Ohne Ansehen der Person

Apostelgeschichte 10 (24-35)

Strand bei Jaffa, im Hintergrund die Petruskirche (1994) © Georg Rieger

Die Begegnung zwischen Petrus und Kornelius ist historisch ein Wendepunkt und aktuelle eine große Herausforderung - Predigt von Georg Rieger

Die Apostelgeschichte ist so etwas wie die Fortsetzung des Lukas-Evangeliums und die einzige Sammlung von Geschichten aus der Zeit nach dem Tod und der Auferstehung Jesu. Es geht in dieser Predigt um einen Ausschnitt aus der Apostelgeschichte aus dem 10. Kapitel und der Begegnung von Petrus und Kornelius.

Petrus ist der Anführer der Apostel und Kornelius ein Hauptmann der römischen Armee, der allerdings offenbar mit dem jüdischen Glauben sympathisiert und auch viel Almosen gibt – ein Mann also, der Macht hat, aber auch ein Herz. Dem erscheint eines Tages ein Engel und fordert ihn auf, einen gewissen Simon aus Joppe kommen zu lassen.

Dieser Simon Petrus befindet sich tatsächlich in Joppe. Das ist das heutige Jaffa und das ist ein Vorort von Tel Aviv und wegen seines arabischen Flairs eine beliebte Station für Touristen. Übrigens auch wegen der Petruskirche, die in Jaffa steht – und zwar genau wegen der Szene, die nun folgt.

Während nämlich die Boten des Kornelius zu ihm unterwegs sind, hat Petrus Hunger und während ihm etwas zu Essen zubereitet wird, hat er eine Vision. Diese Vision hat etwas mit Essen zu tun, ist aber als Gleichnis zu verstehe: Ein großes Leinentuch, an den vier Enden gehalten, senkt sich vom Himmel herab. Und als es tief genug hängt und Petrus hineinschauen kann, sieht er, dass es voll ist von allen möglichen Tieren: Vierfüßler, Kriechtiere und Vögel. Und dazu ertönt der Befehl: „Schlachte und iss!“

Es handelt sich aber um solche Tiere, die den Israeliten laut der biblischen Gebote zu essen verboten ist. Also protestiert Petrus. Da ertönt die Stimme ein zweites Mal: „Was Gott für rein erklärt hat, das nenne du nicht unrein!“. Auch auf eine dritte Aufforderung befolgt Petrus den Befehl nicht und so wird das Tuch wieder hoch gezogen.

Während Petrus noch grübelt, was das zu bedeuten hatte, kommen die Boten des Kornelius an. Und wieder hört Petrus eine Stimme, die ihm sagt, dass er mit den drei Männern auf jeden Fall mitgehen soll. Als die ihm sagen, wer sie schickt, muss sich Petrus ein weiteres Mal wundern. Denn in das Haus eines Fremden aus einem anderen Volk zu gehen, das ist eigentlich so gut wie unmöglich.

Doch der Stimme Gottes ein zweites Mal nicht zu gehorchen, traut sich Petrus nicht. Und vielleicht schwant ihm auch schon, dass es um dasselbe Thema geht und dass er sozusagen eine zweite Chance hat, die Botschaft zu verstehen. Also geht er mit den drei Männern nach Cäsarea, das sind am Strand entlang immerhin 54 Kilometer. Deshalb beginnt nun der Predigttext (aus der Zürcher Bibel) mit dem einleitenden Satz:

Am Tag darauf kam er nach Cäsarea. Kornelius, der seine Verwandten und seine engsten Freunde zusammengerufen hatte, erwartete sie schon. Als Petrus unter der Tür stand, ging ihm Kornelius entgegen und warf sich voller Ehrfurcht ihm zu Füssen. Petrus aber richtete ihn auf und sagte: Steh auf! Auch ich bin ein Mensch. Und im Gespräch mit ihm trat er ein und fand viele Leute versammelt. Und er sagte zu ihnen: Ihr wisst, wie unstatthaft es für einen Juden ist, mit einem Fremden aus einem anderen Volk zu verkehren oder gar in sein Haus zu gehen.

Mir aber hat Gott gezeigt, dass ich keinen Menschen gewöhnlich oder unrein nennen soll. Darum bin ich, ohne zu widersprechen, gekommen, als du nach mir schicktest. Ich würde nun gerne erfahren, aus welchem Grund ihr mich habt kommen lassen. Da sprach Kornelius: Vor vier Tagen um die gleiche Zeit, zur neunten Stunde, war ich beim Gebet in meinem Haus; da stand auf einmal ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand, und er sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. Schicke nun nach Joppe und lass den Simon rufen, der den Beinamen Petrus trägt; er ist zu Gast im Haus des Gerbers Simon am Meer.

Da habe ich unverzüglich nach dir gesandt, und es ist gut, dass du gekommen bist. Wir sind jetzt alle hier vor Gott versammelt, um all das zu hören, was dir vom Herrn aufgetragen ist. Petrus tat seinen Mund auf und sprach: Jetzt erkenne ich wirklich, dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt. (24-35)

Das Kapitel 10 der Apostelgeschichte wird von manchen Kommentaren als der Höhepunkt der Apostelgeschichte bezeichnet, als die Schlüssel­stelle zur Mission der sogenannten Heiden. Damit ist eigentlich die Vision des Petrus gemeint. Die Aufforderung, die jüdischen Speisevorschriften zu brechen, wird als Durchbruch gefeiert. Und wie gesagt: Sogar eine Petrus- oder Peterskirche wurde zum Gedenken an diesen Durchbruch gebaut.

Doch der eigentliche Durchbruch geschieht in Cäsarea in dem Zusammentreffen zwischen Petrus und Kornelius. Wie so oft in der Bibel klären sich die Dinge in der Begegnung und nicht in Form eines theoretischen Vortrags. Petrus tut etwas ganz Ähnliches, was Jesus in seinem Leben mehrmals tat: Er geht zu einem Menschen, mit dem er eigentlich aufgrund seiner nationalen oder sozialen Zugehörigkeit nichts zu tun haben dürfte. Er durchbricht eine Grenze, die Menschen trennt.

Die Geschichte mit Petrus und Kornelius markiert den Anfang des Christentums als Weltreligion. Denn nachdem Petrus in der Begegnung mit Kornelius den tieferen Sinn der Vision mit den essbaren Tieren begriffen hatte, macht er das, was er vorher zu verhindern versuchte: er erzählt auch Nicht-Juden von seinem Glauben.

Das Kapitel 10 endet übrigens genau damit – mit einer Predigt des Petrus vor der bei Kornelius versammelten Mann- und Frauschaft und der Taufe aller Anwesenden. Sein erster Missionsauftrag wird also ein voller Erfolg. Dabei scheint es fast so, als habe er auf der zweitägigen Wanderung schon begriffen, in welcher Mission er künftig unterwegs sein sollte. Er agiert in dem fremden Haus völlig souverän und ist sich seiner Sache sicher. So verbittet er sich die Unterwerfungsgeste des Hausherrn bei der Begrüßung mit den Worten: „Auch ich bin ein Mensch.“ Dann scheint er nicht wirklich überrascht von den vielen Angehörigen und Freunden des Kornelius und begründet sein selbstsicheres Auftreten mit einer glasklaren Auslegung seiner Vision: „Mir hat Gott gezeigt, dass ich keinen Menschen gewöhnlich oder unrein nennen soll.“

Nun ist ihm nur noch wichtig zu erfahren, warum sein Gegenüber die Idee hatte, ihn kommen zu lassen. Denn schließlich ist dessen Einladung ebenso absonderlich wie der Auftritt des Petrus. Auch der, so erzählt er, hatte eine Vision, die ihn aufforderte, Petrus in sein Haus zu holen. So wird klar, dass Gott in dieser Angelegenheit offensichtlich sehr direkt eingreift. Seltsame Erscheinungen, Stimmen und sogar ein Engel kommen zum Einsatz – das volle Programm gewissermaßen.

Das ist nicht gerade unsere Welt, die der Stimmen und der Engel und Erscheinungen. Das macht aber auch nichts, denn deren Einsatz ist vor allem als ein Zeichen zu verstehen, dass etwas passiert, für das andere Erklärungen schwer möglich sind. Dass Menschen ihre Einstellungen so radikal ändern, ist eben nicht normal. Und dann noch von zwei Seiten und fast gleichzeitig! Da muss man ja schon fast von einem Wunder ausgehen. Dass der Evangelist Lukas bei Kornelius und Petrus von Erscheinungen Gottes erzählt, hat freilich noch einen ganz anderen Grund: Er will dem Umbruch, der hier geschieht, eine göttliche Autorität verleihen. Ansonsten würden diese Begegnung und ihre Bedeutung doch möglicherweise bald in Vergessenheit geraten.

Diese Grenzüberschreitungen waren ja zur Zeit des Geschehens und des Erzählens keineswegs akzeptiert. Für Juden war es ein Ding der Unmöglichkeit, in das Haus eines Andersgläubigen zu gehen, um diesen zu missionieren. Und die ersten Christen waren Juden und hielten sich selbstverständlich an diese Regel. Und umgekehrt war es für einen Römer, selbst wenn er mit dem jüdischen Glauben sympathisierte, ungewöhnlich, sich den Vertreter einer jüdischen Sekte ins Haus zu holen und mit Bekannten und Verwandten zusammen zu bringen.

Und so überschreiten beide Seiten die Grenzen, die ihnen noch bis vor kurzem ganz selbstverständlich waren. Dieses Beidseitige scheint Lukas auch wichtig zu sein. Kornelius und Petrus gehen aufeinander zu. Es geht darum, dass die Grenzen fallen, aber nicht darum, dass einer wie der Held und der andere wie der Verlierer aussieht.

Grenzüberschreitungen dieser Art gefallen uns. Zwei Menschen und zwei Welten finden zueinander. Da werden Mauern eingerissen, überholte Vorurteile beiseitegeschoben, da bricht sich die Toleranz freie Bahn. Ja, so sehen wir Christen uns gerne – als Befreier von unsinnigen Beschränkungen und als Bollwerk gegen den religiösen Fundamentalismus.

Doch für uns heute ist dieser Text und das ganze Kapitel der Apostelgeschichte in zweifacher Hinsicht auch ein Anlass zum Nachdenken. Zum einen ist es eine traurige Wahrheit, dass die Heidenmission, die mit Kornelius beginnt, eine teilweise ganz grausige Entwicklung genommen hat. Schon bald nach der Abfassung dieser Geschichte begannen zum Beispiel in Rom die Christen ihren jüdischen Glaubensgeschwistern Schwierigkeiten zu machen. Im Mittelalter und bis in die Neuzeit wurden ganze Landstriche und Völker zwangsweise missioniert – unter der Maßgabe, deren Seelen retten zu wollen.

Die weltweite Ausbreitung des Christentums nehmen wir heute als gegeben hin und fragen nicht mehr danach, wie sie zustande gekommen ist und was sie mancherorts auch für unheilvolle Folgen hatte. Kornelius hatte den Petrus kommen lassen, weil er von ihm gehört hatte. Diese Reihenfolge wurde in der weiteren Missionsgeschichte eher selten eingehalten. Die christlichen Missionare kamen nicht selten als ungebetene Gäste. Grenzüberschreitungen – das Wort kann eben auch eine negative Bedeutung haben.

Das zweite, das ich zu bedenken gebe, betrifft die Kirche, aber auch mich – und vielleicht ja auch Sie, liebe Gemeinde, ganz persönlich.

Auch das ist ja gefällig, was Petrus zum Abschluss des Predigttextes äußert: Petrus tat seinen Mund auf und sprach: Jetzt erkenne ich wirklich, dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt. (34/35)

Wirklich prima – ein unmissverständlicher Aufruf zur Menschenfreundlichkeit! Ohne Ansehen der Person – so sind Gerichte in aller Welt aufgerufen Recht zu sprechen. So steht es sinngemäß in Verfassungen und Deklarationen über Menschenrechte. Diesen Gleichheitsgrundsatz hat auch die Kirche in Zeiten vor sich hergetragen, in denen sie fortschrittlich sein wollte. Vor Gott sind alle Menschen gleich, das klingt verdächtig ähnlich dem kommunistischen Prinzip oder einfach naiv. So fanden das schon immer die Realisten, die Mächtigen oder Skeptiker. Und so einfach ist es tatsächlich nicht. Es geht hier eben nicht um eine politische Ideologie, nach der alle Menschen gleich behandelt werden müssten.

Es ist aber auch nicht nur ein schöner Spruch, den man sich getrost im Gottesdienst anhören und am Sonntagnachmittag schon wieder vergessen kann. Dass Gott Menschen gleich wichtig nimmt, egal woher sie kommen und was sie sind, das ist auch für uns Menschen ein hoher Anspruch. Fragen wir uns aber mal nicht als erstes, was das im alltäglichen Leben bedeutet, sondern lassen wir uns diesen Gedanken auf der Zunge zergehen: … Jetzt erkenne ich wirklich, dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt. (34/35)

Für Petrus war das ein großer Schritt und für uns – so wage ich zu behaupten – ist das ein mindestens so großer. Denn wir haben natürlich nichts gegen Ausländer oder gegen Menschen, die ganz anders leben als wir. Aber: Kein Ansehen der Person? Jeder willkommen? Das klingt gut aber auch anstrengend. Wenn ich so manche Gesichter vor mir sehe … dann fällt es mir zugegeben schwer, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Aber das ist ein großer Gedanke. Und auch einer, der mich zu faszinieren vermag. Was kann ich dafür tun, dass ich Menschen annehmen kann, wie Gott sie annimmt? Wie komme ich davon weg, in Kategorien zu denken und meine eigene Lebensweise zum alleinigen Maßstab zu machen.

Sicher wird es mir in diesem Leben nicht gelingen, mich mit allen Menschen anzufreunden. Aber ist das nicht eine der größten Aufgaben für uns als Menschheit, als Christen, als Gemeinde, diese Gedankenschranken zu überwinden? Oder jedenfalls beständig daran zu rütteln. Denn es darf wenigstens nicht mehr üblich sein, dass Menschen, die genau das tun, lächerlich gemacht werden. Wer die Motive von Flüchtlingen ernst nimmt, ist kein „Gutmensch“, sondern ein Mensch, wie wir Menschen eigentlich sein sollten.

Das Beispiel sollte genügen, um klar zu machen, was gemeint ist: Jeder Mensch hat es verdient, von seinen Mitmenschen angenommen zu werden. Weil Gott ihn und uns auch angenommen hat. Das ist die einfache Lehre der Geschichte und doch eine so schwierige Aufgabe. Petrus empfindet seine Erkenntnis nach einer Phase der Verstörung über die seltsame Tiervision als eine Befreiung. Er tritt dem Fremden voller Selbstbewusstsein entgegen und meistert die Aufgabe mit Bravour. Das sollte uns Mut machen, solche Schritte auch öfter zu gehen. Wir können dabei sicher sein, dass wir die Unterstützung Gottes haben.

Eingangsgebet:

Ich spreche ein Gebet, in das Sätze aus Psalm 86 eingeflochten sind:

Neige, Gott, dein Ohr, erhöre mich. (1)

Wir haben dir viel zu sagen, zu danken und zu beichten.
Unser Leben ist reich an Erfahrungen, wir dürfen uns freuen und haben zu klagen – und kommen damit zu dir.

Erfreue das Herz deines Dieners,
denn zu dir, Gott, erhebe ich meine Seele (4)

Wenn wir dir gegenübertreten, im Stillen ein Gespräch mit dir führen oder unsere Gedanken zu dir kreisen lassen, dann öffnen wir uns. Wir fühlen uns von dir ernst genommen und anerkannt. Du eröffnest uns andere Perspektiven, stellst uns in Frage und hälst uns dabei fest. Schenkst uns neue Gedanken, die uns weiterbringen und Kraft für alles, was wir uns vornehmen.

Denn du, Gott, bist gut und bereit zu vergeben,
reich an Gnade gegen alle, die dich anrufen (5)

Höre, Gott, mein Gebet
und achte auf den Ruf meines Flehens (6)

Wenn wir unzufrieden sind, dann hat das oft seinen Grund
darin, dass wir jemand Unrecht getan haben. Deine Gnade zu spüren, macht es uns leichter, Probleme aus dem Weg zu
schaffen, um Verzeihung zu bitten oder selbst zu verzeihen.

Am Tag der Not rufe ich zu dir,
denn du erhörst mich (7)

Wenn es uns schlecht geht, dann bewahrst du uns davor, die Schuld nur bei Anderen zu suchen. Du bestärkst uns dabei, eigene Fehler einzugestehen. Wo es nötig ist, machst du uns aber auch Mut zu widersprechen.

Denn du bist groß und tust Wunder,
du allein bist Gott (10)

Mit deiner Hilfe können wir Barrieren durchbrechen und auf Menschen zugehen, die uns fremd oder lästig sind.
Wir Menschen sind füreinander da und nicht dafür, uns gegenseitig das Leben schwer zu machen.
Das müssen wir immer wieder von dir lernen.

Weise mir, Gott, deinen Weg, dass ich in deiner Wahrheit gehe,
richte mein Herz darauf, deinen Namen zu fürchten (11)

Lass uns nie alleine, Gott, nicht mit den Problemen dieser Welt, aber auch nicht mit der Freude über das Leben. Wir wollen beides mit dir teilen und mit dir sein.

Ich will dich preisen, Gott, von ganzem Herzen
und ewig deinen Namen ehren (12)                  

Amen.

 

Fürbittengebet:

Barmherziger Gott,
wir danken dir für das Kommen deines Sohnes.
Er hat die Menschen seiner Zeit aufgerüttelt und den Blick auf das Wesentliche im Leben gelenkt.
Das tut er bis heute auch mit uns.