erstreben, das in dem uns zugeleiteten Text von dem übergeordneten Bischofsamt abhängig ist.
Was die Juden anlangt, so sollte nicht vergessen werden, daß der Moderator des Bundes, D. Hesse, als einziger der führenden Kirchenmänner Deutschlands wegen einer Solidaritätserklärung mit ihnen ins Konzentrationslager gekommen ist. Bereits im Sommer 1942 hatte das Moderamen eine Erörterung der Frage »Israel nach dem Fleisch« in Auftrag gegeben.
Diese führte zu Leitsätzen von D. Baumann, Stettin, im Anschluß an Röm. 9-11. Das Moderamen beschloß, diese an D. Wurm weiterzugeben mit der Bitte, mit anderen zusammen ein klärendes Wort an die ganze Pfarrerschaft in Deutschland zu richten. Erst 1982 kam es dazu, daß der Bund einen Rabbiner bat, auf der Hauptversammlung einen Vortrag zu halten über »Anfrage eines Juden an eine christliche Synode«, und der Holländer Prof. Berkhof über den »Weg der Juden als Anfrage an Lehre und Leben der reformierten Kirche« sprach. Die Versammlung beschloß, daß das Thema »Israel und die Kirche« weiterverhandelt werden soll unter Beteiligung der Gemeinden.
Im Blick auf das von der Judenfrage völlig verschiedene Rassenproblem hat das Moderamen die Gemeinden 1970 aufgerufen, sich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen. Die Hauptversammlung von 1978 setzte einen Südafrika-Ausschuß für die weitere Behandlung der Angelegenheit ein. Das Moderamen erklärte ein Jahr später in längeren Ausführungen die Beziehung des Bundes zu den reformierten Kirchen Südafrikas und bekundete seine Solidarität mit den dortigen schwarzen reformierten Kirchen. Da alle Fühlungnahmen nichts fruchteten, brach die Hauptversammlung von 1982 das Gespräch mit der reformierte Burenkirche ab.
Heilsamen Wirbel in der EKD, in der Öffentlichkeit, aber auch in unseren Gemeinden erzeugte das im Blick auf die Versammlung des Reformierten Weltbundes in Ottawa vom Moderamen 1982 herausgegebene »Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche«. In ihm wird ein Nein zu den Massenvernichtungsmitteln ausgesprochen ohne jedes Ja. Bereits im Mai 1957 hat der damalige Moderator D. Dr. Niesel eine Stellungnahme zu den Massenvernichtungsmitteln angeregt. D. Herrenbrück legte dafür im Anschluß an eine Äußerung von Karl Barth einen Entwurf vor.
Nach einer leidenschaftlichen Aussprache, in der die meisten Mitglieder für das Wort eintraten und die Frage aufgeworfen wurde, ob wir noch reformiert, ja ob wir noch Christen seien, wenn wir hier schwiegen (so P. Jodrums), kam es dennoch zu keinem Beschluß, da einige dagegen waren und nicht überstimmt werden sollten. Immerhin beschloß die Hauptversammlung ein Jahr später:
»Bedrängt und besorgt stellen wir die Frage: Sind die neu erfundenen und hergestellten Machtmittel, die bisher in den Händen einiger Mächte sind, Machtmittel, die den Obrigkeiten von Gott überlassen sind, um ihren Dienst, für Recht und Freiheit zu sorgen, auszuüben, oder sind diese Machtmittel selbstherrlich geschaffen worden und werden sie so gehandhabt?« Während fast der gesamte Text einmütig angenommen wurde, reichte die Zeit nicht mehr, um die Schlußfrage abschließend zu besprechen. Die Hauptversammlung bat aber die Mitglieder, »das Gespräch mit aller Dringlichkeit unter dem Wort fortzusetzen«.
Nach bald 25 Jahren ist nun ein klares Ergebnis erzielt worden.
Zu unserer Freude haben unsere Gemeinden in der DDR ihm beigepflichtet. Leider mußten sie sich von uns organisatorisch trennen wie die dortigen Kirchen von der EKD; eine späte Folge des Hitlerregimes und des verlorenen Krieges, an dessen Schuld wir alle mitzutragen haben.
Die Webseite reformiert-info.de ist ein digitales Angebot des Reformierten Bundes, Dachverband der etwa 1,5 Millionen reformierten Gemeindeglieder in Deutschland.