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Über Faulheit
Predigt zu Sprüche 6,6-11 und Spr. 24,30-34. Von Dorothea Kuhrau
Predigt, gehalten im Predigtgottesdienst nach reformierter Tradition, Sonntag, den 8.1. 2012, Antoniterkirche Köln-City
Liturgische Lesung: Markus 4, 26-29: Gleichnis vom schlafenden Bauern und der selbstwachsenden Saat
Predigttext: Sprüche Salomonis 6, 6-11 und Sprüche Salomonis 24, 30 - 34
Über Faulheit
1. Meine Schwester macht mir Vorwürfe: „Du bist ja dermaßen faul. Ich halt es ja im Kopp nicht aus, wie faul du bist!“ Sie kocht uns das Essen. Dann spült sie alles ab. Ich sitze da.
Ich sitze neben unserem Besuch. Ich höre zu, was er sagt. “Wasser holen! Vom Brunnen!“, ruft meine Schwester aus der Küche. Ich rühre mich nicht.
Ich bin die faulste Frau des Neuen Testaments. Ich bin Maria. Die Schwester von Lazarus und Martha.
2. Überblick über die Predigtthemen 2012
2012 – liegt vor uns, liebe Gemeinde, zwölf Predigten über Weisheit und Torheit des Menschen im Lebensraum göttlichen Segens werden wir hören. Zwölf mal Beschäftigung mit einer Zeit in Israel, als die Klugheit wach wurde, der praktische Sinn: „Je besser ich die Dinge verstehe, die ich sehe, desto besser kann ich vielleicht Böses abwenden.“ So mag man damals gedacht haben. So denkt man heute. Aber auch aus purer Neugier und Sammlerlust wurde Auffallendes im Buch der Sprüche und der Klagelieder zusammengetragen. Es wird heute und in den kommenden Predigten um dieses frühe Erfahrungswissen gehen. Gesammelt wurde es wohl zuerst um 700 vor Christus am Jerusalemer Hof des Königs Hiskia und dann in den folgenden Jahrhunderten weiter.
Die Absicht, das erkenntnisleitende Interesse der älteren Weisheitssprüche ist klar: „Kann der Mensch im Lauf dessen, was ihm mehr oder weniger zufällig begegnet, etwas von einer guten Ordnung erkennen? Kann er seine widersprüchlichen Eindrücke so ordnen und deuten, dass er daraus Konsequenzen für ein gelingendes Leben für morgen und übermorgen ziehen kann? Ist da nicht manches Merkwürdige zu sehen bei ihm im Dorf? Wie kann er es anderen Phänomenen zuordnen? Eventuell erkennt er darin sogar Gottes Willen. - "Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.“ So mögen die Menschen im Alten Israel gedacht haben.
Erst in der zweiten Hälfte des nun vor uns liegenden Jahres wird die jüngere Weisheit in den Predigten ausgelegt werden, meist als Schicksalserfahrung. Schicksal, bei dem nichts trösten kann, weil das Leid übergroß ist. Alle Gedanken an Gott werden vom sinnlos Erfahrenen überschwemmt. „Es ist alles ganz eitel“, Sie kennen auch das.
3. Der frühe Weisheitstext, der uns heute beschäftigen wird, ist noch ganz geradlinig. Wir können nur ahnen, wie sich hier ein Menschenbild langsam formt. Die Menschen haben von Gott einen Schöpfungsauftrag erhalten. Sie sollen arbeiten. Arbeit ist etwas Lebensnotweniges: wer nicht arbeitet, wird nichts zu essen haben. Binsenweisheit einer bäuerlichen Kultur. Aber da gibt es ein paar seltsame Menschen, die fallen auf, weil sie anders sind. Mal hier einer, mal dort einer. Ja, was ist denn mit denen? Es sind die Faulpelze!
Unser Predigttext gibt die erste von vier solchen Beobachtungen wieder:
Sprüche 6, 9 – 11:
6 „Geh zur Ameise, du Fauler,
sieh dir ihre Wege an, und werde weise.
7 Obwohl sie keinen Anführer hat,
keinen Aufseher und Herrscher,
8 sorgt sie im Sommer für ihr Futter,
sammelt sie in der Erntezeit ihre Nahrung.
9 Wie lange, du Fauler, willst du liegen bleiben,
wann willst du aufstehen von deinem Schlaf?
10 Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig schlummern,
noch ein wenig die Hände ineinander legen und liegen bleiben“ –
11 da kommt wie ein Räuber die Armut über dich und wie ein bewaffneter Mann der Mangel.“
Je besser die Klugen in Israel den Menschen kennen lernten, desto mehr suchten sie nach Kräften der Faulheit zu wehren. Der Vergleich mit der Ameise, das haben wir allerdings inzwischen aus der Naturkunde gelernt, ist abwegig. Die Ameisen leben in einem Gemeinwesen mit komplizierter Hierarchie, mit Herrschern und Wächtern.
Ein weitere Spruchsammlung spiegelt eine ähnliche Erfahrung aus der Landwirtschaft:
Sprüche 24, 30 – 34
30 Am Feld eines Faulen ging ich vorüber
Und am Weinberg eines Unverständigen.
31 Und siehe, es war ganz von Unkraut überwuchert, seine Fläche war bedeckt von Wildwuchs, seine Mauer von Steinen war eingerissen.
32 Ich schaute und wurde aufmerksam,
ich sah und nahm eine Warnung mit:
33 Ein wenig noch schlafen, ein wenig noch schlummern, ein wenig die Arme verschränken zum Ruhen! –
34 So kommt wie ein Wegelagerer deine Armut und wie ein Bettler deine Not.“
Peinlich, könnte man sagen. Der Faule schadet sich selber. Er wird von gutwilligen Dorfbewohnern mehr oder weniger verachtungsvoll durchgefüttert werden. „Den Faulen bringt sein Begehren um, denn zu arbeiten weigern sich seine Hände... der Gerechte aber gibt, ohne zu geizen“
Oder er wird hungern. Sterben lassen wird ihn die Gemeinde nicht, das wäre gegen Gottes Willen. Ist das alles so wichtig? Lasst ihn doch!
Aber seine Faulheit ist nicht nur unangenehm für ihn, weil sie ein ärmliches Leben verursacht. Sie bringt vielmehr zwei Ärgernisse mit sich, die im Sprüchebuch genau beschrieben, oder vielmehr karikiert werden:
- Mancher Faule ist nämlich um Ausreden nicht verlegen, im Köpfchen hat er nicht nur Holzwolle:
Zur Rede gestellt, verteidigt er sich. Sprüche 26,13 sagt der Faule: „Ich kann nicht aus dem Haus, denn ein Raubtier ist draußen auf der Straße, ein Löwe ist auf dem Platz.“ Er provoziert die anderen durch seine lahmen Entschuldigungen.
- Doch eine letzte Beobachtung zeigt das wirklich Schlimme der Faulheit. Seine Mitmenschen müssen direkt darunter leiden: Auf ihn ist kein Verlass. „Weh dem, der von einem Faulen Hilfe erwartet, wer seinen Versprechen vertraut hat. Vergebens!“
Die frühe Weisheit sammelte, was sie sah: Faule Schläfer hier, lahme Zeitgenossen da – hungrige Bettler im Winter – Sie formte eine Regel und sah darin die Ordnung Gottes für seine Welt aufscheinen, sah die gute Schöpfung bestätigt. Der Mensch, als Teil der Schöpfung, macht freilich Gutes und Schlechtes, zuweilen ist er stinkfaul.
Doch weiß der Sammler der Spruchweisheit: Es gibt Schlimmeres als die Faulheit. In unserem Kapitel 6 schließt sich ein Sündenregister an den Predigttext an: „Sechs Dinge sind dem Herrn verhasst, sieben sind ihm ein Gräuel:
Hochmut, - Falschheit, - Hände, die unschuldiges Blut vergießen,- Verbrecherische Pläne, - Füße, die schnell dem Bösen nachlaufen, - ein verleumderischer Zeuge vor Gericht - und wer Streit entfacht unter Brüdern.“ So weit, so schlecht. Faulheit wird hier nicht mit aufgezählt. Ein elftes Gebot: „Du sollst nicht faul sein“, wurde am Sinai nicht gegeben. Faulheit muss von Gott nicht gestraft werden, sie straft sich selbst. So könnten wir im Stile Goethes gleichmütig sagen:
Gottes ist der Orient! Gottes ist der Okzident!
Nord- und südliches Gelände
Ruht im Frieden seiner Hände.
Gottes ist der Fleißige, Gottes ist der Faule,
Gottes ist die berufstätige Mutter, Gottes ist die Drückebergerin,
Im Frieden seiner Hände ruhen sie alle.
Dabei ist noch nicht ausgemacht, ob mehr Unheil in der Welt von den Faulen ausging, oder nicht doch von den Fleißigen. Im Frieden seiner Hände zu ruhen, das haben jedenfalls alle nötig.
Ob der Faule seinen Rasen nicht schneidet und seinen Weinberg zuwuchern lässt oder ob der Fleißige seine Hecke kürzt: Was soll’s? Ist es dem Herrn der Heerscharen nicht letztlich egal? Wir werden uns gleich um eine Antwort auf diese Frage kümmern, zuvor eine Beobachtung aus den letzten Wochen:
4. Je länger ich mich auf diese Predigt vorbereitete und Leute nach ihren Erfahrungen mit der Faulheit fragte, desto deutlicher merkte ich: Fehlanzeige. Faulpelze sind ausgestorben. Heute gibt es scheinbar keine Faulheit mehr. Maria, Marthas aufmerksame Schwester, war ja nur scheinbar faul. Ihr gehört seit fast 2000 Jahren unsere ganze Sympathie.
Stopft die junge Mutter heute nicht die Babywäsche in die Maschine, spült sie nicht das Geschirr, so ist sie nicht faul. Sie hat vielleicht eine postnatale Depression. Schlimm genug.
Sitzt sie apathisch vor dem Fernseher, ist sie vermutlich überfordert.
Bringt der Junge keine Hausaufgaben morgens in die Schule, war er nicht faul. Er kommt aus einem bildungsfeindlichen Milieu. Schreibt er auch in der Schule nichts auf oder nichts ohne Fehler, döst er rum, so ist er nicht faul, er hat eine massive Schilddrüsen-Unterfunktion.
Und schläft die junge Frau ein, während sie noch den Bissen vom Teller zum Munde führt, so hat sie vermutlich Narkolepsie. Für die Weisheitssprüche galt das einst einmal als d e r Beweis für Faulheit. Wir wissen es besser.
Faule Menschen sind ausgestorben. Es gibt nur noch Kranke.
Wen ich auch fragte, niemand kannte einen faulen Menschen oder wollte einen kennen. Denn andere faul zu schelten, gilt in unseren Kreisen als moralisierend und unfein.
Am Stammtisch allerdings klingt das anders. Da kennt plötzlich jeder einen, der „krank feiert“, obwohl er putzmunter ist. Da gelten plötzlich ganze Völker als faul.
Mangelnde Compliance, fehlende Kooperation umschreibt man die Faulheit heute wissenschaftlich. Es ist ein Arbeitsfeld für Spezialisten geworden, eine Aufgabe für Pädagogen, Therapeuten, Mediziner. Und diese können in der Tat manchem Kind und manchem Erwachsenen helfen, die Trägheit abzuschütteln, das Gelähmtsein zu überwinden.
Gehen wir also nach Hause, schließen wir das Buch der Sprüche für heute. Faulheit – was soll’s?
Aber ich kann hier die Predigt noch nicht schließen, kann noch nicht „amen“ sagen. Wir hatten ja gefragt, ob es dem großen Gott nicht letztlich egal ist, ob nicht auch die Faulen im Frieden seiner Hände ruhen dürfen. Ich denke: ja.
Für eine am Weiterkommen orientierte vernünftige Menschenkunde wie die Spruchweisheit jedoch musste jeder Faule als Störung im sozialen System des Dorfes erscheinen.
Aber wir, liebe Predigthörer, haben doch die Erlaubnis zum Faulsein vom Schöpfer, vom Chef persönlich, erhalten? Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten darfst Du ruhn, darfst Du feiern, darfst Du faul sein, relaxen, chillen.
Nur, dass dieses Ausruhen nicht Faulheit ist. Während der Bauer schläft, wächst in der Nacht seine Saat. So hörten wir es eben in der Lesung. Aber doch, weil er vorher das Feld vorbereitet hat, gepflügt, Steine abgelesen, für Wasser gesorgt, ausgesät, vielleicht eine Mauer gegen Tiere errichtet.
Wer nach Gottes Willen leben will, hat ab Montag wieder ganz schön zu tun:
„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen. Ich war krank und ihr habt mich besucht, ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. Ich war ein Hungriger in Afrika, und selbst um mich habt ihr versucht, Euch politisch nachhaltig zu kümmern.“
Faulheit ist leider nicht drin.
Wir können nicht Christus dienen, ohne ihm nachzufolgen. Jedenfalls nicht, so lange wir noch können. Wir können nicht an Gott glauben, ohne seinen Willen zu tun. Jedenfalls nicht, so lange wir noch können. Aber einfach ist das nicht: Ich, die ich mich für die Supereifrigste und Umtriebigste halte, die noch keinen Tag im Leben faul war, muss doch meine Trägheit bekämpfen. Schon lange will ich nach dem schwerkranken Nachbarn schauen, schräg gegenüber von uns. Seine Frau könnte bestimmt Hilfe brauchen. Aber ich bin nicht motiviert.
Und der Bitte eines Strafgefangenen in Hameln, der früher einmal für kurze Zeit bei mir im Seminar war, ihn doch einmal zu besuchen, würde ich auch lieber nicht folgen. Immer ist anderes wichtiger. Morgen, denke ich. Morgen. „Noch ein wenig ruhn ...“.
6. Und dann wird einmal der Tag kommen, wo ich nur noch faul sein kann. Und „ein anderer wird mich gürten und führen, wohin ich nicht will“. Wenn ich dann überhaupt noch laufen kann. Dann werde ich mich freuen, wenn einer zu mir kommt. Wenn er nicht faul ist, sondern ein wenig mit mir plaudert oder mir vorliest.
Zum Beispiel das Gedicht von John Milton von 1638:
Über seine Erblindung
Wenn ich bedenke, wie mein Augenlicht
Geschwunden ist, obwohl ich dreißig erst,
Wie mich die tiefe Nacht umbreitet,
Und wie ein Pfund, das zu vergraben Tod bedeutet,
( - Mit dem der Knecht doch eifrig wuchern sollte,
Sonst schillt der Herr bei seiner Rückkehr ihn - ),
Dies Pfund bei mir nur nutzlos liegt,
Obwohl ich ganz und gar
Dem Schöpfer damit dienen möchte,
Um vor ihm abzurechnen mit Gewinn.
„Wie, Gott will Arbeit, die ich schaffen soll,
Und er versagt das Licht dazu?“ - so frag ich kühn.
Drauf spricht die Langmut: „Murre nicht,
Gott hat nicht Not des Menschenwerks,
Auch nicht der Gaben, die er selber schenkte.
Sein Joch ist sanft, und wer’s am besten trägt,
Der dient am besten.
Gott ist ein König; sein Gebot
Schickt rastlos Tausende durch Land und Meer:
Auch jene dienen, die nur stehn und warten.“
(On His Blindness
When I consider how my light is spent,
Ere half my days, in this dark world and wide,
And that one talent which is death to hide
Lodged with me useless, though my soul more bent
To serve therewith my maker, and present
My true assount, lest he returning chide,
“Doth God exact day-labour, light denied?”
I fondly ask. But patience, to prevent
That murmur, soon replies, “God doth not need
Either man’s work or his own gifts.Who best
Bear his mild yoke, they serve him best. His State
Is kingly; thousands at his bidding speed
And post o’er land and ocean without rest:
They also serve who only stand and wait.”)
Und der Friede Gottes, der höher ist alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne an faulen wie an fleißigen Tagen in Christo Jesu. Amen.
Dorothea Kuhrau