Gedenken an den Ausbruch des 1. Weltkrieges

Predigt zu Römer 12, 21

Koppelschloss Erster Weltkrieg © Wikimedia / Christlicher

Liebe Gemeinde,

meiner Predigt liegt ein Wort aus dem Römerbrief zu Grunde:

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm. 12,21)

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges von 100 Jahren haben sich die Völker vom Bösen überwinden lassen. In einem bis dahin unvorstellbaren Maße. Man hat diesen Krieg die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts genannt. Zahlen vermögen sein Grauen nicht einzufangen aber doch geben sie Hinweise auf das Ausmaß des unvorstellbar Schrecklichen: 10 Millionen Tote und 20 Millionen Verwundete unter den Soldaten; weitere 7 Millionen zivile Opfer – totaler Krieg. Es ist hier weder Zeit noch Ort, um das Geschehene historisch zu analysieren. Lassen Sie mich aber mit Ihnen teilen, was mich an diesem mörderischen Siegeszug des Bösen vor 100 Jahren heute besonders erschrickt.

I.

Da ist die anfängliche Begeisterung, mit der die Völker Europas gegeneinander zu Felde zogen und zugleich die Grausamkeit mit der die Generalitäten den Gegner mit rohester Gewalt überzogen und die eigenen jungen Männer als Kanonenfutter verheizten. Es wurde schon in den ersten Wochen des Krieges an der Westfront deutlich, dass die moderne, industrialisierte Kriegstechnik, namentlich das MG und der Flammenwerfer die Strategie herkömmlicher Kriegsführung obsolet machte. Aber man hielt an ihr fest. Immer wieder wurden die jungen Soldaten gegen die andere Seite in die vergebliche Schlacht getrieben – und so belief sich die Zahl der Toten und Verletzten an der Westfront nach 2 Monaten schon auf 3,5 Millionen.

Da mochte General Helmuth von Moltke einen Nervenzusammenbruch erleiden, ein schlechtes Gewissen hatte er nicht, denn man kämpfte ja für die gerechte Sache. Alle kämpften sie für die gerechte Sache, alle in der Gewissheit, dass der andere der Böse sei. Nicht wahrhabend, dass sie selbst vom Bösen überwunden waren und bis zum bitteren Ende immer mehr desselben Bösen taten.
In der letzten Zeit wurde unter Historikern neu über die Frage der Kriegsschuld diskutiert. Wahr bleibt, dass der 1. Weltkrieg nicht wie eine Naturkatastrophe „ausgebrochen“ ist, nein er wurde begonnen: mit der Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1. August und dann an Frankreich am 3. August. Wie groß die Schuldanteile der anderen sind – abgeneigt waren sie der kriegerischen Auseinandersetzung ja nicht -, muss uns jetzt nicht interessieren. Es hilft auch nicht weiter, darauf hinzuweisen, dass die anderen auch nicht besser waren. Im Gegenteil: Das ist ja das Erschreckende, dass die sich für Kulturträger haltenden Nationen Europas in den Strudel dieses nie da gewesenen Gewaltfurors gerieten.

II.

Kultur! Die Ausstellung zum 1. Weltkrieg hier im Von der Heydt-Museum hat anschaulich gemacht, wie sehr gerade die, die man für die besonderen Träger kultureller Werte ansehen möchte – Kunst und Wissenschaft – auf breitester Linie versagt haben. Sie haben sich in einer für uns Heutige unerträglichen Weise dem Bösen in Dienst gestellt und mit ihren besten Kräften dem Ungeist von Nationalismus und Militarismus zugearbeitet. Ich beschränke mich auf die Wissenschaft.

Im Oktober 1914 haben sich zuerst 93 der bekanntesten Hochschullehrer und 3 Wochen später 3000 Professoren mit öffentlichen Aufrufen an die „Kulturwelt“ gewandt, den Krieg verteidigt und schön geredet. Da wird deutscher Völkerrechtsbruch (der Einmarsch in das neutrale Belgien) verharmlost und deutsche Kriegsverbrechen geleugnet. Der Gegner wird verbal niedergemacht. O-Ton:

Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbünden und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen.

... diesen Satz haben als Teil der 93 auch die bedeutendsten Theologen Ihrer Zeit unterschrieben, was den jungen Karl Barth schier zur Verzweiflung trieb.

Und das Finale des Aufrufes der 3000 Professoren lautet:

Unser Glaube ist, dass für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche „Militarismus“ erkämpfen wird, die Manneszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien deutschen Volkes.

Und die Wissenschaft in der Praxis?

Im der Museumsausstellung war folgendes Zitat eines der besten Köpfe der damaligen Chemiker zu lesen:

„Meiner Meinung nach sollte man [...] auch die T-Hexa-Granaten an der Front ausprobieren. [...] Das wichtigste dabei ist aber dann die feste Hexa-Substanz, die als feines Pulver zerstäubt und, mit Pyridin infiziert, langsam, während sie sich in die Schützengräben hineinsenkt, in Phosgen umgewandelt wird. Dieses Chlorkohlenoxyd ist das gemeinste Zeug, das ich kenne. [...] Die einzig richtige Stelle aber ist die Front, an der man so etwas heute probieren kann und auch für die Zukunft nicht sobald wieder Gelegenheit hat, so etwas auszuprobieren. [...] Ich kann deshalb nur noch einmal dringend empfehlen, die Gelegenheit dieses Krieges nicht vorübergehen zu lassen, ohne auch die Hexa-Granate zu prüfen.“

Der Autor dieser Zeilen, der außerdem einer der „Erfinder“ des Einsatzes von Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter in der Kriegsindustrie war, ist der Wuppertaler Carl Duisberg – Direktor der Bayer-Werke, später Vorstandsvorsitzender von IG-Farbenindustrie. Nach ihm ist unser CDG benannt. Das Gymnasium hat sich mit dieser düsteren Seite seines Namensgebers gründlich und redlich auseinander gesetzt. Ob es weise ist, ihn als Namenspatron einer Ausbildungsstätte junger Leute zu belassen, bleibt umstritten.

Wichtiger ist die aktuelle Diskussion über deutsche Rüstungsexporte. In allen Krisen- und Konfliktgebieten unserer Welt wird mit deutschen Waffen gekämpft. Als Sigmar Gabriel dies jüngst thematisierte und strengere Ausfuhrbestimmungen forderte, wurde er aus Bayern zurückgepfiffen: Dann stagniere ja unsere Rüstungsproduktion und damit auch die Fortentwicklung von Waffentechnik! Und was das an Arbeitsplätzen koste! Also: Export von Todesmaschinen in die Hände von Verbrechern als ABM-Maßnahme? – Lass dich nicht vom Bösen Überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

III.

Das Pauluswort wäre gründlich missverstanden, wenn man meinte, das Gute wäre das Christentum und seine Anhänger sollten sich vor dem Bösen wappnen, was da von außen auf sie einstürmt.

Ganz im Gegenteil: Für mich als Christen gehört es mit Blick auf den 1. Weltkrieg zum besonders Erschreckenden, wie sehr die Christen selbst und die christlichen Kirchen sich vom Bösen haben anstecken lassen, wie christliche Religion zur besonders wirksamen Waffe des Bösen wurde.
Gott mit uns“ – so stand es auf jedem Koppelschloss eingeprägt – und entsprechend wurde gepredigt und die Botschaft von Güte, Gerechtigkeit und Frieden in den Schmutz gezogen. Auch hier wenige aber typische O-Töne.

Am Tage nach der Generalmobilmachung, also am 2. August, einem Sonntag, predigt der Hofprediger Döhring vor dem Reichstag zu Berlin:

Ja, wenn wir nicht das Recht und das gute Gewissen auf unserer Seite hätten, wenn wir nicht – ich möchte fast sagen: handgreiflich – die Nähe Gottes empfänden, der unsere Fahnen entrollt und unserem Kaiser das Schwert zum Kreuzzug, zum heiligen Krieg in die Hand drückt, dann müssten wir zittern und zagen. Nun aber geben wir die trutzig kühne Antwort, die deutscheste von allen deutschen: „Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!

So predigten und so schrieben sie landauf, landab. Dabei besonders abgründig, wie selbst der Gekreuzigte Christus argumentativ für die fromme Kriegstreiberei benutzt wurde. Ein Pfarrer aus Kurhessen schreib 1915 an die Frontsoldaten seiner Gemeinde:

Hoffentlich habt auch Ihr draußen den festen Glauben behalten, wie ich den Konfirmanden als Mahnung mitgegeben: Kämpfe den guten Kampf des Glaubens und ergreife das ewige Leben. Stehet auch Ihr fest im Glauben, seid männlich und seid stark! Wie unser Heiland am Kreuz aushielt, bis er sagen durfte, es ist vollbracht, so wollen wir seine Nachfolger werden.

Und noch zwei Liedstrophen eines damals neu gedichteten geistlichen Liedes:

Heilig Vaterland in Gefahren
deine Söhne stehn, dich zu wahren.
Von Gefahr umringt, Heilig Vaterland,
Schau, von Waffen blinkt jede Hand

Heilig Vaterland, heb zur Stund
Kühn dein Angesicht in die Runde
Sieh uns all entbrannt, Sohn bei Söhnen stehn:
Du sollst bleiben, Land! Wir vergehn

„Verbrochen“ hat diese Zeilen Rudolf Alexander Schröder, von dem wir bis heute wunderschöne Lieder in unserem Gesangbuch haben – aber damals konnte er eben auch dies schreiben – angesteckt von dem bösen Ungeist nationalistischer Kriegstreiberei – und ihn selbst weiter anfachend.

Merken Sie eigentlich, liebe Gemeinde, dass dieser Missbrauch von Religion vom gleichen Kaliber ist wie das, was wir heute aus dem Munde islamistischer Hassprediger hören können. Im Wissen darum, in welche Abgründe christliche Hassprediger ihre Gläubigen geführt haben, besteht für uns heute aller Grund zur Wachsamkeit und zum Gespräch mit den Muslimen, die den Missbrauch ihrer Religion durchschauen – und das sind bei uns Gott sei Dank nicht wenige. Grund zur Überheblichkeit besteht für Christen weiß Gott nicht. Eher zur Demut. Und zur Dankbarkeit dafür, dass die Selbstauslieferung an das Böse nicht das einzige ist, wozu christliche Religion geführt hat.

IV.

Was aber ist denn „das Gute“, das wir dem Bösen entgegen zu setzen haben? Lassen Sie es mich ganz schlicht so sagen: Das Gute ist der Glaube an den Gott, der uns und allen Menschenkindern seine Barmherzigkeit zukommen lässt. Wir leben ja tagaus tagein davon dass Gott selbst sich an unser Predigtwort hält: Er lässt sich von unserer Bosheit nicht anstecken, zahlt nicht mit gleicher Münze heim, sondern begegnet uns alle Morgen neu mit Güte, schätzt uns wert, gibt uns lebensdienliche Weisung, schenkt uns die Möglichkeit zu Umkehr und Neuanfang. Aber noch einmal: Uns und allen Menschen. Entsprechend umschreibt Paulus einige Verse vorher das Gute so: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber Jedermann. Ist´s möglich, soviel an Euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. (V. 17f.).

Wäre diese Botschaft damals in die Herzen gedrungen – man hätte nicht „den“ Franzosen als Unmenschen und „den“ Russen als Untermenschen ansehen und entsprechend behandeln können. Gegenprobe: Hätte ein damalige Feldprediger es gewagt diese eine Wahrheit zu sagen: „Wir ziehen in die Schlacht gegen geliebte Ebenbilder Gottes, gegen Menschen, mit denen Gott genau so im Bunde ist, wie mit uns“ – er wäre wohl als „vaterlandsloser Geselle“ bestraft worden.

Tatsächlich fanden sich schon während des großen Krieges Christen, die ihre Stimme in diesem Sinne erhoben haben. Und es gab noch zu Kriegszeiten gegenseitige Hilfe über Feindesgrenzen hinweg. Aber erst nach dem noch furchtbareren 2. Weltkrieg hat die Weltchristenheit auf der 1. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (1948) gemeinsam zu dem Satz gefunden: Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. Und inzwischen hat sich bei vielen Christen die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch in Konfliktfällen die Rede vom „Gerechten Krieg“ in eine Falle führt. Verheißungsvoll kann nur ein „gerechter Friede“ sein. Statt des Rechtes des Stärkeren plädieren Christen für eine Stärkung des Rechtes.

Auch diese Maxime kann in Gewissenskonflikte führen: Sind Auslandseinsätze in Krisengebieten als „letztes Mittel“ nicht nötig, sogar geboten, um schlimmeres Unrecht zu verhüten und Gewalt einzudämmen? Es gibt Situationen, da hätte die internationale Staatengemeinschaft nicht zusehen dürfen – wie beim Völkermord in Ruanda. Aber es gab eben auch Beispiele, die gezeigt haben, wie wenig geeignet der Krieg ist, um Gerechtigkeit herzustellen, man denke nur an Afghanistan, den Irak oder Libyen. Hier muss in jedem Einzelfall entschieden werden aber die Grundrichtung muss klar sein: Gewaltfreien Mitteln, dazu gehört auch die Diplomatie, ist der Vorrang zu geben. Und alles ist zu unterlassen, was Konflikte verschärft und in die Spirale der gegenseitigen Ansteckung mit dem Bösen führt.

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Heute, hundert Jahre nach Ausbruch des 1. Weltkrieges tritt bei mir neben das Erschrecken die Dankbarkeit:

Ich bin dankbar für ein geeintes Europa. Ehemalige Erzfeinde bilden heute eine Staatengemeinschaft, die seit Jahrzehnten im Frieden miteinander lebt. Dieses hohe Gut ist viel wichtiger als manches, was einen je und dann an der EU oder an „denen“ in Brüssel und Strassburg ärgern mag. Europa ist verbesserungswürdig und – man denke nur an die Haltung gegenüber Flüchtlingen – verbesserungsbedürftig. Aber Europamüdigkeit träte das Geschenk gewachsenen Friedens mit Füssen.

Ich bin dankbar für das Ende des kalten Krieges und den Frieden mit Russland. Auch angesichts des Konfliktes um die Ukraine dürfen wir uns nicht anstecken lassen, sondern müssen die Kräfte unterstützen, die einem Frieden in Gerechtigkeit dienen.

Ich bin dankbar für die weltweite Ökumene, denn in ihr wird erfahrbar, dass wir Glieder eines Leibes sind. Notleidende und erst recht verfolgte Christen müssen sich darauf verlassen können, dass sie in uns verlässliche Geschwister haben. Oder mit Paulus: Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. (V.13)

Schließlich bin ich dankbar für jede Verständigung mit anderen Religionen, denn sie hilft, Vorurteile abzubauen und sie ist der beste Schutz dagegen, dass Religion zur Waffe wird, die der Durchsetzung eigener Interessen gegen den andern dient.

Dazu am Ende eine Mutmachgeschichte aus Wuppertal.

Als am vergangenen Montag ein Brandanschlag auf unsere Synagoge verübt wurde, schrieb Herr Samir Bouaissa im Namen der Interessenvertretung Wuppertaler Moscheen aus seinem Urlaub einen Brief an den Vorsitzenden der Jüdischen Kultuisgemeinde:

„Sehr geehrter Herr Goldberg, Ich weiß gar nicht, wie ich das, was ich fühle in Worte fassen soll...
Voller Abscheu hören und sehen wir Berichte über die Zerstörung von Gotteshäusern im Ausland, erst recht, wenn diese von vermeindlich gläubigen Muslimen begangen werden... Dass aber in unserem Wuppertal auf ein Gotteshaus ein Anschlag verübt wird, war für uns bis heute Morgen unvorstellbar. Wir verurteilen diese verabscheuenswürdige Tat aufs schärfste. Jedes Gotteshaus, ob Synagoge, Kirche oder Moschee, ist unantastbar und mit allen Mitteln zu schützen... Die Wuppertaler Moscheen stehen in diesem Fall fest an Ihrer Seite.“

Lasst uns in diesem Geist auch von unserer Seite das friedliche Zusammenleben der Religionen in unserer Stadt fördern.

Amen

Gehalten am 3. August 2014 in der Niederländisch-reformierten Gemeinde zu Wuppertal


Peter Bukowski, Moderator des Reformierten Bundes
Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens

Gedenkminute am 1. August, 12 Uhr - Material für Gebete und Gottesdienst