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Da wurde es ganz stille
Matthäus 7, 15-27 - Vom Hausbau - Predigt von Gudrun Kuhn zum 9. Sonntag nach Trinitatis
Liebe Gemeinde,
"Vom Hausbau" ist unser heutiger Predigttext überschrieben. Man könnte auch titeln: "Vom Sommerwetter 2011". Ich lese:
Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.
Wer wollte da nicht zustimmen. Diese Gleichnisrede ist ja geradezu zum Sprichwort geworden: Etwas auf Sand bauen, etwas in den Sand setzen … Nur Törichte tun dies. Töricht, das sind wir ja nicht. „Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ Amen.
So harmlos, wie der Ausschnitt klingt, ist die Geschichte nun leider aber doch nicht. Wie reagieren die Zuhörer im weiteren Textverlauf?
Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre; denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie ihre Schriftgelehrten.
Entsetzen erfasst sie. Sicher nicht über das Hausbaugleichnis. Das war nur der Abschluss von dieser Rede. Und mit dieser Rede ist nichts Geringeres gemeint als die so genannte „Bergpredigt“. Entsetzt lässt der Evangelist die Zuhörer reagieren, weil er den Ernst der ethischen Forderungen Jesu durch eine Gerichtsandrohung unterstreicht.
Ich lese, was dem Gleichnis unmittelbar vorausgeht:
Vom Tun des göttlichen Willens
Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten. Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden! Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen böse Geister ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Wunder getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!
Was wir da gehört haben, sind alles Hochglanzsätze. Die meisten von uns kennen sie seit der Konfirmandenzeit und dem Religionsunterricht. Aber gerade das erleichtert uns das Verstehen nicht gerade. Ich möchte Sie daher zu einer Zeitreise einladen. Vielleicht hilft es uns, den alten Text besser aufzunehmen, wenn wir uns auf die Situation seiner ersten Leserinnen und Leser hineinversetzen.
Stellen Sie sich vor:
Sie leben im ersten Jahrhundert in Antiochia in Syrien. (Heute Antakya in der Türkei.) Schlimme Nachrichten haben Sie in den letzten Jahren aus Jerusalem erreicht: die jüdischen Provinzen sind von Titus trotz heftigsten Widerstands besiegt worden. Der Tempel ist zerstört. Bundeslade und siebenarmiger Leuchter entweiht und im Triumphzug durch Rom getragen!
Ihre jüdischen Verwandten haben sich in kleine Städte Galiläas zurückgezogen. In den Synagogen dort sammeln sie sich um ihre Lehrer und versuchen auch ohne Tempel ihre Traditionen zu retten und an der Tora festzuhalten. Aber der Kontakt zu ihnen ist schwierig geworden, seit Sie sich haben taufen lassen. Die Familie hat Sie deswegen verstoßen. Ja, Schlimmeres hört man: Über die Christen soll der große Bannfluch ausgerufen worden sein.
Leicht ist das Leben also nicht für Sie. Auf Titus war Domitian als römischer Kaiser gefolgt. Und der Judenhass der Römer trifft nun auch die Jesus-Anhänger. Man hört von Verfolgungen und Hinrichtungen. Die gelten nicht nur Judenchristen. Auch Ihre heidnischen Glaubensgenossen sind in Verdacht geraten. Keiner kann mehr seinem Nachbarn trauen. Christsein, das bedeutet: in der Minderzahl sein. Ohne Gemeinschaft mit den Menschen um sich herum! Manchmal sind Sie deshalb drauf und dran, den eingeschlagenen Weg aufzugeben. Ach, was ist aus den großen Hoffnungen geworden, die Sie und Ihre Mit-Täuflinge beflügelt hatten!
Mit diesem Jesus war endlich der Bevollmächtigte Gottes in die Welt gekommen, der lang ersehnte Christus. Wie es die alten Propheten schon immer verkündet hatten - er war wirklich da gewesen für die Armen und Verachteten. Er hatte ausgestoßene Kranke geheilt und Besessene von ihren Dämonen befreit. Er hatte nicht mit den falschen Priestern, die nur auf ihren Vorteil aus waren, gemeinsame Sache gemacht. Er hatte Hoffnungslose im Namen Gottes von Sündenangst und Selbstverachtung befreit.
Freilich ist das alles schon eine Weile her. Aber weil er ja gewusst hatte, dass die Herrschenden ihn zu Tode bringen würden, hatte er Jüngerinnen und Jünger berufen, die die befreiende Kunde weitertragen sollten.
Und diese Kunde gab ja durchaus Grund zur Hoffnung. Gott hat Jesus nicht im Tode gelassen, so erzählten es die Apostel, die auch in Ihre Stadt, ja sogar bis nach Rom gekommen waren. Das war das große Geschenk der Taufe gewesen: Ihr werdet als Befreite leben und ihr werdet nicht im Tode bleiben – so hat man es Ihnen zugesagt.
Nur: inzwischen sind schon die ersten Getauften gestorben. Und dabei hatte man ihnen doch versprochen, dass der Herr wieder kommen würde, dass das Reich Gottes sichtbar Gestalt annehmen würde. Bei jeder Abendmahlsfeier ertönt der Ruf: Maranatha – Komm, Herr! Aber nichts passiert.
Oft haben Sie daher schon die Lehrer der Gemeinde verzweifelt um Rat gefragt. Aber deren Antwort ist immer gleich: „Wir leben in der Zwischenzeit. Es ist noch nicht offenbar geworden, was wir einmal sein werden. (1. Joh. 3,2) Verzweifelt nicht, wenn um euch herum die falsche Welt zu siegen scheint! Wir sagen euch: Sie wird dem Gericht verfallen. Verzagt nicht, auch wenn ihr nur wenige seid. Bleibt auf dem richtigen Weg, geht ein durch die enge Pforte, damit ihr am letzten Tag treu befunden werdet. Und der Herr wird euch nicht zurückweisen, wenn ihr in sein ewiges Reich kommen wollt.
Und mit dieser Botschaft im Herzen treffen Sie sich mit ihren Glaubensgeschwistern zum Gottesdienst. Dort können Sie gemeinsam hören und lernen. Dort können Sie erfahren, was all das konkret für Ihr Leben bedeutet: auf dem richtigen Weg gehen. Auch in Ihrer Gemeinde gibt es eine Abschrift des Buchs, das von Jesus erzählt. Dort sind viele verschiedene Worte gesammelt, an die seine Zeitgenossen sich nach seinem Tod erinnert haben. Die wiesen den richtigen Weg, den Weg der Liebe und Gewaltlosigkeit.
Leicht ist es für Sie jedoch nicht, danach zu leben. Die Welt um Sie herum funktioniert nach anderen Gesetzen. Und oft fühlen Sie sich überfordert. Dann ist die Versuchung groß, auf neue Lehrer zu hören, die da und dort auftreten. Die Gemeinde ist deshalb beunruhigt, ja sogar zerstritten. Wem soll man Glauben schenken? Wer sind die wahren Apostel und Propheten?
Rat findet sich in dem Buch. Es klingt einleuchtend, was Jesus dort sagt: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Aber es erfasst Sie auch Entsetzen. Gehören Sie denn selbst zu denen, die gute Früchte bringen? Gibt es denn überhaupt Menschen, die wahrhaftig und wirklich nach den Worten Jesu leben können?
Schon will Sie der Glaubensmut verlassen, da fällt Ihnen das Gebet ein, das in Ihrer Gemeinde gesprochen wird: Dein Reich komme, heißt es da, und: Vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben unsern Schuldigern.
Und bevor wir uns mit den ersten Christen in diesem Gebet vereinen, müssen wir wieder in die Gegenwart zurückkehren. Aus der Reise in die Vergangenheit haben wir wohl zweierlei mitgebracht. Ein Gefühl der Fremdheit und ein Gefühl der Vertrautheit.
Fremd ist uns die Verfolgungssituation, aber vertraut ist uns das Gefühl, nur ein kleines Häuflein zu sein.
Fremd ist uns das vergebliche Warten auf die nahe bevorstehende Wiederkunft Christi, aber vertraut ist uns die Enttäuschung, dass das Reich Gottes so wenig nahe ist in der Welt.
Fremd ist uns die Angst vor dem Endgericht, aber vertraut ist uns die Empörung über so viel Unrecht und Gewalt um uns herum.
Fremd ist uns die Sorge um unser jenseitiges Seelenheil, aber vertraut sind uns Depressionen und Selbstzweifel.
Fremd ist uns die Furcht vor falschen Propheten, aber vertraut ist uns die Sorge um die versteckte Bedrohung unserer Gesellschaft durch menschenfeindliche Ideologien.
Eine Frage jedoch ist uns überhaupt nicht fremd: Gibt es denn überhaupt Menschen, die wahrhaftig und wirklich nach den Worten Jesu leben können?
Sind die Weisungen der Bergpredigt nicht viel zu radikal?
Den Schlägern die Backe hinhalten?
Keine verführerischen Gedanken mehr beim Anblick eines attraktiven Mannes?
Nie mehr solche verdammte Wut im Bauch über einen dieser grässlichen Zeitgenossen?
Kein Sparbuch mehr, keine Altervorsorge, keine stilvolle Wohnlandschaft, kein Blick ins Modemagazin?
Die Theologen nehmen unterschiedlich dazu Stellung:
• Ist die Bergpredigt vor allem Kritik und Protest? Eine ganz grundsätzliche Infragestellung dessen, was eine moralisch lax gewordene Gesellschaft so alles durchgehen lässt. Ist es das, was Christen lernen sollen: sich und die Welt um sich herum ständig zu prüfen?
• Ist die Bergpredigt eine Moral für die Mission? Der Wunsch, durch ein möglichst vollkommenes Leben Vorbild zu sein für die anderen, um sie für die Sache Jesu zu gewinnen.
• Ist die Bergpredigt eine Utopie vom Leben im Reich Gottes. So soll es sein – so wird es sein?
• Ist die Bergpredigt ein Ideal, dem jeder Christ nach seinen Möglichkeiten nachstreben soll und kann?
• Ist die Bergpredigt eine Bußübung? Ein Katalog von Weisungen, der immer wieder vor Augen führt, dass die sündigen Menschen das Gute, das sie tun wollen, doch nicht tun können?
• Ist die Bergpredigt eine exklusive Gruppenmoral für christliche Gemeinschaften, die abseits von der bösen Welt in ihren Zirkeln untereinander in Liebe leben wollen?
• Ist die Bergpredigt etwas für uns alle?
Vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen, mit welchem Satz der gelesene Abschnitt vom Tun des göttlichen Willens eingeleitet wird. Er ist so etwas wie das Resümee, die Zusammenfassung all dessen, was zuvor drei Kapitel lang ausgeführt wurde:
Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten.
Ein ganz einfacher und ein ganz schwieriger Satz zugleich. Er nimmt die vielen einzelnen Weisungen, die vorher genannt wurden, nicht zurück. Aber er stellt sie unter ein allgemeines Prinzip. Der göttliche Wille ist kein starres Gesetz. Gott bindet seinen Willen offensichtlich an die Bedingungen des zwischenmenschlichen Lebens. Dort, wo wir nicht rücksichtslos und eigennützig handeln, dort, wo die Bedürfnisse unserer Mitmenschen berücksichtigt werden, dort ereignet sich sein Wille.
Das ist schwierig genug. Das lässt uns an einer Moral arbeiten, die nicht im Gehorsam auf den exakten Wortlaut der Bergpredigt endet, sondern sich in freier Verantwortung für unser Wohl und das unseres Nächsten stets neu definiert.
Das ist schwierig genug.
Und gefährlich.
Der Weg in die Verdammnis ist nämlich durchaus noch eine Realität. Unser strengster Richter sind wir selber. Das ist ja der Preis der Aufklärung. Von Höllenangst und Jenseitsfurcht sind wir längst befreit. Aber nicht von den Forderungen an uns selber als vernünftige Wesen.
Wie leicht kann da unser Glaube ins Wanken geraten, wenn wir an uns selbst zweifeln. Je höher die moralischen Ansprüche, umso tiefer der Fall in die Erkenntnis des eigenen Scheiterns! Groß ist die Gefahr, dann nicht nur den Sand unter dem Haus zu spüren, sondern gänzlich den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wie soll man – so fragt man dann – dem Evangelium Glauben schenken, wenn man doch nicht danach lebt? Wie kann man vor sich selber und anderen glaubwürdig bleiben, wenn man die Früchte nicht bringt, die man versprochen hat? Wenn man nichts weiter ist als ein schlechter Baum: faul und faulig.
Und schon ist man durch die weite Pforte der Skepsis hindurch geschritten. Dort erwarten einen zwar keine Teufel mit glühenden Zangen, aber das traurige Gefühl, dass der Fels, auf den man hatte bauen wollen, nirgends mehr zu finden ist.
War der Evangelist, der die Bergpredigt ins Zentrum seines Evangeliums gerückt hat, so ein schlechter Seelsorger, dass er solche Gefahren nicht gesehen hat? Uns braucht man keine Angst zu machen. In den dunklen Momenten unserer Tage sind wir ohnehin nahe am Abgrund der Resignation oder gar Verzweiflung. Da sind wir – um im Gleichnis zu bleiben – hilflos dem Sturm und Platzregen ausgeliefert. Den vielen ungelösten Fragen. Wo ist noch ein Sinn in unserem Tun? Warum scheitern wir immer wieder an unseren eigenen guten Vorsätzen? Wozu sollen wir überhaupt moralisch handeln, wo doch Unvernunft und Bosheit um uns herum die Überhand gewinnen. Und – ist der Mensch überhaupt frei in seinem Handeln?
Mir hilft in solchen Momenten eine andere Geschichte. Matthäus erzählt auch sie. (8, 23-27) In ihr muss man kein Haus errichten. In ihr ist man nicht selber schuld, wenn man auf Sand gebaut hat und dem Sturm nicht trotzen kann. In ihr sitzt man im schwankenden Boot. Auf unsicherer Welle. Und es erhebt sich immer wieder einmal ein großes Ungestüm im Meer. Aber man sitzt im schwankenden Boot nicht alleine. Schlafend ist der Herr da.
Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille.
Da wurde es ganz stille.
Solchen Glauben wünsche ich uns, wenn ein Platzregen fällt und die Wasser kommen und die Winde wehen und wenn wir nicht wissen, ob wir das Richtige tun und wenn wir Angst haben, dass Gott über seiner unvollkommenen Welt eingeschlafen ist.
AMEN.
Gudrun Kuhn, Ältestenpredigerin, Nürnberg