Der Krustenaufbrecher

Der Pfarrer und Autor Kurt Marti wird 90

ref.ch. Am 31. Januar feiert der reformierte Berner Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti seinen 90. Geburtstag. Von sich reden gemacht hat er erst vor kurzem wieder als Nominierter für den Schweizer Buchpreis.

Seit er 2008 seine Jugenderinnerungen «Ein Topf voll Zeit» als sein letztes Buch bezeichnete, sind noch zwei vielbeachtete Werke erschienen. Die überraschend für den Schweizer Buchpreis nominierten «Notizen und Details» waren dabei ursprünglich nicht einmal in Buchform geplant.

Die 252 Kolumnen, die Marti zwischen 1964 und 2007 verfasste, bieten eine Chronik der Gesellschaftspolitik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Themen reichen von der Expo 1964 über das «Fremdarbeiter-Problem» und Tschernobyl bis zum Rechtspopulismus.

Erschienen waren sie in der inzwischen eingestellten Zeitschrift «reformatio», die in ihren besten Zeiten um die 1000 Abonnenten hatte. Ironischerweise hatte das Blatt dem «linksintellektuellen» Berner Pfarrer ebenso eine Carte Blanche gegeben wie dem jungen Pfarrerssohn Christoph Blocher, den Marti später unter vielem anderen kritisch ins Visier nahm.

Umfasst «Ein Topf voll Zeit» über 1400 Seiten, sind es bei seinem neuesten Werk «Heilige Vergänglichkeit. Spätsätze» nur gerade 48. Marti sinniert darin über die drei Jahre, die seit dem Tod seiner Frau Hanni vergangen sind. «Gott ist nie Ersatz, erst recht nicht für eine lebenslange Geliebte» heisst es beispielsweise.

Der Schauspieler Uwe Schönbeck liest am 15. Februar in der Berner Kulturkapelle «la cappella» aus Anlass von Martis Neunzigstem zu Jazzklängen aus diesem Buch. Kurt Marti selber will sich nicht feiern lassen, wie seine beiden Verlage Radius in Stuttgart und TVZ in Zürich auf Anfrage sagen.

Gedanken über den Tod hat Kurt Marti lange vor «Heilige Vergänglichkeit» formuliert. «was kommt nach dem tod?/ nach dem tod/ kommen die Rechnungen/ für sarg begräbnis und grab» heisst es in den 1969 erstmals erschienenen «Leichenreden». Der unverblümte Bruch mit der harmonisierenden Form der Leichenrede galt damals als literarische Sensation.

Es war nicht Martis erste Tat gegen die gesellschaftliche und sprachliche Verkrustung. Zwei Jahre vor den «Leichenreden» bewies er mit dem Mundartgedichtband «rosa loui», dass Dialekt nicht nur das «bluemete Trögli», sondern auch anti-idyllische, gesellschaftskritische Inhalte transportieren kann. Auch in der Theologie brach er Konventionen auf. Das «Unser Vater» dichtete er 1980 um in «unser vater/ der du bist die mutter/ die du bist der sohn/ der kommt/ um anzuzetteln/ den himmel/ auf erden».

Eine Sonderstellung innerhalb von Martis literarischem und essayistischem Werk nehmen tagebuchartige Texte wie «Högerland. Ein Fussgängerbuch» (1990) oder «Im Sternzeichen des Esels» (1995) ein. Hier kann er am besten Beobachtungen, Gedanken und Sorgen um Mensch, Gesellschaft und Natur ausdrücken.

Kurt Marti wurde am 31. Januar 1921 in eine politisch wache Berner Notariatsfamilie hineingeboren. Er besuchte zusammen mit Friedrich Dürrenmatt das «Freie Gymnasium» Bern. Danach studierte er zwei Semester lang Jurisprudenz, bevor er sich für Theologie - unter anderem bei Karl Barth in Basel - entschloss.

Nach Kriegsende verdingte er sich als Praktikant in der ökumenischen Kriegsgefangenenseelsorge in Paris. 1949 war er Pfarrer in Leimiswil, 1950-60 in Niederlenz und 1961-83 an der Nydeggkirche in Bern.


Von: ref.ch News/Irene Widmer, SDA, 28. Januar 2011