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Wie in einem Spiegel
Predigt von Rolf Wischnath zu 1. Korinther 13, 12
Denn jetzt sehen wir alles wie in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch schon jetzt ganz von Gott erkannt worden bin.
1. Korintherbrief 13, 12
I schwierig
Das Christentum ist eine schwierige Religion. Und der christliche Glaube ist eine verwegene Sache. Das ist mir dieser Tage wieder bewusst geworden. Denn ich habe dieses jüngst erschienene Buch gelesen, das den Titel trägt: „Warum ich kein Christ bin".
Der Autor ist Kurt Flasch, ein vielfach ausgewiesener 82jähriger Philosophiehistoriker, der seinen Lehrstuhl an der Ruhruniversität Bochum hatte. Er ist ein Mann staunenswerter Weisheit. Mitglied der großen Akademien von Florenz, Rom und Paris. Er diskutierte u. a. mit Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) an der Sorbonne. Seine Einführungen in die Philosophien des Mittelalters sind Standardwerke. Der weiß, wovon er spricht.
Kurt Flasch berichtet — ausgehend von seiner Herkunft aus einer liberal-katholischen, kulturell und politisch engagierten Familie —, wie er ins Zweifeln am Christentum gekommen ist. Und dann bespricht er die Hauptpunkte der christlichen Lehre in ihrer katholischen wie evangelischen Gestalt: Bibelautorität, Gottesbild im Alten und im Neuen Testament, Menschwerdung Gottes in Christus, Jungfrauengeburt, Sünde, Kreuz und Auferstehung, Versöhnung und Strafe, Himmel und Hölle. Immer wieder zeigt er auf, wie bestimmte theologische Positionen und Schlussfolgerungen im Fiasko enden. Gut finde ich, dass der Autor ausdrücklich darauf hinweist, dass er als praktizierender Christ nie schlechte Erfahrungen gemacht hat. Darum will er auch nicht über den Zustand der Kirchen lamentieren. Seine Kritik gilt der christlichen Lehre in ihren elementaren Begründungen und Vagheiten.
Mich hat dieses Buch, das auch mit einem leisen (nicht spöttischem) Humor geschrieben ist, erneut zum Nachdenken darüber gebracht, wie es eigentlich mit den Grundlagen meiner Theologie, meines Glaubens und meiner Predigten steht. Und so versuche ich, mich wieder einmal zu sortieren.
Eine Hilfe dabei ist der mir für heute aufgegebene Predigttext:
„Denn jetzt sehen wir alles (wie) in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von An-gesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch (schon jetzt) ganz (von Gott) erkannt worden bin.“
II schon jetzt — noch nicht
Die Frage nach wahrer Erkenntnis ist zu jeder Zeit die entscheidende Frage unserer persönlichen und erst recht jeder kirchlichen Existenz. Wie kommen wir zu einer gewissen und uns und die Anderen tragenden und tröstenden Erkenntnis? Diese Frage steht hinter jedem Gottesdienst, jeder Predigt und jeder Konfirmandenstunde, hinter jeder Taufe und Abendmahlsfeier, jeder diakonischen Anstrengung und auch hinter allen volkskirchlichen Freizeitangeboten. Erst recht steht die Frage nach verlässlicher Erkenntnis im Religionsunterricht und in der Universität hinter jedem theologischen Gedanken, der dort gefasst und vorgetragen wird. Entweder geschieht das alles in der Kraft und Folge wahrer Erkenntnis, mithin im Geist der Wahrheit - oder es ist dummes Zeug.
Nun allerdings ist im Alten Testament „Erkennen" mehr als Verstehen und Einsehen und Be-greifen. Das ist es auch. Aber „erkennen" ist im hebräischen Teil der Bibel darüber hinaus ein Wort intensivster Zuneigung. „Erkennen" bedeutet auch das liebevolle Begehren und intensive Begegnen von Menschen. In diesem doppelten Sinn spricht Paulus davon, dass er schon jetzt ganz von Gott erkannt ist. In seinem Sinn darf es auch von Dir und mir gesagt werden: Gott kennt dich und mich, ER erkennt dich und mich. Und er will dich und mich mit größtem Verlangen und in aller Leidenschaft gewinnen. Wenn wir also als Christen vom Erkennen sprechen, dann muss und darf zuerst und vor allen anderen Dingen davon die Rede sein, dass wir alle längst von Gott in seiner Zuneigung und Liebe zu uns erkannt worden sind. Das große Hohe Lied von der Liebe (1. Korinther 13), in welchem dieses Wort vom Erkennen eingefasst ist, spricht vor allem von der unverbrüchlichen Liebe Gottes in Christus Jesus: Wir sind hineingenommen in die Liebe Gott. Wann? Diese Frage hat Paul Gerhardt unvergleichlich in seinem Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier" zum Ausdruck gebracht:
Da ich noch nicht geboren war,
da bist du mir geboren
und hast mich dir zu eigen gar,
eh ich dich kannt, erkoren.
Eh ich durch deine Hand gemacht,
da hast du schon bei dir bedacht,
wie du mein wolltest werden.
Ich lag in tiefster Todesnacht,
du warest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
0 Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht',
wie schön sind deine Strahlen!
Wir sind mithin so beteiligt an der Offenbarung der Wahrheit Gottes in dem zu Bethlehem Geborenen. Wir sind beteiligt am Werk Gottes für die Welt - in ihm. Und wir sind von Ewigkeit her in dieses Werk einbezogen und befähigt, dabei mitzutun. Sofort ist klarzustellen: Es kann sich immer nur um ein Mittun handeln daraufhin, dass Gott selbst schon in Jesus Christus etwas mit uns getan hat und tut. Im Blick auf die Erkenntnis der Wahrheit brauchen wir uns also nicht zu präparieren. Von ihm erkannt, d.h. von ihm liebevoll und leidenschaftlich gemeint und gefunden, finden wir uns schon vor in seinem Werk. Unser Platz ist uns schon angewiesen.
Das allerdings bedeutet nun jedoch nicht, dass wir über die wahre Erkenntnis verfügen könnten. Die Lektüre des Buches von Kurt Flasch hat mir wieder einmal gezeigt, dass ein Theologe damit rechnen muss, dass ihm alles infrage gestellt wird - alles. Und er hat die wahre Erkenntnis nicht in Buchdeckeln, um sie wie ein Rezeptbuch aufzuschlagen und das jeweilige Rezept umzusetzen und zu kochen.
Schon in der frühen Zeit der Christenheit gab es aber die sog. „Charismatiker" (Geistbewegte), die meinten, gerade das zu können: den Geist Gottes, den Geist der Wahrheit garantiert in sich zu haben und in Aufsehen erregenden Taten und Erfolgen vorführen zu können. Paulus befasst sich mit solchen Charismatikern auch im nächsten Kapitel 14 seines 1. Korinther-briefes. Er — und auch der Evangelist Johannes (z. B. Johannes 14, 15 – 21) — setzen sich hart mit dieser Art von Wahrheitsbesitzern und Begeisterten auseinander. Sie unterstreichen nachdrücklich: Die Voraussetzungen für die Erkenntnis der Wahrheit liegen nicht in uns, sondern in dem, was Jesus Christus für uns getan hat und tut. Und dies ist vor allem sein Weg zum Kreuz, sein Sterben am Karfreitag. Das Kreuz jedoch verbietet alle possessiven, besitzanzeigenden, auftrumpfenden und überschwänglichen Geistesblitze, Gesten oder imposante Wundertaten.
Paulus spricht in diesem Sinne davon, dass wir jetzt alle wahren Erkenntnisse nur wie in einem Spiegel wahrnehmen können. In einem Spiegel? Man muss sich vor Augen führen, dass ein Spiegel damals nicht der silberne, klare Badezimmerspiegel unserer Zeit war, sondern ein aus möglichst glänzenden Bruchstücken zusammengesetztes Brett, das immer nur gebrochen und undeutlich einen Menschen wiederspiegelt, der sich in einem solchen Spiegel ansieht. In diesem Sinn ist unsere Wahrheitserkenntnis („wie im Spiegel") Rätsel und Stückwerk. Jetzt im irdischen Leben kommen Menschen über ein mittelbares, auf Deutung angewiesenes, stückweises Erkennen nicht hinaus. Man darf nun aber nicht sagen, wir könnten überhaupt nichts wissen und erkennen und für wahr halten. Jener Spiegel, von dem Paulus spricht, gibt uns einen gebrochenen Blick auf die Wahrheit frei. Insofern sind wir nicht ahnungslos. Es muss uns nicht verstummt lassen Aber es ist dieser Blick doch weit entfernt, und zugleich bleiben schwerste Fragen. Johannes Calvin schreibt zu dieser Bibelstelle: „Die Erkenntnis Gottes, die wir jetzt aus seinem Wort haben, ist gewiss und wahr und hat nichts Trügerisches. Aber im Vergleich damit, dass wir Gott einst von Angesicht zu Angesicht sehen werden, muss man diese Erkenntnis „dunkel' nennen." Das vollkommene Erkennen ist mithin dem Leben in der vollendeten Gottesherrschaft vorbehalten. Solange wir in dieser Welt leben, ist unser Erkennen nur gleichnishaft, bruchstückweise möglich. Aber in der Vollendung werden wir in umfassender Weise ganz erkennen, so wie wir von Gott schon jetzt ganz erkannt wurden, als er uns vor aller Zeit zum Glauben erwählte und bestimmte zu einer Existenz im Raum der Wahrheit und des Stückwerks.
[Hans Joachim Iwand: „Glaube ist nur ein Anfang. Glaube ist das Leben in einer verkehrten Welt. Glauben heißt eigentlich immer gegen den Strom schwimmen …. Einmal aber werden wir sehen, einmal wird es auch hier heißen: ,von Angesicht zu Angesicht'. Einmal werden wir nicht mehr dastehen als die ,Irrenden und doch die Wahren'. Einmal wird das Bekenntnis aller, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, unser Bekenntnis sein. Einmal wird Harmonie sein zwischen dem, was wir glauben und dem, was wir — ohne über das Wie etwas ausmachen zu können —schauen. Der Glaube müsste uns darum, wenn wir um seine Vorläufigkeit wüssten, lösen und erlösen von dem Gebundensein an das hinfällige Gehäuse, in dem wir existieren; er müsste, weil er die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Schauens involviert, die Fesseln lösen, die uns jetzt noch an dieses irdische Dasein binden. Er müsste uns den eigentlichen Maßstab in die Hand geben, nach dem wir Wert und Unwert recht messen können." (H.-J. lwand, Predigt-Meditationen I, S. 149)]
[Karl Barth: „Dass ich jetzt und hier, indem ich Gott erkenne, ein von ihm Erkannter bin, das ist das Erkennen Gottes von Angesicht zu Angesicht, dessen wir jetzt und hier nur warten können, dessen wir jetzt und hier aber gerade nicht teilhaftig sind. Ich kann der Wahrheit meines Erkennens Gottes jetzt und hier nur darin gewiss sein, dass ich dessen gedenke: Gott hat mich erkannt und daraufhin darf ich ihn erkennen. Dadurch und dadurch allein, dass dem so ist, ist mein Erkennen vor dem Irrtum geschützt." KD II/1, 46]
Der Dichter Rudolf Alexander Schröder hat diesen Zusammenhang von „schon jetzt" und „noch nicht" in einen Vers gebracht:
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel
in einem dunklen Wort.
Doch kommt der Tag und sprengt den Riegel.
Und schiebt die Decke fort.
Denk keiner, dass er sich versäume:
Er holt uns jählings ein.
Wird jedem sein, als ob er träume,
Voll Lachens wird er sein.
Auch sorget nicht, dieweil wir darben:
Der Weizen wird gemäht.
Dann bringen wir getrost die Garben,
Die unser Schmerz gesät.
[Schrage, II, 359]
III trotzdem
Was aber geschieht nun vor unseren Augen in der Kraft solchen Erkennens? Was geschieht? Und woran kann ich merken, dass es sich so mit jener Erkenntnis verhält? Es kann in vielerlei Gestalten geschehen. Eine aktuelle sei benannt:
Man muss nicht das Buch „Warum ich kein Christ bin" lesen, um sich daran zu erinnern, dass jeder einigermaßen engagierte Christ dann und wann, mal mehr oder weniger mit dem Gedanken gespielt hat und spielt, diese schwierige Religion, diese verwegene Sache des christlichen Glaubens, seine Widersprüche, die Lektüre einer oft so rätselhaften Bibel an den Nagel zu hängen und sich nicht weiter abzugeben mit dem törichten Wort vom Kreuz und der überaus hochmögenden Geschichte vom leeren Grab und vom Auferstandenen. Einer meiner wichtigen theologischen Lehrer (Iwand) hat öfters gesagt, dass er zeitweise morgens aufstünde mit dem Satz: „Schluss damit. Heute trete ich aus — aus der Kirche!" Und dann wäre er abends eben immer noch dabei und drin.
So geht es momentan vielen katholischen Mitchristen im Blick auf den Limburger Skandal. Sie stehen unter einer schweren Belastung, die manchen von ihnen den Austritt aus ihrer Kirche erwägen lassen. Und Manche von ihnen gehen auch. Aber es gibt auch in der Evangelischen Kirche Zustände, die den Austritt nahe legen lassen. Der geregelte Ärger sitzt auch bei uns „in den Pösten“, wie es auf westfälisch heißt. Wohl wahr, manches Mal habe auch ich Sehnsucht, es zu lassen. Die klerikale Enge und Verspieltheit, die oft so ärgerliche Leichtigkeit des protestantischen Kirchenwesens, die Verkrustungen in zahllosen Gremien und Ämtern möchte ich dann hinter mir lassen. Ich möchte dann lieber die breite lichte und liberale Straße der alltäglichen guten Einfälle und Plausibilitäten ziehen. Oder ich sehe mich genötigt, mich den schwerwiegenden Argumenten und den dennoch heiteren Welt und Lebensbezügen eines weisen Atheisten zu beugen. Kurt Flasch sagt in einem Interview über sein Buch: „Ich denke, mit dem Tod ist alles aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gedanke oder ein Willensakt ganz ohne körperliche Maschinerie vollzogen werden kann. Ich fasse diesen Gedanken ruhig, ohne Erregung. Ich bin vergnügt, wie sie sehen." Warum nicht? Ist das nicht ziemlich verführerisch?
Wenn ich aber dann dennoch dabeibleibe, dann darum, weil mir rätselhafter Weise das Weggehen noch schwerer und unmöglicher wird als das Dabeibleiben — rätselhafter Weise! Ich stehe mir selbst wie einem Rätsel gegenüber. Es vergeht mir, von der eigenen Standhaftigkeit zu reden. Ich sehe mich aber so an die Wand gedrängt, dass ich nicht mehr umfallen kann. Ich fange an, beschämt und dankbar zu staunen über die fremde Beständigkeit, die mich Ungetreuen bei der Wahrheit von Jesus Christus so stark festhält. Das ist das Werk des Heiligen Geistes. Und es ist dieser Geist, der Macht hat und über uns wacht wie eine Mutter über ihre Kinder und der uns durch den Tod ins Leben zieht, so dass wir ihn sehen „von Angesicht zu Angesicht" und wir ihn „ganz erkennen, wie auch wir (schon jetzt) ganz (von Gott) erkannt worden sind." Was für eine Aussicht! Was für ein Ziel? Herr, wie lange noch?
Aber eben das gibt es nun schon jetzt im Diesseits, dass das Zeugnis des Geistes Menschen zu jener vorläufigen, aber dennoch so gewissen und tiefen Erkenntnis und Überzeugung bringt und festhält, dass nun nicht nur sie selber, sondern auch so viele Menschen der Vergangenheit und der Gegenwart und der Zukunft für das Recht ihres gekreuzigten Herrn eintreten. Sie treten hin vor die Welt mit der unerhörten Aussage eines Zeugen / einer Zeugin Jesu Christi: Sein Sterben ist der Sieg über die Welt; und: „Die Welt wird durch den Gekreuzigten und nicht durch die Kreuziger erlöst" (Benedikt XVI). Das gibt es — und hier sind wir einbezogen: Menschen, denen der Glaube nie Besitz wird, sondern die seine Rätselhaftigkeit aushalten und angefochten bleiben. Sie halten sich an jenes Zeugnis des Geistes. So unerhört das ist, es ist dennoch kein Wagnis. Der Geist lehrt uns ja: es nicht zu wagen, wäre das größere Risiko, bei dem wir alles aufs Spiel setzen:
Wenn schon „Wagnis", dann doch nur im Sinn von Schillers Wilhelm Tell: wie ihn der Fährmann zum Zeugen anruft, dass im Sturm die Überfahrt nicht zu wagen sei, um die ein gehetzter Flüchtling bittet, da antwortet er: „Wo's Not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen!" (Wiederholung des Absatzes:) -
Mit diesem Schiller-Zitat wollte ich ursprünglich meine Predigt beenden. Es wird mir nun jedoch aus dem Mund genommen. „Wo's Not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen!" Das kann man in diesen Tagen nicht sagen, weil es ein Wort für jene bösen Menschen wäre, die die Ärmsten der Armen aus Afrika gegen hohe Geldsummen nach Lampedusa in brüchigsten Boten schicken. Und so erinnert jener Satz vom „Wagnis“ heute unabweisbar an einen anderen „Sturm", eine andere „Überfahrt", eben an jene Geschehnisse, die in der letzten und vor-letzten Woche im Untergang von über 400 Flüchtlingen im Mittelmeer unseren Glauben an die Vorsehung Gottes in einer noch ganz anderen Weise als durch ein philosophisches Buch in Frage stellt. Ist denn das erklärbar? Nein! Ist das hinnehmbar? Nein! Sollen wir nun von der Ewigkeit sprechen, in der dann für die Ertrunkenen dennoch alles gut sein möge. Nein! Anders als in der Solidarität und im Einsatz und im Gebet für diese afrikanischen Flüchtlinge kann heute und in diesen Tagen die Wahrheit des Glaubens nicht bezeugt werden. Im Gleichnis vom großen Weltgericht (Matthäus 25, 31— 46) heißt es im Wort des Weltenrichters: „Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt — und wenn sie noch so unbedeutend sind -, das habt ihr für mich getan."
[Und der große Jüdische Philosoph Martin Buber sagt einmal: „Wenn einer zu dir kommt und von dir Hilfe fordert, dann ist es nicht an dir, ihm mit frommem Mund zu empfehlen: ‚Habe Vertrauen und wirf deine Not auf Gott‘, sondern dann sollst du handeln, als wäre da kein Gott, sondern auf der ganzen Welt nur einer, der diesen Menschen helfen kann: du allein.“]
Eingangsgebet (Sylvia Bukowski)
Heile mich, Herr, so werde ich heil; hilf mir, so ist mir geholfen. - Jeremia 17,14
Du Heiland der Welt,
wir machen uns und andere oft kaputt
mit überzogenen Erwartungen.
Wir tragen möglichst viel Stärke zur Schau,
um uns nur ja keine Blöße zu geben.
Durch heillose Zustände in der Gesellschaft
werden wir krank an Leib und Seele.
Gott, lehre uns,
unsere Grenzen zu akzeptieren,
und einzugestehen,
dass wir verletzlich sind.
Ermutige uns,
nicht hinzunehmen,
was unser Leben und die Zukunft zerstört.
Heile du uns durch dein gnädiges Wort.
Hilf uns durch deine mächtige Hand.
Bescheidenheit
Verleihe uns rechte Bescheidenheit
Ein Gebet von Johannes Calvin
"Allmächtiger Gott! Dieweil wir in dieser Welt solchergestalt unsere Pilgerschaft haben müs-sen, dass wir täglich der Lehre und Leitung deines Geistes bedürfen, so bitten wir dich, du wollest uns verleihen, dass wir uns in rechter Bescheidenheit von deinem Worte und deinem verborgenen Antrieb abhängig halten, ... auf dass wir ja nicht zu viel für uns selbst in Anspruch nehmen, sondern uns unserer Unwissenheit und Blindheit, ja, unserer Stumpfheit bewusst bleiben und darum allezeit zu dir unsere Zuflucht nehmen, auch nicht von des Satans und der gottlosen Menschen List uns hierhin und dorthin reißen lassen, sondern also in deiner Wahrheit befestigt bleiben, dass wir nimmermehr von ihr weichen, bis du uns durch den ganzen Lauf unserer Berufung hindurchleitest und wir solchergestalt zu der Herrlichkeit deines Reiches gelangen, die uns erworben ist durch das Blut deines eingeborenen Sohnes. Amen."
Fürbittengebet (nach Manfred Josuttis)
Herr, ewiger und allmächtiger Gott.
Aus der Tiefe dieser Erde rufen wir zu dir.
In den Dunkelheiten des Lebens hast du uns erleuchtet.
In der Armut des Glaubens hast du uns gestärkt.
Im Stückwerk unserer Erkenntnis schenkst Du uns Anteil an Deiner Wahrheit.
Dank sei dir und deiner Barmherzigkeit.
Ehre sei dir und deiner Macht.
Wir beten dich an im Geheimnis deiner Herrlichkeit.
Weil wir dich in dieser Allmacht und Unendlichkeit
Vater nennen dürfen,
bitten wir in Demut und Vertrauen
für die, die dich suchen:
führe sie auf allen Irrwegen ihres Lebens
auf den Weg zu dir;
lass sie durch alle Irrtümer hindurch
deine Wahrheit erkennen
und mit allen ihren guten und bösen Taten
deinen Willen tun.
Weil wir dich in deiner Weisheit, Allmacht und Unendlichkeit
Vater nennen dürfen,
bitten wir in Demut und Vertrauen
für die, die anderen Mächten dienen:
die voller Hass und Gier
Menschen unterdrücken und die Schöpfung zerstören,
die voller Grausamkeit
Kinder quälen und Frauen schänden,
die voller Sucht
ihr Leben mit Drogen gefährden,
die in Hochmut und Verblendung
ihr Wissen verkaufen und das Recht beugen,
die voller Wahn für Religion und Rasse und Volk
Menschen opfern.
Du, Herr, hast die Macht über alle Mächte,
du, Herr, kannst Menschen befreien.
Weil wir dich in deiner Allmacht und Unendlichkeit
Vater nennen dürfen,
bitten wir dich in Demut und Vertrauen
für alle, deren Leben leer ist:
die keine Arbeit finden,
die keine Kraft mehr haben,
die keinen Sinn mehr sehen,
die einsam sind,
für die, die hungern müssen und heimatlos sind,
und für die, die aus ihren Ländern fliehend
sich auf die Boote wagen und sich so Lebensgefahr bringen
für die, die ausgestoßen und abgewiesen werden.
Du, Herr, bist die Fülle des Lebens.
Du, Herr, führst alle zu dir.
Mit unserem Herzen, Herr,
bitten wir dich für die Menschen,
die dich heute finden:
stärke sie mit deiner Kraft,
erleuchte sie mit deiner Klarheit,
mache sie reich mit deiner Liebe.
Mit unserem Herzen, Herr,
danken wir dir
für das Geschenk des Lebens,
für die Gewissheit des Glaubens,
für die Hoffnung auf dein Reich.
Mit unseren Lippen, Herr,
rühmen wir deinen ewigen Namen,
preisen wir deine herrlichen Werke,
rufen wir dich in deiner Heiligkeit an: Unser Vater ...
Predigt zu 1. Korinther 13, 12 von Prof. Dr. Rolf Wischnath, gehalten am 13. Oktober 2013 in der Antoniterkirche zu Köln