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'Muss es den Zusammenbruch geben, ehe Frieden möglich wird?'
73. Hauptversammlung des Reformierten Bundes - Andacht zum Freitag, den 10. September 2021
Am Franziskusweg im Oberen Reintal in Taufers in Südtirol gibt es eine Skulptur, ich weiß nicht, wer sie geschaffen hat. Darunter steht ein Vers aus der Bergpredigt Jesu: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen (Mt 5,9). Dazu sehen wir diese beiden Menschen, die sich die Hände reichen. Es sind keine Feldherren, keine Machthaber, keine Politiker, keine starken Gegner. Es sind zwei geschundene Kreaturen. Unfähig aufzustehen, reichen sie einander die Hände. Zur Versöhnung? Zur Vergebung?
Mir ist dieses Bild nachgegangen. Erst hat es mich bewegt, dann habe ich ein gewisses Unbehagen verspürt. Ist es das, was Jesus mit seinem Wort gemeint hat? Muss es erst so weit kommen, dass alle Kraft gebrochen ist, kein Kampf mehr möglich, dass sich niemand mehr durchsetzen kann, bis der Moment kommt, in dem Menschen einander die Hand zum Frieden reichen?
Der Ort, an dem diese Skulptur steht, legt das nahe. Im Oberen Reintal sind überall noch die Relikte des Ersten Weltkriegs sichtbar: Bunker, Befestigungen – nur wenige Kilometer entfernt in den Bergen, an der heutigen Grenze zu Österreich, sieht man die Kasematten, in denen die Soldaten über zwei Bergwinter wie Vieh vegetierten, Hunger und Kälte schutzlos ausgesetzt. Hochgradig traumatisiert kamen die wenigen nach Hause, die überhaupt nach Hause kamen. Vielleicht hat der Bildhauer an sie gedacht.
Wir haben diese Skultpur gesehen, bewegt vom Beginn des jähen und überstürzten Aufbruchs der Alliierten aus Kabul – auch daran hat mich diese Skulptur erinnert. Aber noch mal: Ist es das? Muss es den Zusammenbruch geben, ehe Frieden möglich wird? Die Geschichte – insbesondere die der großen Kriege – des 30jährigen Krieges, der beiden Weltkriege, auch der Krieg zwischen Israel und Palästina legt das nahe. Aber lässt sich ein solcher Handschlag der Geschlagenen noch „selig“ nennen? Ashre, makarios, herzlichen Glückwunsch, dass ihr so weit gekommen seid?
Vielleicht will diese Skulptur aber auch genau dieses Nachdenken bezwecken. Wartet mit dem Friedenstiften nicht, bis es nicht mehr anders geht. Lasst euch diese Beiden, die sich mit letzter Kraft versöhnen, eine Warnung sein. Und vielleicht stehen sie sogar sinnbildlich als Warnung für die Mächte dieser Welt. Macht nicht erst Frieden, wenn ihr euch zu Tode gerüstet habt. Wenn eure Waffen die Welt in Angst und Schrecken versetzen, während eure Bevölkerung verhungert – so sehen wir es in Nordkorea, im Jemen, vielleicht bald auch in Afghanistan.
Macht nicht erst Frieden, wenn keine Mittel mehr da sind für Klimaschutz, für wirtschaftlichen Aufbau, für Bildung, für medizinische Versorgung und Wohlstand stiftenden Handel, weil das Geld in Projekte zur atomaren oder nicht atomaren Abschreckung, zur Militarisierung des Weltraums, dem Aufbau von Cyberwaffen oder Kampfdrohnensystemen geflossen ist.
2% des BIP sind viel Geld. Geld, das auch die Nato-Staaten an vielen Stellen heilvoll und heilsam einsetzen könnten. Geld, dass wir gerade nach der weltweiten Coronapandemie, auch hier nach der Flutkatastrophe und an vielen Stellen für verbesserungsfähige Bildungs- und Infrastruktursysteme gut gebrauchen könnten. Aber auch international einsetzen können für zivile Friedensdienste. Gerade wenn wir heute, unmittelbar vor dem 11.9., zurückdenken an den 20-jährigen Einsatz in Afghanistan: Wieviel Geld ist in diesen Einsatz geflossen – ohne dass sich nachhaltig viel geändert hat. Dieses Geld hätte wohl auch anders – und dann vielleicht sehr viel effizienter und nachhaltiger zum Frieden in dieser Region eingesetzt werden können.
Aber wie geht Frieden? Wie geht Vertrauen in einer Welt, in der es nicht mehr nur zwei Blöcke gibt – und was ist unsere Aufgabe als Kirchen in diesem Zusammenhang? Darum müssen wir miteinander ringen. Und die Diskussion in unseren Kirchen zeigt: Dabei gibt es nicht einfach schwarz oder weiß. Hier müssen wir miteinander reden und nachdenken, vielleicht auch wieder streiten. Aber Antworten zu suchen und zu finden, das ist wichtiger geworden denn je zuvor.
Die beiden gequälten Kreaturen da am Boden – ich möchte sie mir eine Mahnung sein lassen: Die Friedensfrage anzusprechen, aufzunehmen. Wo immer es möglich ist, Menschen, die Verantwortung tragen, zu ermutigen, neu darüber nachzudenken, was die Welt von uns braucht. Damit nicht auf Afghanistan bald Mali folgt. Damit sich der Flächenbrand im Nahen Osten nicht noch mehr ausweitet. Damit Investitionen in zivile Friedensdienste, Klimaschutz und menschenfreundlichen Handel fließen können – zum Erhalt der Erde, die uns allen gleichermaßen Heimat ist. Es scheint mir dringend, noch viel mehr und viel lauter vom Frieden zu reden. Gemeinsam.
Wir müssen dabei nicht die Wege suchen und vorschlagen. Das können wir vermutlich gar nicht. Aber dazu ermutigen, die Logik des „wir können nicht anders“ zu durchbrechen, das können wir. Und dabei trägt uns die Verheißung Jesu: Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Susanne Bei der Wieden
Emden war im 16. Jahrhundert ein Zufluchtsort für viele Flüchtlinge aus den spanisch-habsburgisch beherrschten Niederlanden. Die Stadt war deshalb für die Emder Synode wie geschaffen. 29 Personen kamen hier zusammen, um gemeinsam Beschlüsse zu fassen, die wegweisend für viele reformierte Kirchenordnungen bis heute sind.
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Die Einzelmitglieder und Gemeindevertreter*innen nehmen von zuhause aus teil. Zur Unterstützung gibt es jetzt eine Schritt-für Schritt-Anleitung als PDF zum Download.
Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Download (7 Seiten PDF)
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