Liebe Gemeinde,
Geschichten von Abraham und Sarah haben wir in diesem Jahr gehört. Die Geschichte von Sarah und Abraham geht heute zu Ende. Mit Abraham hatte Sarah die Heimat verlassen. Sie hatten sich aufgemacht unter der Verheißung einer neuen Zukunft.
Verheißung ... das Wort benutzen wir in unserer Alltagssprache ja kaum. Manchmal riecht es "verheißungsvoll" aus der Küche. Die Wirklichkeit der Verheißung ist also nicht grundlos. Die Verheißung nimmt Zukunft in gewisser Weise vorweg. Aber die Zusage der Verheißung ist kein einklagbares Versprechen. Die Verheißung ist eine hoffentliche Wirklichkeit.
Die Verheißung ist eine hoffentliche Wirklichkeit, die durchaus enttäuscht werden kann. Verbürgt werden kann sie nur im Vertrauen auf den, auf den die Verheißung zurückgeht. Bzw. mit meinem Erfahrungen mit diesem. Wenn es verheißungsvoll aus der Küche heraus riecht, habe ich einen guten Grund, mich auf das Essen zu freuen, wenn ich entsprechende Erfahrungen mit dem Koch und seinem Können habe. Sicher sein, kann ich nicht. Aber ich habe guten Grund, mich auf das, was da kommen wird, zu freuen.
In der Geschichte von Abraham und Sarah kommt die Verheißung von Gott her. Abraham hat auf die Wirklichkeit Seiner Verheißung vertraut und ist aufgebrochen. Mit Sarah zusammen. Sie setzten die Geschichte von Abrahams Vorfahren nicht fort. Sie verließen das Haus Tarahs und machten sich auf in eine noch sehr offene, um nicht zu sagen unbestimmte Zukunft. Das Ziel? Ein Land, das Gott ihnen noch zeigen würde. So hieß es am Anfang der Geschichten, die wir von Abraham und Sarah erzählen. Kanaan wird es sein. Gar nicht soo weit weg von Chaldäa, der alten Heimat. Aber dort ankommen, das ging nicht so einfach.
Kein Überfluss von Milch und Honig, sondern Hunger empfing Abraham und Sarah, so dass sie andernorts Zuflucht suchen mussten. Dort verriet Abraham Sarah. Wir haben gehört, wie Abraham sich als Sarahs Bruder ausgab, sie den Herrschenden überlassen wollte, um seine eigene Haut zu retten. Weil aber Sarah unter Gottes Schutz stand, ging die Sache doch gut aus. Sehr gut. Segensreich: Mit Schafen, Rindern, Eseln, Knechten und Mägden, Eselinnen und Kamelen konnten sie weiter ziehen.
Von ihrem Gefährten Lot mussten sie sich aber trennen, als es ihnen später besser ging. Weil es ihnen gut ging. Zu gut. Es gab immer wieder Zank zwischen den Hirten von Abrahams und Lots Vieh. Aber das Land war weit genug, dass Platz darin war für alle. Ohne Lot waren Abraham und Sarah auf sich allein gestellt. Motiviert allein von der Verheißung, die sie ausmessen. Sie durchziehen das Land der Verheißung der Länge nach und in der Breite: den Raum der Verheißung nicht länger das Geschlecht Tarahs fortzusetzen, sondern ein Segen zu werden für Menschen über Menschen, Zeichen der Zuwendung Gottes für alle Geschlechter der Erde.
Abrahams Vertrauen in die Wirklichkeit der Verheißung lässt mit der Zeit nach. Sarah bleibt kinderlos. Sarah ist es, die ihn ermutigt mit Hagar, ihrer Magd, einen Sohn zu zeugen. Aber die Wirklichkeit der Verheißung Gottes liegt nicht im Zutun des Menschen. Mögen die Pläne noch so einfallsreich sein ... Letztlich liegt das Gelingen allein in Gottes Hand.
Und was wie ein schlechter Witz scheint, wird wahr. Sarah wird schwanger. Durch Sarah wird das Vertrauen auf die Verheißung neu begründet. Und Freude tritt an die Stelle der Bedrückung. Es geht weiter! Die Verheißung wird bestätigt, könnte man sagen. Gott bindet sich an Abraham und Isaak. Was nicht ohne den Segen ginge, der auf Sarah lag.
Sarah wurde 127 Jahre alt. Ein sagenhaftes Alter hat sie erreicht. Kein unglaubliches Alter, wie die Urväter, keine 969 Jahre wie Methusalem, aber doch ein „biblisches“ Alter. Und Menschen biblischen Alters kennen wir doch alle, nicht? Keine 127 Jahre, nein, so viele nicht. Dennoch: Mit Sarah kommt die Geschichte vom Anfang an unsere Zeit heran. Wie ist das denn mit unserer Zeit?
Ich will die Erzählung von Sarah kurz unterbrechen. Diese Tage sind in Deutschland ganz davon bestimmt, dass vor 25 Jahren die Tore geöffnet wurden, die Mauer fiel und Menschen, die eingesperrt waren, ihre Wege gehen durften. Und darum bisweilen auch besser bleiben konnten. Weil sie es nicht mussten. Das gehört zur Freiheit dazu.
Ich will kein Spaßverderber sein. Aber diese Freiheit war dann oft doch nur eine deutsche Freiheit. Vergessen wir nicht, dass das Asylrecht für politisch Verfolgte, das uns als ein schrankenloses Grundrecht galt, nahezu abgeschafft wurde. Asyl erhält nur, wer nicht aus einem sicheren Land zu uns kommt. Und da wir in der Mitte Europas liegen, sind das sehr wenige. Und die müssen erst einmal individuell beweisen, dass sie wirklich verfolgt werden. Die Anerkennungsquote ist entsprechend gering und liegt wohl bei unter 2 %.
Die Freiheit genießen erst einmal wir. Und schotten uns nach außen ab. Errichten Mauern. Natürlich können wir nicht alle und jeden aufnehmen. Aber könnten wir uns nicht offener zeigen für Menschen, die zu uns kommen? Ist unser Reichtum so groß, dass andere keinen Platz unter uns finden können? Andere, die nichts beanspruchen, weil sie auch nichts weiter haben, als sich selbst.
Sind die Vorbehalte, Ängste, wirklich nachvollziehbar, die laut werden, wenn in der Nachbarschaft Flüchtlinge einquartiert werden? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass wir die Zäune nicht weiter stehen lassen können, mit denen wir die Wirklichkeit der Welt draußen lassen wollen. Darauf liegt gewiss kein Segen! Flüchtlinge stehen vor der Tür und wir müssen sie herein lassen. Ganz konkret. Präses Rekowski hat angeregt, jede Gemeinde und jeder Kirchenkreis solle einen Flüchtling aufnehmen, der auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung zu uns kommt. Ist das in Ihrer Gemeinde Thema? In der Gemeinde in der ich lebe – ich habe nichts davon gehört. Dabei könnten wir diese Menschen reich machen, ohne dass uns die Armut droht.
Überhaupt: Wir müssen uns engagieren. Wir können uns von den Problemen der Welt nicht abschotten. Es geht nicht an, dass wir immer wieder zuwarten und erst dann aktiv werden, wenn die Katastrophe da ist. Bitte, wie konnte der sogenannte, nur so genannte Islamische Staat denn so mächtig werden? Wer hat die Waffen denn gebaut, mit denen diese Gottlosen Mord und Schrecken verbreiten?
Es mag ja sein, dass jetzt nur noch Waffengewalt Ordnung schaffen kann. Die Kriterien aber, die einen Waffeneinsatz ethisch rechtfertigen würden, sind nicht erfüllt. Warum nicht? Weil es mehr Engagement kosten würde, als Waffen liefern. Wenn du den Frieden willst, bereite ihn vor, heißt es. Ich nehme eine Politik wahr, die unseren Wohlstand mehren und verteidigen will. Ich vermisse jedoch echtes politisches Engagement für eine friedvolle Welt. Und sehe da auch Voten von Kirchenleitenden kritisch, die die ultima ratio festellen und die prima ratio der Gewaltfreiheit m.E. nicht deutlich genug einfordern.
Waffen liefern ist das eine. Aber wo ist das deutsche Engagement für die völkerrechtliche Legitimierung der militärischen Maßnahmen? Wo sind die Anstrengungen, zukünftig ein gewaltfreies Zusammenleben in der Region des Nahen und Mittleren Ostens zu ermöglichen? Und wenn man glaubt, man könne des Bösen nur militärisch Herr werden, dann könnte man sogar fragen, ob es nicht notwendig ist, viel mehr zu tun, als Waffen zu liefern, wenn das Leid der Menschen vor Ort auf ein Mindestmaß begrenzt werden soll; ob es nicht zu billig ist, nur andere kämpfen zu lassen.
Nun, ich will nicht, dass wir uns in der Tagespolitik verlieren. Und Abrahams Kampf zur Befreiung Lots ist vielleicht doch eine ganz eigene Geschichte. Folgen wir also weiter dem Weg, den die Geschichte Sarahs und Abrahams weist. Sarah ist tot. Das will ich erzählen, dass Sarah gestorben ist. Abraham beklagt und beweint sie.
Das Leben ist begrenzt. Das wissen wir. Alle. Und dennoch ist es nicht so, dass der Tod eines geliebten Menschen oder langjährigen Weggefährten für uns „normal“ wäre. Wir halten inne, weil wir selbst getroffen sind und trauern. Sarahs Weg unter der Verheißung ist zu Ende. Sie ist angekommen. Im Land Kanaan wird sie bleiben. Abraham setzt sie zur Ruhe im Land der Verheißung. Um das aber tun zu können, muss er einen Ort finden, an dem Sarah bleiben kann. Und dereinst auch er. Darum sprach er mit den Hetitern und sagte:
Ich bin ein Fremdling und Beisasse bei euch; gebt mir ein Erbbegräbnis bei euch, dass ich meine Tote hinaustrage und begrabe.
Die Hetiter lassen ihn zu. Sie hören ihn an und wollen ihm eine Grabstätte schenken. Abraham aber lehnt ab. Er weiß was er will. Die Höhle Machpela. Aber er will sie nicht geschenkt. Er will sie kaufen. Es mag wohl auch mit orientalischen Bräuchen zu tun haben, dass es so einfach nicht geht; dass Efron, der Eigentümer der Höhle, die Begräbnisstätte nicht verkaufen, sondern nur verschenken will, Abraham sie aber nun nicht geschenkt haben, sondern kaufen möchte und es ein paar Mal hin und her geht. Es geht aber auch darum, dass es einfach wichtig ist, dass man seinen eigenen Ort hat, einen Platz, an dem man bleiben kann, weil man das Recht dazu hat.
Das ist tatsächlich wichtig, existentiell. Gut, wenn man irgendwie Obdach hat. Aber wichtig ist auch, dass man die Sicherheit hat, bleiben zu können. Wer je irgendwo mit einem drohenden „Eigenbedarf“ des Eigentümers gewohnt hat weiß um das Gefühl der Abhängigkeit und Unsicherheit. Freiheit ist das nicht! Nicht umsonst heißt es: „My home is my castle!“
Dem entspricht, dass auch Asylbewerber und Flüchtlinge gern arbeiten möchten. Sie sind gewiss dankbar, für das Geschenk versorgt zu werden. Sie möchten sich aber lieber doch selbst versorgen. Sich mit ihren Gaben einbringen können, dass halten sie für das größere Geschenk. Nicht, weil sie meinten, hier reich werden und ein besseres Leben führen zu können. Sondern weil sie sich wünschen, Recht zu bekommen; Recht zu bleiben und zu werden. Ein Recht auf Zukunft.
Im Gespräch der Hetiter mit Abraham sagt Efron dann irgendwann beiläufig, dass das Grundstück 400 „Lot“ Silber wert sei und Abraham kauft ihm die Höhle Machpela ab. Nicht darum geht es, wieviele Schekel oder Euro das nun sind; 400 biblische „Lot“ Silber sind möglicherweise 4800g, die würden heute 2800€ kosten, aber angesichts der veränderten Kaufkraftunterschiede damals und heute … Es ist völlig gleichgültig, wie viel die Höhle nun gekostet hat. Es wird wohl ein fairer Preis gewesen sein. Abraham, und nur darum geht es, Abraham wird unter Zeugen zum rechtmäßigen Besitzer eines Stück Landes in Kanaan.
Sarahs Weg unter der Verheißung ist zu Ende. Sie ist angekommen. Im Land der Verheißung wird sie bleiben. Abraham setzt sie zur Ruhe und kommt damit selbst an, im Land der Verheißung. Diese Verheißung Gottes geht über die Wirklichkeit eines kleinen Stück Landes am Fuß des Feldes von Efron weit hinaus. Aber sie wird durch Sarahs Begräbnis doch bekräftigt. Von Hebron strahlt sie aus bis an der Welt Enden. Und rückblickend wissen wir, dass Abraham mit Sarah tatsächlich zum Segen der Völker geworden ist. Er zeigt, dass Gott mitgeht.
Gott geht mit. Das zeigt die Geschichte von Abraham und Sarah. Wir können wohl unter der Verheißung bleiben. Aber das heißt offen bleiben für die Zukunft. Das ist sicher nicht verheißungsvoll: uns in der Gegenwart zu verschließen. Die Hetiter, namentlich Efron, sind mir darum ein Vorbild. Sie verschließen sich Abraham nicht. Sie lassen ihn zu. Und Efron lässt zu, dass Abraham ihn reich macht. Es wäre wohl dumm, denjenigen, die zu uns kommen und unter uns wohnen, nicht zu geben, worum sie bitten. Denn Gott ist mit ihnen. Das kann uns ein Segen sein.
Amen
Gehalten in der Antoniterkirche Siegburg am 9. November 2014