Kirche von der Gemeinde her denken

Kritik an den EKD-Leitsätzen aus dem Reformierten Bund


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Das Moderamen des Reformierten Bundes hat im Rahmen seiner Sitzung am 19. September in Bad Bentheim über das Papier 'Kirche auf gutem Grund – Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche' beraten. Die Kommentare fielen durchwegs kritisch aus.

Professor Georg Plasger aus Siegen merkte schon in seiner Einführung die Zusammensetzung des sogenannten Z-Teams an, das ausschließlich aus kirchenleitenden Persönlichkeiten sowie drei jungen Erwachsenen aus der Verbandsarbeit besteht. So ehrenwert und kompetent die Kommissionsmitglieder auch seien, verwundere es nicht, dass die Perspektive der Leitsätze von dieser Zusammensetzung bestimmt ist, so Plasger.

Wenn es um die Zukunft der Kirche geht, kann die Gemeinde nicht außen vor bleiben.

Von dieser formalen Frage ging es in der Diskussion schnell in die Tiefe: Von woher bestimmen wir, was Kirche ist? Die Denkrichtung der Leitsätze sei die, möglichst viele Menschen zu erreichen. Die Herausforderung bestehe darin, den aktuellen Entwicklungen zu begegnen, „neue Kontaktflächen“ zu erkunden und „herausragende Events“ zu organisieren. Bis ins Detail würden manche Maßnahmen beschrieben, um den Draht zu den Menschen wiederzufinden. Das Ergebnis der jüngsten Freiburger Studie würde als ernste Bedrohung der Kirche verstanden und in Aktionspläne übersetzt.

Kaum in den Blick genommen werde aber die Herausforderung dessen, was uns die Bibel als Kirche mit auf den Weg gibt. Die Botschaft von der Liebe Gottes sei es aber, die uns in der Verkündigung und in der Gemeindearbeit zu allererst fordern und motivieren müsse. Mehrfach wurde von den Mitgliedern des Moderamens bemängelt, dass in dem Papier der Eindruck entstehe, die Kirche wisse um die Wahrheit des Evangeliums und müsse nur die Kommunikation und die Wirksamkeit verbessern. Sei es dem gegenüber nicht angemessen, das eigene Verständnis der biblischen Botschaft immer wieder zu hinterfragen und sich reformieren zu lassen?

Die Blickrichtung ändern

Genauso sei auch die Sprache der Leitsätze problematisch. Betriebswirtschaftliche Begriffe seien nicht von sich aus verwerflich, doch sei es ekklesiologisch fragwürdig, die Kirche über ihren öffentlich sichtbaren Nutzen an der Gesellschaft zu definieren. Über die Leitsätze hinaus kam an dieser Stelle das Gespräch auf die von prominenter Seite vorgetragene Kritik, die Kirchen hätten in der Corona-Krise geschwiegen. Der Vorwurf zeuge von Unkenntnis darüber, was in den Gemeinden vor Ort in Wort und Tat geleistet worden sei. Umgekehrt offenbare die beleidigte Reaktion mancher Kirchenleitenden darauf, dass die Kirchen nicht als „systemrelevant“ eingestuft und von Corona-Auflagen befreit wurden, ein fragwürdig geltungsbezogenes Bewusstsein von Kirche.

Bernd Becker, Redakteur der UK und Mitglied des Moderamens des Reformierten Bundes, merkte an, dass die Leitsätze außerdem ein in der ihr eigenen Logik deutlich sichtbares Lebenszeichen von Kirche vergessen hätten: Sehr viele Menschen erlebten täglich die Diakonie als einen Dienst christlicher Nächstenliebe. Trotzdem fehle sie im Selbstbild der Kirche und deren Ausrichtung oft und so auch hier.

Kirche von der Gemeinde her denken

Das Zukunftsteam wolle in der Analyse der Situation und in der Beschreibung der zukünftigen Herausforderungen überzeugend klingen und sei sich bezüglich vieler Entwicklungen und der momentanen Unzulänglichkeiten sicher. Des Weiteren würden die dringenden Maßnahmen aber in einem „sprachlich verkappten Imperativ“ (Plasger) als quasi alternativlos vorgetragen.

Dabei gehe es auffällig oft um neue Formen, die von übergeordneten Stellen „gefördert“ oder sogar umgesetzt würden. Das Stichwort „Stellvertretung“ fällt in diesem Zusammenhang ebenso wie „Konzentration“ und die Aufgabe „selbstbezüglicher“ Arbeitsbereiche. Selbst bei den Gottesdiensten gehen die Autor*innen von einem reduzierten und dafür vielfältigeren Angebot aus. Nicht zuletzt wird konfessionellen Alleingängen eine deutliche Absage erteilt. Sie seien „nicht mehr finanzierbar“.

Erinnerung an die Emder Synode 1571

Wie schon Georg Plasger in seiner Einführung erinnerten auch andere Beiträge aus den Reihen des Moderamens daran, dass im nächsten Jahr der Emder Synode gedacht werde, die vor 450 Jahren das reformierte Kirchenverständnis nachhaltig geprägt hat. Eine Verlagerung von Aufgaben sei demnach dann im Sinne der Kirche, wenn Aufgaben vor Ort in den Gemeinden nicht oder besser gemeinsam gelöst werden können. Die Initiative hierzu müsse aber immer von der Ebene kommen, auf der die Kirche zu allererst Kirche sei – nämlich aus der Gemeinde.

Die Bewertung kirchlicher Angebote, die Steuerung und Finanzierung übergemeindlicher Initiativen und ebenso die Zusammenlegung von Gemeinden und andere Maßnahmen könnten nach reformiertem Verständnis nur in synodaler Gemeinschaft besprochen und nicht aus kirchenleitender Perspektive beschlossen werden. Die Absage an jede kirchliche Hierarchie sei für die Reformierten kein beliebiges Alleinstellungsmerkmal, sondern konstitutiv für ihr Kirchesein. Das „angesichts der Wucht der anstehenden Aufgaben“ in Abrede gestellte „Selbsterhaltungsinteresse“ berühre das reformierte Prinzip, die Kirche von der Gemeinde her zu denken, empfindlich.

Der Gottesdienst bleibt die Mitte der Gemeinde

Schon vor dem Treffen des Moderamens hatte Rolf Wischnath, ehemaliger Generalsuperintendent und Mitglied des Reformierten Bundes, in einem Beitrag für zeitzeichen festgehalten, dass nach reformatorischem Verständnis der Gottesdienst als Versammlung der Gemeinde der primäre Ort zur Veränderung der Kirche sei. Die Leitsätze möchten den Gottesdienst dagegen „in Relation setzen“ zu anderen Alternativen. Auch an dieser Stelle erhebt sich Widerspruch aus den Reihen des Moderamens. Die Frage könne nicht sein, ob der Gottesdienst noch die geeignete Form sei, sondern nur wie. Da könnten allerdings durchaus bisher ungewohnte Zutaten (z.B. aus der Ökumene) hilfreich sein, regte Theologin Margit Ernst-Habib an.

Die Voten der Moderamensmitglieder gehen klar in eine Richtung: Das Verständnis von Kirche, das in den Leitsätzen vertreten wird, ist mit dem reformierten Prinzip einer presbyterial-synodal verfassten Kirche nicht kompatibel. Das Jubiläumsjahr 2021 soll dazu genutzt werden zu zeigen, wie gut eine von der Gemeinde her organisierte Kirche auf die Zukunft vorbereitet ist.

Reformierter Bund: Verabschiedung von Generalsekretär Achim Detmers

In einer Dankesfeier des Moderamens des Reformierten Bundes hat sich Achim Detmers als Generalsekretär des Reformierten Bundes verabschiedet. Zum 30. September 2020 wird er seine Tätigkeit nach Ablauf der 6-jährigen Amtszeit niederlegen.