Johannes-Rau-Kolloquium: Mitverantwortung für Israel

''Darf Deutschland angesichts seiner Vergangenheit Israel kritisieren?''

Mit der aktuellen Lage im Nahostkonflikt und dem christlich-jüdischem Dialog beschäftigte sich das diesjährige Johannes-Rau-Kolloquium, das erstmals in der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen stattfand.

Unter dem Titel »Mitverantwortung für Israel. Wie kann Geschichte gelingen?«. diskutierten der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Avi Primor, Präses Dr. h.c. Nikolaus Schneider, Dr. Ulrike Schrader, Leiterin der Wuppertaler Begegnungsstätte Alte Synagoge, und Kirchenrat Dr. Ernst Michael Dörrfuß. Unter den rund 200 Gästen in der Gemarker Kirche waren auch Christina Rau, Witwe des 2006 verstorbenen Bundespräsidenten und ihre Tochter Anna. Die WDR-Journalistin Judith Schulte-Loh moderierte das Gespräch.

 

Dr. Anne Käfer

Das Kolloquium begann mit einer Andacht der Berliner Oberkirchenrätin PD Dr. Anne Käfer zu Genesis 4, der Geschichte von Kains Brudermord. »Es herrscht Streit von Anfang an«, konstatierte Käfer. Mit Blick auf multireligiöse Gesellschaften sagte Käfer, dort herrsche darüber Streit, wer den rechten Glaube habe, »wer leben darf und wer nicht länger leben soll« und fragte zugleich »gibt es denn niemanden der Einhalt gebietet, der Streit und Mord zu verhindern sucht?« Die Theologin ermutigte mit Versen Hilde Domins die Hörer, ihres Bruders Hüter zu sein, für die Schwester Verantwortung zu tragen – Kain zu besänftigen und Abel auf die Beine zu helfen.

Bernd Kuschmann

Bernd Kuschmann von den Wuppertaler Bühnen rezitierte aus Raus Rede vor der Knesseth im Februar 2000, in der der Bundespräsdient die besondere Verantwortung Deutschlands für Israel als »ein Grundgesetz deutscher Außenpolitik« hervorhob. Die anschließende Gesprächsrunde wandte sich der Frage zu, wie diese Mitverantwortung gegenüber Israel angesichts veränderter Rahmenbedingungen im Jahre 2012 aussehen kann. Zu Beginn der Diskussion erläuterte Primor die aktuellen innenpolitischen Vorgänge in Israel in puncto Iran-Konflikt und der von Premier Netanjahu abgesagten Neuwahlen im September.

Präses Nikolaus Schneider sagte mit Blick auf den Iran-Israel-Konflikt, die Evangelische Kirche in Deutschland »beobachte mit großer Sorge, dass dort mit dem Feuer gespielt« werde. Ein möglicher Kriegsgang sei aber »kein geeigneter Weg«, gleichwohl brauche man einen anderen Weg der Verständigung, betonte der Präses.

Die bleibende Verbundenheit Israels mit dem Land gelte es gegen alle Realpolitik als theologische und als Glaubensaussage durchzuhalten, forderte Dörrfuß. Schneider betonte, dass dies eine theologische Aussage sei, die eine politische Entscheidung deute, mit der aber keine Politik zu machen sei. Wenn im rheinischen Synodalbeschluss aus dem Jahr 1980 von der bleibenden Treue Gottes gesprochen werde, dann nehme uns diese Treue in die Pflicht Verantwortung zu übernehmen. Zu dieser Treue Gottes gehöre aber auch die Anforderung Gottes, nämlich dass Recht und Gerechtigkeit das Leben prägen. Das gelte für den Umgang im Lande Israel ebenso wie für Israels Umgang mit den Nachbarn und den Palästinensern.

Darf Deutschland angesichts seiner Vergangenheit Israel kritisieren? Avi Primor warf diese Frage auf und beantwortete sie klar: »Wenn wir nun behaupten, dass Deutschland heute nicht nur ein wichtiger Freund ist, sondern ein unentbehrlicher Partner …, dann müssen wir mit diesem Freund offen und ehrlich sprechen können«. Primor vertrat die Meinung, dass es in Deutschland eine Befangenheit gegenüber Israel gebe.

Letztlich kam die Runde zum Grass-Gedicht »Was gesagt werden muss«: Avi Primor betonte, dass das Gedicht das deutsch-israelischen Verhältnis nicht erschwert habe, man habe in Israel die Diskussion in Deutschland genau beobachtet. Wenn Grass indes in Israel die größte Gefahr für den Weltfrieden sehe, dann müsse dies an Hitlers Rede gegen »das internationale Finanzjudentum« vom Januar 1939 erinnern. Das hätte Günter Grass bewusst sein müssen, so Primor. Für Nikolaus Schneider ist Grass‘ Analyse der Sache »desaströs«.

fotos: jan kleinschmidt
text: martin göbler

www.evangelisch-wuppertal.de, 22. Mai 2012