Liebe Gemeinde,
der heutige achte Sonntag nach Trinitatis fragt nach der besonderen Rolle von Juden und Christen in der Welt: Vom Berg Zion – so haben wir es in der Lesung gehört – soll Weisung ausgehen an alle Völker, das Haus Jakob soll wandeln im Licht des HERRN. Und für die Christengemeinde in Ephesus wird dieses Bild aus dem AT aufgegriffen und neu bekräftigt: Lebt als Kinder des Lichts und bringt Frucht durch euer vorbildliches Handeln.
Solche Vorstellungen rufen schon lange Religionskritiker auf den Plan. Sind das nicht hochmütige Haltungen: sich selbst im Licht platzieren und den anderen die Orte der Dunkelheit zuweisen. Darf eine Religion so selbstbewusst, so exklusiv von sich reden? Ist das nicht die Wurzel dessen, was wir als religiös motivierten Terrorismus mit Schrecken erleben?
Solche Fragen nach der Wertigkeit oder Gleich-Wertigkeit der Religionen sind gar nicht so neu. Darum erlauben Sie mir bitte, eine sehr alte Geschichte zu erzählen, die der Dichter und Aufklärer G. E. Lessing in sein Drama Nathan der Weise eingefügt und neu gedeutet hat: die Parabel von den drei Ringen. Viele werden sie kennen.
Da besitzt ein Vater von drei Söhnen einen kostbaren Ring, der die Kraft verleiht, seinen Träger vor Gott und den Menschen „angenehm“, also freundlich, beliebt, anerkannt zu machen. Nur: welchem seiner Söhne soll er ihn vererben? Der Ausweg ist ein heilsamer Betrug. Es werden zwei Kopien gefertigt, so dass es schließlich drei Ringe gibt. Keiner kann sagen, welcher das Original ist.
Hinter den drei Ringen stehen natürlich bei Lessing die drei Religionen: Judentum, Christentum und Islam. Und die Frage, welche nun die wahre sei. Die Antwort gibt ein weiser Richter, um dessen Urteilsspruch die Söhne mit ihren geerbten Ringen bitten. Eine höchst richterliche Entscheidung wird ihnen zwar verweigert, aber sie erhalten einen Rat
Mein Rat ist aber der: ihr nehmt die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von euch jeder seinen Ring von seinem Vater: so glaube jeder sicher seinen Ring den echten. - Möglich, dass der Vater nur die Tyrannei des einen Rings nicht länger in seinem Hause dulden wollen! - Und gewiss, dass er euch alle drei geliebt, und gleich geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen, um einen zu begünstigen. - Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen, komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hülf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte bei euren Kindes-Kindeskindern äußern: so lad' ich über tausend tausend Jahre, sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen, als ich, und sprechen.
Diese Ring-Parabel ist mir zum Leitfaden geworden, wenn ich nach meiner Rolle als Christin gegenüber anderen Religionen oder gegenüber nichtreligiösen Menschen frage. Ja, ich glaube an das Licht, in dem ich stehe. Ja, ich habe einen Ring erhalten. Ja, Wahrheit ist für mich nichts Beliebiges. Aber ich darf Gottes Geheimnis, wie sein Weg mit anderen ist, nicht enthüllen wollen. Dass er für alle Menschen einen, Seinen Weg bereitet hat, daran glaube ich.
Und mit dieser Vorüberlegung lese ich jetzt den Predigttext aus der Bergpredigt Mt 5,13-16.
13 Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.
14 Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.
15 Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.
16 So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.
Salz – eine leichte Brise, Licht – eine schwache Flamme, die Stadt – ein kleiner Teil der Welt. Jesus rechnet nicht mit einer statistisch beeindruckenden Kirche. Jesus verspricht keine sichtbare Großmacht Christentum. Jesus ruft nicht zur Massenmission auf. Jesus setzt auf das Kleine: Salz – vielleicht nur ein Korn. Licht – vielleicht nur ein Funke. Stadt – vielleicht nur ein Haus.
So zu denken haben wir in Jahrhunderten Volkskirche und Kulturchristentum verlernt. Wir schielen nach Zahlen: Taufen und Eintritte, Gottesdienstbesuch. Anteil an der Gesamtbevölkerung. Dabei kommt es gerade in der Bergpredigt darauf überhaupt nicht an. Denn diese leichte Brise Salz macht ein ganzes Essen schmackhaft oder haltbar. Diese schwache Flamme erhellt einen ganzen Raum. Diese kleine Stadt bietet vielen Menschen Obdach und Gemeinschaft.
Was für eine ermutigende Zusage! Jesus versichert seiner Jüngerschaft und also auch uns, dass Gott uns beauftragt zum Wirken in der Welt und dass er uns dazu ausstattet mit Würzkraft und Energie und Menschenliebe. Und Jesus versichert uns, dass wir uns darauf verlassen dürfen, dass man uns schmeckt und sieht und brauchen kann. Uns ist dieser Ring geschenkt, der vor Gott und den Menschen angenehm zu machen vermag. So können wir den Text lesen als ganz besondere Auszeichnung. Ja, wir dürfen uns erwählt, gesegnet, beauftragt, herausgerufen wissen.
Und: Ja, wir sollen und können uns unterscheiden: so wie sich Salz vom ungewürzten Essen unterscheidet, so wie sich Licht vom Dunkel unterscheidet, so wie sich eine Stadt von einer unwirtlichen Gegend unterscheidet. Doch wer unterscheidet, muss Grenzen ziehen. Und da höre ich schon wieder die Stimmen der Kritiker: Immer diese christlichen Besserwisser mit ihren Hirtenworten und Kanzelbotschaften, immer diese christlichen Bremser und Moralapostel. Überall wollen sei reinreden. Die sollen uns in Ruhe lassen und ihre religiösen Bedürfnisse unter sich ausleben!‘ Und ich muss zugeben: manchmal wäre mir das sogar am liebsten. Unsere Gesellschaft ist liberal, wir haben Religionsfreiheit, und meine Freundinnen und Freunde haben es sich abgewöhnt, mich zu fragen, was mir Theologie und Kirche denn bringen. Laissez faire – leben und leben lassen. Warum also nicht das Licht unter den Scheffel stellen? Da kann man sich wohlfühlen – alleine und geborgen mit dem Kerzlein, das einen erwärmt und das Herz rührt. Warum soll ich mich hinauslehnen und mein Christentum zur Schau stellen? Dieses Christentum, das mit seinen Denkschriften und Kanzelreden, mit seinen ethischen Mahnungen und seiner Gesellschaftskritik ohnehin nichts erreicht hat und nichts erreicht.
Bin ich, sind wir vielleicht schal geworden? Haben wir uns mit unseren kleinen Laternen vom Berg in die Ebenen verzogen? Manchmal habe ich diese Befürchtung. Ihr seid das Salz der Erde … Das war der Leitspruch von mir und meinen christlichen Freundinnen und Freunden in der Friedens- und Umweltbewegung. Lieblingslied in jedem Familiengottesdienst. Mit welchem Sendungsbewusstsein sind wir damals angetreten! Ja, wir wollten wirklich Schwerter zu Pflugscharen machen, gegen Aufrüstung und Militärausgaben aktiv sein, unseren Lebensstil und unser Konsumverhalten ändern, unsere Kinder im Geist der Bergpredigt erziehen. Was für eine Aufbruchstimmung! Was für eine Zuversicht!
Und heute: die politisch Verantwortlichen haben die Forderungen der Protestbewegungen längst als folgenlose leere Formeln in ihre Parteiprogramme und Sonntagsreden übernommen, die Grünen haben Militäreinsätze bewilligt, die Medien tun niemand mehr weh. Allenfalls die Kabarettisten übernehmen noch die Rolle einer salzigen Opposition. Was einst auf Kirchentagen umstritten und skandalös war, findet sich heute in faden Feiertagspredigten – gleich welcher Konfession. Sogar der Papst hält Reden, für die er vor 30 Jahren als Befreiungstheologe beschimpft und zum Schweigen verurteilt worden wäre. Ein Erfolg also vielleicht doch? Keine Rede davon. Die Worte bleiben bloße Appelle. Sie tun niemandem weh. Man nimmt sie wohlwollend zur Kenntnis und geht zur Tagesordnung über. Auf den Kirchentagspodien in Stuttgart saßen Merkel und Gauck und de Maizière und Gabriel und verkauften ihre Politik der Alternativlosigkeit einem geduldigen Publikum von Kopfnickern. Und ich frage mich: Wie müsste 2015 das Salz der Erde schmecken? Welchen Leuchter müssten wir für unser Licht wählen? Und wo ist der allen sichtbare Berg, auf den wir unsere Stadt bauen sollen?
Matthäus freilich würde meine Fragen mit einem Wort des Propheten Micha zurückweisen. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (6,8)
Fehlt es uns vielleicht daran – an Demut? Ja, wir würden gerne Salz und Licht sein. Aber bitte mit Garantie! Mitarbeiten am Reich Gottes – warum nicht? Aber dann müsste schon etwas zu sehen sein von Veränderungen! Ist es das, was das Salz verdirbt? Diese Fixierung auf die eigenen Leistungen mit dem Anspruch, Erfolge zu sehen? Gutes tun, um das Gute durchzusetzen. Richtig handeln, damit alles richtig wird. Beispielhaft leben, damit alle anderen das Gleiche tun. Das erwarten wir. Und so sucht uns Resignation und Enttäuschung heim. Was für einen Sinn hat es noch, sich zu engagieren, wenn unser Einsatz doch nicht belohnt wird?
An Demut fehlt es uns. Und so tappen wir von einer Falle in die andere. Wenn wir uns zurücklehnen und alles um uns herum seinen Gang gehen lassen, straft uns schlechtes Gewissen: schal gewordenes Salz sind wir dann, verlöschendes Licht, eine Stadt ohne Wohnstätten. Und wenn wir aufstehen und uns dem falschen Geschehen entgegenstellen, dann erleben wir einen Misserfolg nach dem andern. Niemand braucht Salz im zuckersüßen Schlaraffenland, keiner sieht das Licht im Neonschein der Werbespots, für die vielen Obdach Suchenden ist unsere Stadt viel zu klein.
An Demut fehlt es uns. Die Verheißungen Gottes – wir können sie nicht mehr glauben. Ach, so viele Städte auf Bergen, die wir errichten wollten mit unseren Ideen und mit unserem Einsatz – sie sind verborgen geblieben. So viele Lichter, mit denen wir auf neue, ungewohnte Wege weisen wollten, sie sind erstickt unter den Scheffeln beschwichtigender Sicherheiten. Und wenn uns doch einmal gute Werke gelungen sind – wer preist dafür „unseren Vater im Himmel“? Tun wir es denn selber?
Ja, es fehlt uns an Demut. An Demut und Geduld. An Geduld und Beharrlichkeit. An Beharrlichkeit und glaubender Zuversicht. Steht denn irgendwo in der Bibel etwas davon, dass wir – gewissermaßen als Lohn für unsere tollen Leistungen – die Welt verändern werden? Das Gegenteil ist der Fall! Denken Sie an Mose, der das Gelobte Land nur von ferne sehen darf. Denken Sie an den Psalmdichter, der von Mühe und Arbeit im menschlichen Leben spricht. Denken Sie an Paulus, der seine Schwachheit eingestehen muss. Das Leben unter dem Anspruch Gottes und in der Nachfolge Jesu ist keine Erfolgskarriere. Wir sind nicht unseres Glückes Schmied. Und wir sind nicht die Retter der Welt.
Es gibt da einen sehr ernüchternden Satz des Paulus über die Hoffnung (Römer 8): 24Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.
Sich engagieren, Salz, Licht und Wohnstatt werden – das ist das Eine. Das andere aber ist Warten können.
Schorsch Rieger hat dies in seiner Kolumne ‚Armes Griechenland – Armes Europa‘ letzte Woche auf den Nenner gebracht: „Nein, aussteigen gilt nicht! Gott vertrauen, dass er diese Pole des immer verrückteren Lebens zusammenhält, und mit Vernunft und Humor in der Balance bleiben – und den Fallen aus dem Weg gehen. Das wäre es!“
In der Balance bleiben … Denn tätig werden ohne warten zu können hat verhängnisvolle Folgen. Es kann uns in Depression, in das Gefühl der Sinnlosigkeit, in Selbstzweifel und in Zweifel an Gott führen. Es kann aber auch in Gewalt münden. Gutes tun wollten die amerikanischen Fundamentalisten mit ihrem Kreuzzug gegen das Böse, Gutes tun wollen verblendete junge Menschen, wenn sie Islamisten in einen Krieg gegen den bösen Westen folgen. Wer nicht warten kann, wer die Zukunft nicht in Gottes Hand legen will, wer mit seinem Handeln die Welt verbessern will: sofort und überall und ohne Rücksicht auf Verluste – der hat die Hoffnung längst aufgegeben.
Auch dafür hält der weise Richter in Lessings Drama einen Rat bereit. Sultan Saladin, der ja die Frage nach der wahren Religion gestellt hatte, bekennt am Ende des Gesprächs mit dem Juden Nathan: Die tausend tausend Jahre deines Richters sind noch nicht um. – Sein Richterstuhl ist nicht der meine.
Warten können, die Balance halten, aus der Sehnsucht heraus leben. Das stünde uns Christinnen und Christen gut an. „Denn“ – hier noch einmal Paulus – „wir wissen, dass die ganze Schöpfung seufzt und in Wehen liegt … und in sehnsüchtigem Verlangen wartet.“ (Römer 5, 22; 19)
Und was können wir uns in diesem Wartestand gegenseitig raten? Wir, die wir von Jesus beauftragt sind: Salz – eine leichte Brise, Licht – eine schwache Flamme, die Stadt – ein kleiner Teil der Welt.
Zum ersten: Kein Essen wird allein durch Salz schmackhaft. Vor allem dann nicht, wenn man zu viel des Guten verwendet. Da gibt es noch fränkische Petersilie und indischen Curry, Chili aus Südamerika und Basilikum aus Italien, natürlich auch Thymian aus Griechenland. Salz der Erde können wir werden, wenn wir uns nicht auf uns alleine verlassen, sondern mit anderen zusammenwirken. Da gibt es Runde Tische in den Kommunen zur Lage der Flüchtlinge – mit Kirchen und Sportvereinen, mit Politikern verschiedener Couleur, mit religiösen und nicht religiösen Menschen. Eine gute Würzmischung, die den faden Geschmack brauner Saucen verwandelt.
Zum zweiten: Die Häuser der Stadt auf dem Berge sind immer wieder renovierungsbedürftig. Was nützen jungen Leuten unsere besserwisserischen Storys von früher. Es ist ihre Welt mit ihren medialen Formen, in der sie aktiv werden können und sollen. Vielleicht ganz anders als wir. Vorbild sind wir dann, wenn wir alte Lieblingsstücke entrümpeln, wenn wir Morsches niederreißen lassen, wenn wir neue Bauten unterstützen. Es muss nicht überall ein Turm oder ein Kreuz drauf sein. Amnesty International und Pro Asyl und Campact und viele andere Organisationen leisten hervorragende Aufklärung und Hilfe im Internet. Und da gibt es Synoden wie die der westfälischen Landeskirche, die ihre Sorge um Demokratie und Sozialstaat angesichts der Freihandelsabkommen öffentlich gemacht hat und eine vielseitige Broschüre darüber ins Netz gestellt hat. Wir müssen nicht alles alleine und so wie immer machen wollen.
Zum dritten: Lichter leuchten nicht aus sich heraus, sie brauchen Öl und Wachs, sie brauchen Energie. Ohne Kraftquellen resignieren alle, die Verantwortung in der Welt übernehmen wollen. Unsere Kraftquelle ist das Evangelium von Jesus Christus, der uns den Geist der Menschenliebe und Gerechtigkeit und Hoffnung zugesprochen hat. Die Orte, wo diese Quelle sprudelt, müssen wir immer wieder aufsuchen. Aus ihr müssen wir immer wieder schöpfen. Sie dürfen wir nicht verbauen und versickern lassen durch unsere Ängste und Zweifel.
ER, der uns beauftragt hat, Salz der Erde, Licht der Welt, die Stadt auf dem Berge zu sein, schenke uns dazu Sanftmut, herzliche Verträglichkeit, Wohltun, innigste Ergebenheit in Gott.
Amen