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Geld und Macht gewinnen – sich selbst verlieren
Predigt in der Kulturkirche St. Matthäus – hORA Gottesdienst am Sonntag 'Estomihi' 27.2.2022, zu Markus 8,27-38
Liebe Gemeinde,
der Krieg ist zurückgekehrt, der Krieg als Mittel der Politik, in die Mitte Europas. Wir haben geglaubt, dass die Sicherheitsarchitektur, die in den letzten 75 Jahren uns und unseren Nachbarn den Frieden erhalten hat, sich auch in der aktuellen Situation bewähren würde. Wir haben nicht wahrhaben wollen, dass Russland schon vor Jahren damit begonnen hat, diese rücksichtslos auszuhebeln. Wir haben uns der Illusion hingegeben, die Machthaber in Moskau könnten auch jetzt zum Einlenken bewegt werden, wenn man nur die richtigen Worte findet und geduldig ist. Wir sind eines Anderen belehrt worden. Die Gewissheiten, die gestern noch galten, gelten nicht mehr.
Die Älteren erinnern sich des Chrustschow-Ultimatums, der Kubakrise, weisen zurück auf die Jahre 1938/39, als ein anderer Diktator, Adolf Hitler, ebenfalls Schritt für Schritt die Grenzen verschob. Geschichte wiederholt sich nicht, gewiss. Doch wir werden genau hinschauen müssen, nicht zuletzt auf die Jahre nach 1989. Damals hieß es: jetzt sei das Ende der Geschichte gekommen. Ein Trugschluss. Wir stehen - so scheint es – wieder vor einer Zeitenwende. Wir ahnen, dass wir Entscheidungen treffen müssen, auf vielen Gebieten, die schmerzlich sein werden. Als Christen wissen wir, dass dabei ein kritischer Blick, schonungslose Offenheit und die Bereitschaft, uns erneuern zu lassen, unabdingbar sind.
Von Illusionen, von Verwirrungen und schmerzlichen Klärungen handelt auch der heutige Abschnitt aus dem Markus-Evangelium. (Lesung Markus 8,27-38)
27 Und Jesus ging fort mit seinen Jüngern in die Dörfer bei Cäsarea Philippi. Und auf dem Wege fragte er seine Jünger und sprach zu ihnen: Wer, sagen die Leute, dass ich sei? 28 Sie aber sprachen zu ihm: Sie sagen, du seiest Johannes der Täufer; andere sagen, du seiest Elia; wieder andere, du seiest einer der Propheten. 29 Und er fragte sie: Ihr aber, wer, sagt ihr, dass ich sei? Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Du bist der Christus! 30 Und er bedrohte sie, dass sie niemandem von ihm sagen sollten.
31 Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. 36 Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters.
Die eben gelesenen, drei, ineinandergreifenden Abschnitte bilden einen ersten dramaturgischen Höhepunkt im Evangelium des Markus. Waren die Jünger bis dato Jesus nur als Beobachter gefolgt, so zwingt dieser sie jetzt dazu, Stellung zu beziehen – ein Rollenwechsel mit Folgen.
„Wer ist dieser?“ Die Frage, bisher von Anderen gestellt, wird auf einmal zu ihrer Frage. Sie müssen sich auf das bisher Erlebte „einen Reim“ machen. Das stürzt sie in eine Krise. Denn die Antworten, zu denen sie greifen, der Tradition entnommen, rechtgläubig, korrekt, passen am Ende nicht.
„Für wen halten mich die Leute“, fragt Jesus zunächst, scheinbar unverfänglich. Und so spiegeln die Jünger denn die verschiedenen Antworten wider, die sie bis dahin von Anderen gehört hatten. Wie Chronisten. Quasi aus höherer Warte. „Die einen sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist einer der Propheten“. Doch Jesus fragt weiter. „Und ihr, für wen haltet ihr mich?“Jetzt reicht es nicht mehr aus, sich auf das zurückzuziehen, was Andere sagen. Die Jünger müssen selbst Stellung beziehen. Petrus ist der Erste, der aus der Deckung kommt. Seine Antwort „Du bist der Messias“ (griechisch der Christus) ist - so scheint es - ein klares Bekenntnis – doch dieses Bekenntnis gründet, wie sich zeigt, auf einem Missverständnis.
Jesus öffnet den Jüngern die Augen. Er erklärt ihnen, zu wem sie sich bekennen – wenn sie sich zu ihm bekennen. „Der Menschensohn muss viel leiden und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten verworfen werden und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“
Jesu Worte lösen unter den Jüngern Verwirrung und Bestürzung aus. Das, was Jesus ankündigt, kommt einer vollkommenen Umdeutung aller überkommenen Vorstellungen, Erwartungen und Hoffnungen gleich. Und nicht nur das. Seine Ankündigung wird das Verhältnis zwischen ihm und den Jüngern verändern, tiefgreifend, wenn sie weiterhin zu ihm halten.
Entsetzt und voller Wut nimmt Petrus Jesus zur Seite und „fährt“ ihn an. Petrus will abwenden, was – so meint er - nicht sein darf. Was für eine Anmaßung! Wie ein Besessener dringt er auf Jesus ein. Jesus reagiert darauf so entschieden, wie zu Anfang seines Weges, als der Teufel ihn für sich gewinnen wollte. Er stößt Petrus zurück. „Geh hinter mich, du Satan! Du meinst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist“. Wir lernen hier: wer meint, an Gottes Statt handeln zu müssen, betreibt am Ende das Geschäft des Teufels. Auch ein Petrus ist davor nicht gefeit.
Die Jünger müssen sich nun entscheiden. Sollen sie sich zu diesem verstörend „anderen“ Messias halten, ihm folgen oder sollen sich von ihm abwenden. Wir wissen: sie werden an seiner Seite bleiben und ihm folgen. Sie werden sogar miteinander streiten, wer dereinst im Himmel den prominentesten Platz neben Jesus erhalten soll. Doch sie werden, bis zum Schluss, immer wieder lavieren und versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen. Allen voran Petrus. „Bist Du nicht auch einer von denen? Nein, ich kenne den gar nicht!“
Natürlich steht es jedem/jeder frei, sich wieder in die Rolle des Beobachters zurückzuziehen, oder sich von Jesus zu distanzieren. Doch wer sich tatsächlich zu Jesus bekennt, soll wissen, welche Folgen dieses Bekenntnis haben wird. Das ist die nächste, verstörende Botschaft, die Jesus den Jüngern präsentiert. Und glaube keiner, dass es den Jüngern damals leichter fiel als uns heute, sich auf das einzulassen, was Jesus hier verheißt.
„Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?“
Wer sich zu Jesus bekennt, muss die Frage beantworten: was ist Dir Dein Leben wert – im buchstäblichen und im übertragenen Sinne. Wofür willst Du es leben? Dabei geht es nicht nur um ethische Anforderungen, denen man genügen sollte, wenn man Jesus folgt, also den eigenen Lebensstils, die persönliche „Agenda“– wie wir heute sagen. Es geht um das „Leben“ in allen seinen Dimensionen. Es geht um die gesamte Existenz, um Leben und Tod.
Das griechische Wort „psyche“ – das hier von Markus verwandt wird – bedeutet wie sein hebräisches Aquivalent sowohl „Seele“ als auch „Leben“. Man kann beides deshalb nicht trennen. Das „natürliche“ und das „seelische“, religiöse „Leben“ gehören zusammen. In der Nachfolge aber kommt es zu einer Umkehrung der Werte. Wer sich selbst behauptet, wird sein Leben verlieren, wer sich selbst aufgibt, wird es gewinnen. Wer darauf aus ist, sich selbst durchzusetzen, mag vielleicht die Welt gewinnen – Einfluss, Geld, Macht – wird sich jedoch selbst verlieren. Er oder Sie wird ebenso an der Möglichkeit eines erfüllten Lebens vorbeileben wie die, die das Leben krampfhaft für sich festhalten wollen.
Ein erfülltes, ein glückliches Leben ist nur in der Hingabe zu finden, in einem Leben, in dem Jesus die Mitte ist und der Nächste im Blick bleibt. Ein Leben, das in solcher Hingabe mit Jesus und dem Nächsten verbunden ist, wird mit dem Tod nicht abbrechen, weil es Gott bereits gehört. Durch das Sterben hindurch wird Gott zu diesem Leben stehen, so wie er den Gekreuzigten nicht preisgab, sondern aus dem Tod erweckt hat. Wer sich zu Jesus bekennt, kann dessen gewiss sein.
Die Jünger hatten ihre Hoffnungen auf einen „Messias“ gerichtet, der die Herrschaft der Römer beenden und „Israel erlösen“ werde. Ein neuer David. Ein vollmächtiger Prophet. Ein Elijah, aus dem Himmel wiederkehrend, ein Vorbote für den „Tag des Herrn“, den Tag der letzten Abrechnung. Stattdessen begegnen sie einem „Ganz Anderen“, der sie – gegen alle Zweifel und Widerstände – in die Nachfolge ruft.
Nach seinem Tod am Kreuz erkennen sie:
Gott hat sich darin erwiesen, dass er genau das kann, was der Mensch nicht kann: sich verwerfen lassen, niedrig und gering sein. Wer das versteht, hat Gott verstanden. Dort, im Verworfenen und Gekreuzigten, sieht er Gott in`s Herz. (nach E.Schweitzer)
Liebe Gemeinde,
Jesus sagt: Wer darauf aus ist, sich selbst durchzusetzen, koste es, was es wolle, wird das Leben verlieren, hier und in Gottes Ewigkeit.
Er mag sich zwar rühmen, dass ihn Niemand daran hindern werde, seinen Einfluss und seine Macht weiter und weiter auszudehnen. Er mag seine Gegner verachten, weil diese – wie er meint – schwach und unfähig sind, ihm nichts entgegenzusetzen hätten, sich am Ende seinem Willen unterwerfen müssten. Er mag mit Schmeicheleien und Geld den Einen oder die Andere einkaufen, die ihm bei all dem auch noch zur Hand gehen und insgeheim über ihre Naivität und Dummheit spotten. Ist er doch zutiefst davon überzeugt, dass er das „Reich“, das seine Vorgänger sich – so meint er – aus den Händen haben schlagen lassen, wiedererrichten und zu neuer Größe führen werde. Er mag sich dazu von einer „höheren Macht berufen“ fühlen und sich an den hohen Feiertagen in der Kathedrale demonstrativ bekreuzigen, wie alle Zaren vor ihm.
Doch das alles wird ihm nichts nützen. Wonach er in seinem Herzen trachtet und was er mit seinen Händen ins Werk setzt, ist des Teufels. Es steht gegen alle Gebote Gottes. Früher oder später wird er dafür bezahlen müssen. Wer Jesus nachfolgt, wird dieses so benennen müssen, ohne Umschweife, mit aller Klarheit und Eindeutigkeit.
In Russland gehen jetzt die Menschen auf die Straße, mit eilig geschriebenen Pappschildern in den Händen. „Nein zum Krieg“. Sie senden die Worte über Twitter oder Facebook, wohl wissend, dass die Machthaber versuchen werden, sie zum Schweigen zu bringen, dass man sie schlagen, festnehmen und einsperren wird. Sie nehmen es auf sich. Um wie viel mehr sollten wir, die wir in einem freien und demokratischen Land leben, ihrem Beispiel folgen. Furchtlos und entschieden.
„Dieser Krieg ist weder vor Gott und noch vor den Menschen zu rechtfertigen“, hat der Metropolit der Ukrainisch orthodoxen Kirche, Onufrij, gesagt. Seine Kirche werde die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verteidigen. In den russischen Propagandamedien hat man ihn dafür sogleich geschmäht.
„Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und alles Schlechte über euch reden und damit lügen“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Denn nicht die werden das Leben gewinnen, die ihre Völker niederhalten und ihnen Gewalt antun, sondern die, die das Recht achten und den Frieden wahren. Das ist die Agenda dessen, der das Kreuz auf sich nahm und das Leben gewann. Ihm gilt es zu folgen. Heute, morgen und in Ewigkeit.
Amen
Bernd Krebs