Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Sexagesimae: Lukas 8, 1-10.11-15 - Der Same der Verkündigung trägt nicht überall Frucht
von Johannes Calvin
Lukas 8, 1-10
1 Und es begab sich danach, daß er reiste durch Städte und Dörfer und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes; und die Zwölf waren mit ihm, 2 dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Geister ausgefahren, 3 und Johanna, die Frau des Chusa, eines Verwalters des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen Handreichung taten von ihrer Habe. 4 Da nun viel Volks beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: 5 Es ging ein Säemann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. 6 Und etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum daß es nicht Saft hatte. 7 Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. 8 Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat, zu hören, der höre! 9 Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, was dies Gleichnis wäre. 10 Er aber sprach: Euch ist’s gegeben zu wissen die Geheimnisse des Reiches Gottes, den anderen aber in Geheimnissen, auf daß sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören.
Lukas 8,18
18 So sehet nun darauf, wie ihr zuhöret. Denn wer da hat, dem wird gegeben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er meint zu haben.
Lukas 10,23.24
23 Und er wandte sich zu seinen Jüngern besonders und sprach: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet. 24 Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen, und hören, was ihr höret, und haben’s nicht gehört.
Was ich hier aus dem Lukasevangelium einfüge, bezieht sich vielleicht auf eine andere Zeit, aber weil der Evangelist es in diesen einen Zusammenhang gesetzt hat, schien mir kein Grund zwingend, daß ich es auseinanderrisse. Zuerst sagt er, die zwölf Apostel hätten zusammen mit Christus das Reich Gottes gepredigt. Wir schließen daraus, daß sie sich, obwohl ihnen das regelrechte Lehramt noch nicht übertragen war, doch als eifrige Herolde betätigten, um ihrem Meister Gehör zu verschaffen. So werden sie, obgleich sie an Stellung Christus weit unterlegen waren, seine Gehilfen genannt. Er berichtet dann weiter, Christus habe in seiner Begleitung gewisse Frauen gehabt, die er von bösen Geistern oder bösen Krankheiten geheilt hatte, wie etwa Maria Magdalea, die schon einmal von sieben Dämonen geplagt war. Es könnte den Anschein haben, dass dieser Umgang weniger ehrenvoll gewesen ist; denn was schickte sich für den Sohn Gottes weniger, als übelbeleumundete Frauen mit sich herumzuführen? Aber wir erkennen hierdurch um so besser, daß die Gebrechen, die uns belasteten, bevor wir zum Glauben kamen, der Herrlichkeit Christi gar nicht hinderlich sind, im Gegenteil, sie machen sie noch größer. Und es heißt doch ganz gewiß nicht, daß er die Gemeinde, die er sich erwählte, ohne Runzel und Fleck gefunden, sondern daß er sie mit seinem Blut abgewaschen und sie rein und schön gemacht habe. Darum ging der erbärmliche, schmachvolle Zustand jener Frauen, nachdem sie von ihm befreit sind, in der großen Herrlichkeit Christi auf, damit er die Kennzeichen seiner Kraft und seiner Gnade zeige. Zugleich lobt Lukas auch ihre Dankbarkeit, daß sie nichts auf die Schmähreden der Welt gaben und ihrem Befreier nachfolgten. Zweifellos zeigte man überall mit dem Finger auf sie, und die Gegenwart Christi war für sie wie eine Schaubühne, die die Blicke auf sie lenken mußte; aber sie weigern sich nicht, sich öffentlich in ihrer Schande zu zeigen, damit nur die Herrlichkeit Christi nicht litte und verborgen bliebe. Sie ertrugen sogar freiwillig die Demütigung, damit sein Auftreten überzeugen konnte. Nun hatte sich durch die unermeßliche Güte Christi an Maria ein ganz besonderes Wunder ereignet; die Frau, die einst von sieben Dämonen besessen war und gleichsam unter der allergemeinsten Sklaverei Satans lebte, wurde nicht nur der Ehre einer Jüngerin, sondern auch seines vertrauten Umgangs gewürdigt. Lukas fügt den Beinamen Magdalena hinzu, um sie von der Schwester der Martha und den anderen Marien zu unterscheiden, die anderwärts erwähnt werden.
Luk. 8, 3. „Johanna, die Frau des Chusa.“ Man weiß nicht, ob Lukas diese Frauen ebenso aufgefaßt wissen wollte wie die Maria. Mir kommt es als wahrscheinlich vor, daß sie an die Spitze der Reihe gesetzt wurde, weil Christus an ihr in besonderer Macht gewirkt hatte, und daß die Frau des Chusa und Susanna als ehrenwerte, unbeschrieene Frauen nach ihr genannt werden, weil sie nur von gewöhnlichen Krankheiten geheilt worden waren. Da es reiche und edle Frauen von Stand waren, so verdient ihr frommer Eifer um so mehr Lob, als sie Christi Unterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten und, mit dieser Aufgabe noch nicht zufrieden, ihre häuslichen Geschäfte zurückstellen und trotz der Anfeindungen und vieler Unbequemlichkeiten ihm lieber in die unterschiedlichen und ungewissen Quartiere folgen als das verwöhnte Nichtstun in ihren eigenen Häusern genießen. Es kann auch sein, daß Chusa, ein Verwalter des Herodes, seinem Herrn nicht allzu unähnlich war und dafür dem Vorhaben seiner Frau sehr abgeneigt; doch die fromme Frau überkam dieses Hindernis mit der Glut ihres Eifers und auf Grund von Beharrlichkeit.
Matth. 13, 2. „Und es versammelte sich viel Volks zu ihm.“ Nicht ohne Grund erzählen die Evangelisten zuerst von dem ungeheuren Massenauflauf, dessen Anblick Christus dazu veranlaßte, seine Verkündigung mit einem Samenkorn zu vergleichen. Aus verschiedenen Orten war jene Menge zusammengeströmt, und sie standen alle erwartungsvoll da; bei allen fand sich das gleiche Verlangen zu hören, doch nicht der gleiche Wille, Gewinn für sich daraus zu ziehen. Das war der Anlaß zu dem Gleichnis; man sollte wissen, daß der Same der Verkündigung nicht überall Frucht trägt, obwohl er weit und breit ausgesät wird, denn er findet nicht immer fruchtbares und wohlvorbereitetes Erdreich vor. Christus gibt sich hier also als einen Bauern aus, der ausgehe, um zu säen, aber viele Hörer seien wie unbebautes, dürres Erdreich, andere wie Dornen, so daß die Mühe und der Same selbst verloren sei. Im übrigen erspare ich mir, die Bedeutung des Gleichnisses weiter zu behandeln, bevor wir zu seiner Erklärung kommen, die der Herr selbst ein wenig später gibt. An dieser Stelle sind die Leser nur an eins zu erinnern: wenn bereits die mit unbrauchbarer, ertragloser Erde verglichen werden, die wie Hungrige von entfernten Orten zu Christus gelaufen kamen, so ist es kein Wunder, wenn das Evangelium heute bei vielen keine Frucht bringt, von denen die einen träge und langsam sind, die andern nur schläfrig zuhören und man die dritten kaum zum Zuhören bewegen kann.
Matth. 13, 9. „Wer Ohren bat, der höre!“ Mit diesen Worten deutet Christus einerseits an, daß nicht allen die gleiche Gabe geschenkt sei, aufzufassen, was er sagt, andererseits ermahnt er jedoch seine Jünger, seine Lehre aufmerksamer zu bedenken und sie nicht für etwas zu halten, was offen auf der Hand liege und einfach zu verstehen sei. Gewiß unterscheidet er bei den Hörern so, daß er die einen zuhören, die andern jedoch taub sein läßt. Wenn man nun fragt, woher jene ersteren nun die Ohren haben, dann bezeugt die Schrift an anderer Stelle (Ps. 40, 7), daß niemand sich auf Grund eigener Anstrengung eigne und heranbilde, sondern daß der Herr ihm die Ohren auftue.
Matth. 13, 10. „Und die Jünger traten zu ihm und sprachen.“ Aus den Worten des Matthäus geht hervor, daß die Jünger nicht nur im Blick auf sich, sondern in gleicher Weise auch für die anderen Auskunft wünschten. Wenn schon sie das Gleichnis nicht verstanden, war es ihnen klar, daß es dem Volk erst recht unverständlich war. Darum beschweren sie sich, daß Christus Worte gebrauche, mit denen seine Hörer nichts anfangen konnten. Wenn nun auch Gleichnisse meistens die Sache, um die es sich handelt, erleuchten, so sind sie doch rätselhaft, wenn das Bild, das sie enthalten, niemals aufgelöst wird. Wenn Christus also dieses Gleichnis vortrug, wollte er unter einem bildlichen Vergleich verhüllen, was er ohne Bild klarer und deutlicher hätte sagen können. Nun aber, da die Auslegung dazugestellt ist, hat die bildhafte Rede mehr Aussagekraft und Wirkung als eine einfache. Das heißt, sie ist nicht nur kräftiger, um die Herzen zu bewegen, sondern sie ist auch einsichtiger. So viel liegt daran, wie etwas gesagt wird.
Matth. 13, 11. „Euch ist's gegeben, daß ihr die Geheimnisse des Himmelreichs versteht.“ Aus dieser Antwort Christi schließen wir, daß Gott den Menschen die Predigt vom Heil mit verschiedenen Zielpunkten vorträgt. Denn Christus bezeugt, er habe eigens deshalb dunkler geredet, damit für die breite Masse sein Wort rätselhaft bleibe und es mit einem verworrenen, zweideutigen Ton nur die Ohren berühre. Wenn jemand die Stelle aus Jesaja (45,19) einwerfen will: „Ich habe nicht im Verborgenen geredet an einem finstern Ort der Erde; ich habe nicht zu den Söhnen Jakobs gesagt: Sucht mich vergeblich!", oder den Lobpreis des Gesetzes, den David singt (Ps. 119,105), das Wort sei dem Fuße eine Leuchte und gebe den Unmündigen Weisheit, so ist die Antwort leicht: Das Wort Gottes ist von Natur aus immer hell, doch die Finsternis der Menschen erstickt sein Licht. Denn wenn auch das Gesetz gleichsam wie ein Vorhang davorgelegt worden ist, so ist trotzdem darin die Wahrheit Gottes offenkundig da, nur sind die Augen von vielen verblendet worden. Vom Evangelium bezeugt Paulus richtig, es sei nur den Verworfenen verhüllt und den dem Verderben Geweihten, da Satan ihre Sinne verblendet hat (2. Kor. 4,4). Darum müssen wir wissen, daß die Erleuchtungskraft, an die David erinnert, und die unmittelbare Weise zu lehren, die Jesaja preist, sich eigentlich nur auf das erwählte Volk bezieht. Denn das wird immer feststehen: Das Wort Gottes ist nur insofern dunkel, als die Welt es auf Grund ihrer Blindheit in Dunkel hält. Aber es ist auch wahr, daß der Herr seine Geheimnisse bei sich behält, damit ihre Bedeutung auf keinen Fall dem Verständnis der Verworfenen zugänglich werde. Und zwar nimmt er ihnen auf zwei Arten das Licht seiner Verkündigung: Manchmal trägt er unter Rätselworten etwas vor, was sich klarer sagen ließe; zuweilen erklärt er auch seinen Gedanken offen ohne Umwege und Bilder, macht aber ihre Aufnahmefähigkeit stumpf und schlägt sie mit Torheit, so daß sie bei vollem Licht doch blind sind. Hierauf beziehen sich jene schaudererregenden Drohungen bei Jesaja, wo Gott ankündigt, er werde seinem Volk wie ein Ausländer sein, der eine fremde, unbekannte Sprache spricht; die Gesichte der Propheten würden den Weisen ein verschlossenes, versiegeltes Buch sein, in dem sie nicht lesen könnten; wenn aber das Buch dann geöffnet würde, würden sie alle in Bestürzung versinken und nicht mehr wissen, wie man es liest (Jes. 28,11 und 29,11).
Da nun Christus seine Predigt mit Bedacht so formte, daß sie nur bei wenigen solchen Erfolg hatte, daß sie sich fest in ihren Herzen einwurzelte, da er die andern aber in Erwartung und in Verwirrung beließ, so folgt daraus, daß Gott die Predigt vom Heil den Menschen nicht mit ein und der gleichen Absicht vorträgt, sondern sein wunderbarer Ratschluß hat es so eingerichtet, daß sie den Verworfenen ebensosehr ein Duft des Todes zum Tode werde wie den Erwählten ein lebensspendender Geruch. Damit niemand aufzubegehren wage, beugt Paulus mit diesen Worten vor, wie immer auch sich das Evangelium auswirke, so sei doch sein Geruch, mag er auch todbringend sein, immer vor Gott ein süßer Duft. Damit uns nun aber die Bedeutung der vorliegenden Stelle aufgeht, müssen wir die Absicht Christi, warum und wozu er so gesprochen hat, näher untersuchen. Zuerst einmal will das Gleichnis zweifellos darauf hinaus, daß Christus den Jüngern die ihnen gewährte Gnade in erhöhtem Maße deutlich mache. Denn ihnen war in besonderer Weise etwas geschenkt, was nicht allen unterschiedslos zugänglich war. Wenn einer fragt, woher den Aposteln das Vorrecht solcher Würde zukomme, so findet sich sicherlich der Grund nicht in ihnen selbst, sondern indem Christus erklärt, es sei ihnen geschenkt, schließt er jegliches Verdienst aus. Sie seien allerdings bestimmte, auserwählte Menschen, so erklärt Christus, die Gott besonders mit dieser Ehre auszeichnet, so daß er ihnen seine Geheimnisse eröffnet, den übrigen aber diese Gnade versagt. Für diese Unterscheidung findet sich kein anderer Grund, als daß Gott die zu sich ruft, die er auf Grund seiner freien Entscheidung erwählt.
Matth. 13, 12. Denn wer da hat ... Christus führt weiter aus, was ich schon gesagt habe: Er erinnert seine Jünger daran, wie freigebig Gott an ihnen handle; sie sollen darum seine Gnade um so höher einschätzen und sich als seiner besonders großen Wohltat verpflichtet betrachten. Diese gleichen Worte wiederholt er noch einmal an einer anderen Stelle, doch in einer verschiedenen Bedeutung (Matth. 25,29); dort handelt es sich nämlich um den richtigen Gebrauch der Gaben, hier zeigt er einfach, den Aposteln werde darum mehr geschenkt als den gewöhnlichen Menschen, weil der himmlische Vater seine Wohltaten gegen sie bis ins Übermaß steigern wolle. Denn da er nach Ps. 138,8 das Werk seiner Hände nicht läßt, das er einmal zu bilden begann, so schmückt er es immer unermüdlicher aus, bis er es schließlich zur vollkommensten Schönheit gebracht hat. Darum fließen uns zuweilen so vielerlei Gaben von ihm zu; darum können wir fröhliche Fortschritte machen, weil nämlich der Anblick seiner Wohltaten Gott noch weiter dazu treibt, uns fortwährend zu beschenken.
Sooft er uns darum ein Stück weiter emporgeführt hat, wollen wir daran denken, daß alles, was uns täglich an Gaben zukommt, darin seinen Ursprung hat, daß er das Werk seines Heils, das er begonnen hat, vollenden will. Im Gegensatz dazu erklärt Christus nun aber, die Verworfenen würden immer tiefer stürzen, bis sie, völlig am Ende, auf Grund ihrer Armut dahinschwinden. Dieses Wort wirkt nun hart, daß den Gottlosen das weggenommen wird, was sie gar nicht haben; doch Lukas mildert die Härte, und, indem er die Worte ein wenig abändert, nimmt er ihnen ihre Schwierigkeit. Er sagt: Was sie dem Augenschein nach haben, das wird ihnen genommen. Und ganz gewiß kommt es sehr oft vor, daß auch die Bösen mit vortrefflichen Gaben glänzen und dem Aussehen nach den Kindern Gottes ganz gleich sind. Doch gibt es bei ihnen nichts Beständiges, weil ihr Herz keine Frömmigkeit kennt und all ihre Pracht sich als leer entpuppt. Darum behauptet Matthäus mit Recht, sie hätten überhaupt nichts, weil es vor Gott wie nichts gelte und innerlich leer sei. Lukas aber deutet in passender Weise darauf hin, daß sie die Gaben, mit denen sie beschenkt wurden, selbst verderben, so daß sie nur in den Augen der Menschen glänzen und im übrigen nichts haben als Pomp und leeren Schein. Wir lernen daraus auch, daß wir unser ganzes Leben danach streben sollen weiterzukommen, denn Gott bietet uns ja einen Vorgeschmack seiner himmlischen Lehre dar, wenn er bestimmt, daß wir uns täglich reichlicher davon nähren sollen, bis wir zu einer vollen Sättigung gelangt sind. Bei Markus liest sich dieses Wort ein wenig unklarer. Gebt acht, sagt der Herr, was euch gesagt wird. Wenn sie daraufhin gehörig vorankommen, macht er ihnen Hoffnung auf reichere Gaben. Euch, die ihr hört, wird noch dazugegeben werden, sagt er. Endlich schließt er mit dem Sätzchen, das mit den Worten des Matthäus übereinstimmt. Doch schob er einen Satz dazwischen, den ich schon in Matth. 7 behandelt habe, weil es unwahrscheinlich ist, daß er der Zeitfolge nach hier seinen Platz hatte. Denn die Evangelisten waren, wie ich hin und wieder schon erwähnt habe, nicht darauf erpicht, fertige Reden von Christus zustande zu bringen, sondern oft stellen sie nur verschiedene Aussprüche von ihm zusammen. Lukas, der zum Teil andere Reden Christi wiedergibt, mischt den gleichen Ausspruch ein und bezeichnet zugleich einen anderen Grund, warum Christus so gesprochen habe. Wir sollen nämlich auf seine Lehre achthaben, damit der Lebenssame nicht leichtsinnig verschüttet werde, der doch tief in den Herzen aufgenommen werden und dort Wurzeln treiben soll. Er hätte auch sagen können: Paßt auf, daß euch nicht genommen wird, was euch geschenkt wurde, wenn ihr kein Weiterschreiten zeigt.
Matth. 13, 13. „Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen.“ Nach seinen Worten redet er darum dunkel zum Volk, weil es das wahre Licht nicht besitze. Wenn er behauptet, ein Schleier liege auf den Juden wie auf Blinden, so daß sie in ihrer Finsternis verharren müßten, so gibt er ihnen doch nicht die Schuld daran, sondern er preist damit nur die Gnade um so höher, die den Aposteln widerfuhr, die doch nicht allen in gleicher Weise gemeinsam sei. Darum gibt er keine andere Ursache an als den geheimen Ratschluß Gottes, dessen Sinn uns zwar verborgen ist, der trotzdem aber feststeht, wie wir bald deutlicher sehen werden. Obwohl im allgemeinen Gleichnisse einen andern Zweck verfolgen als Rätselworte wiederzugeben, die Gott nicht in Klarheit kundtun will, so müssen wir hier sagen: Das hier vorliegende Gleichnis wurde von Christus so vorgetragen, daß es wegen seiner Bildrede wie ein dunkles Rätselwort wirkte.
Matth. 13, 14. „Und an ihnen wird die Weissagung Jesajas erfüllt.“ Die Weissagung des Jesaja bestätigt, daß es in keiner Weise etwas Neues sei, wenn viele keinen Nutzen aus dem Wort Gottes ziehen, das doch einst dem alten Volk zu noch tieferer Verblendung bestimmt war. Im übrigen wird diese Stelle des Propheten verschiedentlich im Neuen Testament erwähnt. Paulus wirft Apg. 28, 26ff. den Juden ihre hartnäckige Bosheit vor und behauptet, sie seien deshalb blind für das Licht des Evangeliums, weil sie sich gegen Gott auflehnten und rebellierten. So gibt er die zunächstliegende Ursache an, die nämlich in den Menschen selbst lag. In Röm. 11, 7 f. jedoch leitete er den Unterschied von einem tieferen und weniger offenbaren Grund ab. Er lehrt, es werde ein Rest auf Grund der Erwählung aus Gnaden gerettet, die übrigen aber seien verstockt, wie es in Jes. 29, 10 steht. Jene Gegenüberstellung ist bemerkenswert: Denn wenn allein die Erwählung Gottes, und zwar die aus Gnaden, einen beliebigen Rest des Volkes rettet, so folgt daraus, daß alle andern vergehen, auf Grund des verborgenen Urteils Gottes, das zugleich doch auch gerecht ist. Denn wer sind die übrigen, die Paulus dem erwählten Rest gegenüberstellt, wenn nicht die, die Gott eines besonderen Heils gewürdigt hat? Ein ähnlicher Gedankengang begegnet uns in Joh. 12, 38: Es heißt, viele hätten nicht geglaubt, weil nur der glaubt, dem es der Arm des Herrn offenbart. Und Johannes schreibt weiter: Jene hätten gar nicht glauben können, weil wiederum geschrieben sei (Jes. 6, 10): „Verstocke das Herz dieses Volks ..." Genau das meint Christus, wenn er sich auf den verborgenen Plan Gottes bezieht; denn die Wahrheit des Evangeliums werde nicht allen ohne Unterschied eröffnet, sondern sie werde ihnen aus der Ferne und unter Rätselsprüchen vorgetragen, so daß sich nichts als noch dichtere Finsternis über das Verstehen des Volkes breite. Ich gebe zwar zu, daß Gott immer solche verstockt, die er dieser Strafe für würdig befindet, aber da nicht immer der nächstliegende Grund im Wesen der Menschen selbst zutage liegt, so bleibt dieser Grundsatz bestehen: Wen Gott in gnädiger Weise erwählt hat, der wird durch göttliche Kraft zum Heil erleuchtet, und das auf Grund eines einzigartigen Geschenks; allen Verworfenen aber wird das Licht des Lebens genommen, mag ihnen nun Gott sein Wort entziehen, mögen ihre Augen und Ohren versperrt sein, daß sie nicht sehen noch hören. Wir begreifen jetzt, in welcher Weise Christus die Weissagung des Propheten im vorliegenden Fall verstanden wissen will.
„Mit den Ohren werdet ihr hören." Es war nicht nötig, die Worte des Propheten wörtlich anzuführen, weil es Christus genügte, wenn er zeigte, daß es kein neues oder ungewöhnliches Vorkommnis war, wenn viele sich angesichts den Wortes Gottes verstockten. Dem Propheten war gesagt worden: Geh hin und verstocke ihre Einsicht und mache ihre Herzen hart; das wandte nun Matthäus auf die Hörer Jesu an, um zu zeigen, daß sie selbst die Schuld für ihre Blindheit und Verstockung tragen. Denn man kann das eine nicht vom andern trennen, weil alle, die Gott an einen verworfenen Sinn dahingegeben hat, sich freiwillig und in innerlicher Bosheit verblenden und verstocken. Wie könnte es auch anders sein, wo der Geist Gottes nicht herrscht, von dem allein die Erwählten regiert werden! Darum müssen wir auf diesen Zusammenhang achten: Die Gott nicht mit dem Geist der Kindschaft erleuchtet, haben auch keine gesunde Einsicht; darum werden sie durch das Wort Gottes nur noch mehr verstockt; trotzdem tragen sie selbst die Schuld daran, weil ihre Verstockung selbstgewollt ist. Im übrigen finden hier die Diener am Wort einen Trost, wenn ihre Mühe oft nicht den ersehnten Erfolg findet. Vielen Menschen ist ihre Verkündigung so wenig zum Gedeih, daß sie dadurch nur noch schlimmer werden. Den Dienern am Wort heute widerfährt nämlich nur, was der Prophet bereits erlebt hat, und über ihn sind sie ja nicht erhaben. Es wäre zwar zu wünschen, daß sie alle zum Gehorsam gegen Gott bringen könnten, und es ist ihre Aufgabe, sich dafür einzusetzen und zu mühen. Indessen sollen sie sich nur nicht wundern, daß heute das Gericht Gottes auch noch gilt, das er damals durch den Dienst des Propheten vollstreckte. Doch müssen wir uns beständig davor hüten, daß nicht durch unsere Nachlässigkeit die Frucht des Evangeliums umkomme.
Mark. 4, 12. „Auf daß sie es mit sehenden Augen sehen und doch nicht erkennen.“ Hier genügt es, wenn ich kurz anmerke, was ich früher schon breiter ausgeführt habe. Die Verkündigung ist weder ihrer Eigentümlichkeit nach noch durch sich selbst, noch ihrer Natur nach der Grund der Verstockung, sondern sie will durch die Umstände, die sie antrifft. Denn es ist so, wie wenn ein Nachtblinder an die Sonne kommt und seine Augen dadurch noch weniger Sehkraft haben. Man kann dieses Übel darum in keiner Weise der Sonne zuschreiben, sondern den Augen des Nachtblinden. So verblendet und verstockt das Wort Gottes auch die Verworfenen; da das durch ihre Bosheit geschieht, so hängt es mit ihrer Art und ihrem Wesen zusammen und ist nur zufällig mit dem Wort verbunden und nicht wesentlich.
„Auf daß sie sich nicht etwa bekehren“. Dieser Zusatz zeigt, wozu das Sehen und das Erkennen nützt. Die Menschen sollen sich nämlich dadurch zu Gott bekehren und bei ihm wieder zu Gnaden kommen. Und wenn er ihnen dann gnädig ist, dann können sie gut und glücklich leben. Darum möchte der Herr sein Wort eigentlich mit diesem Ziel verkündigt sehen, daß es die Einsicht und die Herzen der Menschen erneuert und sie mit sich versöhnt. Über die Gottlosen aber verkündet Jesaja hier das Gegenteil: sie sollen in ihrer steinernen Härte verbleiben, damit sie keine Barmherzigkeit erlangen, und ihnen gegenüber verliere das Wort seine Wirkung, da es ja ihre Herzen nicht zur Buße erweiche. Mit „helfen“, wörtlich „Heilung bringen", meint Matthäus wie auch der Prophet die Befreiung von allem Übel. Denn sie vergleichen das von der Hand Gottes geschlagene Volk im Bild mit einem kranken Menschen. Darum nennen sie es Gesundheit erlangen, wenn der Herr die Strafen erläßt. Aber da jene Gesundheit von der Vergebung der Sünden abhängt, gibt Markus passend und klug den Grund und die Ursache dafür an. Denn woher soll denn eine Erleichterung der Strafen kommen, wenn nicht daher, daß uns der Herr gut ist und uns seinen Segen schenkt? Wenn er auch zuweilen, obwohl er uns die Schuld erlassen hat, mit der Strafe nicht aufhört, dann sollen wir dadurch entweder tiefer gedemütigt werden oder wir sollen in Zukunft mehr auf der Hut sein. Im Ganzen gilt jedoch, daß wir die Zeichen seiner Huld erkennen können, wenn er uns lebendig macht und erneuert. Da nun meistens die Strafe zusammen mit der Schuld erlassen wird, so setzt man mit Recht Heilung und Vergebung miteinander in Zusammenhang. Im übrigen darf daraus auf keinen Fall gefolgert werden, die Buße sei der Grund zur Vergebung, als ob Gott die Bußfertigen in Gnaden annimmt, weil sie es so verdient hätten (denn auch die Buße selbst ist ein Zeichen der unverdienten Gnade Gottes); es wird damit nur eine Ordnung und ein Zusammenhang bezeichnet, weil Gott nur dann die Sünden vergibt, wenn Menschen mit sich selbst ins Zerwürfnis geraten.
Matth. 13, 16. „Aber selig sind eure Augen.“ Lukas scheint diesen Ausspruch in eine spätere Zeit zu verschieben. Doch die Erklärung dafür ist einfach: die meisten Aussprüche dort sind nicht einer genauen Zeitfolge entsprechend zusammengestellt. Darum wollen wir dem Zusammenhang bei Matthäus folgen, der es deutlicher zum Ausdruck bringt, woher er den Anlaß genommen hat, so zu reden. Denn wie es zuvor um die einzigartige Gnade ging, die ihnen zugekommen war und sie dann darauf aufmerksam gemacht wurden, daß der Herr sie aus dem Volk herausnahm und ihnen einen freien Zugang zu den Geheimnissen seines Reiches ließ, so wird jetzt die gleiche Gnade durch einen anderen Vergleich gepriesen: sie stehen nämlich damit über den alten Propheten und den heiligen Königen. Das ist noch viel herrlicher, als der ungläubigen Menge vorgezogen zu werden. Christus meint nun aber nicht gewöhnliches Hören und auch nicht einfaches Sehen des Fleisches, sondern er preist ihre Augen darum selig, weil sie die Herrlichkeit wahrnehmen, die dem eingeborenen Sohn Gottes zukommt, so daß sie ihn als ihren Erlöser erkennen. Denn ihnen strahlt das lebendige Ebenbild Gottes entgegen, in dem sie Heil und wahrhafte Seligkeit erlangen. Weiter preist er ihre Augen selig, weil an ihnen erfüllt wird, was durch die Propheten gesagt worden war, daß sie voll und ganz von Gott gelehrt würden und keiner von seinem Nächsten lernen müsse. So wird der Einwand zerstreut, den man von einem andern Wort Christi her anführen könnte, wo er selig die nennt, die nicht sehen und doch glauben (Joh. 20, 29). Denn dort ist eine andere Art von Sehen gemeint, wie es nämlich Thomas als sinnenfälligen Beweis begehrte. Das Sehen jedoch, von dem Christus hier spricht, ist den Gläubigen aller Zeiten mit den Aposteln gemein. Denn nicht sehend sehen wir Christus und nicht hörend hören wir ihn. Denn im Evangelium tritt er uns von Angesicht zu Angesicht entgegen, wie Paulus (2. Kor. 3, 18) sagt, damit wir in sein Bild verklärt werden, und die Fülle der Weisheit, der Gerechtigkeit und des Lebens, die einmal in ihm offenbar wurde, strahlt beständig von ihm aus.
Luk. 10, 24. „Und Könige wollten sehen.“ Mit Recht heißt es, die Gemeinde zu Jesu Zeiten sei besser daran als die heiligen Väter, die unter dem Gesetz lebten. Ihnen wurde nur unter Schattenbildern und Verhüllungen gezeigt, was nun in dem strahlenden Angesicht Christi offen zutage tritt. Denn nachdem der Vorhang des Tempels zerrissen ist, treten wir im Glauben in das himmlische Heiligtum ein, und der freie Zugang zu Gott steht uns offen. Denn wenn die Väter, sich auch mit ihrem Geschick begnügten und einen seligen Frieden in ihren Herzen hegten, so stimmt doch auch, daß sie mit ihrem Sehnen weiter ausgriffen. So sah zwar Abraham den Tag Christi von ferne und freute sich (Joh. 8, 56), doch wünschte er sich, einen Blick aus weiterer Nähe zu tun, und kam doch nicht in den Genuß seines Wunsches. Allen aus dem Herzen spricht Simeon, wenn er sagt; „Herr, nun lassest du deinen Diener im Frieden fahren ..." (Luk. 2, 29). Es konnte aber auch gar nicht anders sein, daß alle, unter der Last des Fluches, von dem das ganze Menschengeschlecht bedrückt ist, in Sehnsucht nach der verheißenen Befreiung entbrannten. Wir sollen also mitnehmen, daß sie sich wie Verschmachtende nach Christus sehnten, und doch war ihr Glaube ruhig, so daß sie Gott nicht in den Weg traten, sondern in ihren Herzen geduldig darauf warteten, bis die Zeit zur Offenbarung reif wäre.
[Matthäus 13, 13-18; Markus 4, 13-20]
Lukas 8, 11-15
11 Das Gleichnis aber ist dies: Der Same ist das Wort Gottes. 12 Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden. 13 Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. 14 Das aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Freuden des Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. 15 Das aber auf dem guten Land sind, die das Wort hören und behalten in einem seinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.
Bei Matthäus und Lukas erklärt Christus den Jüngern das Gleichnis einfach, ohne sie zu tadeln. Bei Markus jedoch wirft er ihnen in versteckter Weise ihre Schwerfälligkeit vor, weil sie nicht schneller seien als die andern, wo sie doch in Zukunft alle lehren sollten. Mit der ganzen Erklärung will Christus sagen: Die Verkündigung des Evangeliums, die wie ein Same ausgestreut wird, bringt nicht überall Frucht, denn sie fällt nicht immer auf fruchtbares und wohlvorbereitetes Erdreich. Er zählt vier Arten von Hörern auf: Die ersten nehmen den Samen gar nicht auf; die zweiten scheinen ihn zwar aufzunehmen, aber nur so, daß er keine Wurzeln treiben kann; bei den dritten wird die Saat erstickt; so bleibt nur der vierte Teil übrig, der Frucht bringt. Es ist nicht so, daß von den vier Hörergruppen nur eine oder von vierzig nur zehn die Verkündigung annehmen und Frucht bringen, denn sicherlich wollte Christus hier nicht im voraus ein bestimmtes Zahlenverhältnis angeben, noch wollte er die, über die er spricht, in gleich große Gruppen teilen. Denn der Ertrag für den Glauben ist doch nicht immer der gleiche, sondern er ist, wo das Wort ausgestreut wird, bald reicher, bald kärglicher. Christus wollte nur daran erinnern, daß bei vielen der Same des Lebens verderbe wegen verschiedener Mängel, durch die er entweder sofort umkommt oder verdorrt oder langsam seine Kraft verliert. Damit wir uns im übrigen diese Mahnung mehr zu Herzen nehmen, sollen wir beachten, daß die Verächter, die das Wort Gottes offen von sich weisen, hier gar nicht erwähnt werden, sondern daß hier nur von denen gesprochen wird, bei denen eine gewisse Bereitschaft zum Lernen dazusein scheint. Wenn schon der größere Teil von denen aus den Augen schwindet, wie mag es dann erst der übrigen Welt gehen, die die Verkündigung des Heils offen von sich weist? Nun will ich zum einzelnen kommen.
Matth. 13, 19. Wenn jemand das Wort von dem Reich hört und nicht versteht. An erster Stelle erwähnt er die Unfruchtbaren und Verwilderten, die den Samen innerlich nicht aufnehmen, weil ihre Herzen gar nicht vorbereitet sind. Solche vergleicht er mit hartem, trockenem Erdreich, das wie ein Estrich festgestampft wurde und ausgetrocknet ist. Wenn man nur nicht so viele von dieser Art heutzutage sehen müßte, die sich zum Hören bereitfinden, aber dann wie angedonnert dastehen und überhaupt keine Ahnung davon erfassen! Mit einem Wort, sie unterscheiden sich kaum von Baumstümpfen oder Steinen; darum ist es kein Wunder, daß sie völlig unbeständig sind. Wenn Christus von dem Wort sagt, es werde in ihre Herzen gesät, so ist das nicht wörtlich zu nehmen; doch hat es seinen Sinn, denn durch die Fehler und die Bosheit der Menschen verliert das Wort nicht sein Wesen, der Same verliert nicht seine Kraft. Das ist aufmerksam zu bedenken, damit wir nicht meinen, es habe Gottes Gnadengaben verloren, wenn auch ihre Wirkung nicht bis zu uns durchdringt. Was Gott nämlich angeht, so sät er wohl das Wort in die Herzen, aber nicht die Herzen aller Menschen nehmen jenen Samen mit Sanftmut auf, wie Jakobus (1,21) mahnt. Seinem Vermögen nach ist darum das Evangelium immer fruchtbarer Same, doch nicht dann, wenn es seine Wirkung entfaltet. Lukas fügt hinzu, der Teufel reiße den Samen aus ihren Herzen, auf daß sie nicht glauben und selig werden. Daraus schließen wir, daß dieser Feind unserer Seligkeit, wie es hungrige Vögel während der Saatzeit tun, mitten in der Verkündigung auftaucht und nicht davon abläßt, auf sie einzuwirken, um sie an sich zu reißen, bevor der Same Feuchtigkeit aufgesogen hat und keimen kann. Es ist ein ungewöhnlicher Lobpreis des Glaubens, wenn er die Ursache unserer Seligkeit genannt wird.
Matth. 13, 20. „Bei dem auf das Felsige gesät ist ...“ Diese Gruppe unterscheidet sich von der ersten. Ein zeitweiliger Glaube läßt, als ob der Same aufgenommen sei, anfänglich einige Frucht erwarten, aber die Herzen sind nicht so gut und gründlich durchgearbeitet, daß ihre Lockerkeit als beständige Nahrung genügte. Von dieser Sorte beobachten wir heute nur allzu viele: mit Eifer nehmen sie das Evangelium an, um wenig später wieder abzufallen. Denn es fehlt die lebendige Leidenschaft, die sie zur Beharrlichkeit festigt. Darum soll sich jeder gründlich prüfen, daß nicht der Eifer, der einen großen Schein aussendet, nach kurzer Zeit verglimmt wie ein Strohfeuer, wie man sagt. Nur wo das Wort das ganze Herz von Grund auf durchdringt und tiefe Wurzeln schlägt, wird der Glaube fortwährend mit Feuchtigkeit versorgt, so daß er beharren kann. Zwar ist jene Bereitschaft erfreulich, das Wort Gottes in dem Augenblick, in dem es angeboten wird, ohne Zögern und fröhlich anzunehmen; doch wissen wir, daß damit noch nichts gewonnen ist, bevor der Glaube nicht eine gediegene Kraft gesammelt hat, damit er nicht verdorrt, wenn er in die ersten Halme schießt. Um ein Beispiel zu geben, führt Christus die Menschen an, die sich vom Ärgernis des Kreuzes umwerfen lassen. Und so gewiß, wie die Hitze der Sonne die Fruchtbarkeit der Erde erweist, so deckt auch Verfolgung und Kreuz die Hohlheit derer auf, die nur von irgendeiner Neigung berührt, aber der Liebe zur Frömmigkeit nicht aufrichtig und ernsthaft zugetan sind. Solche werden bei Matthäus und Markus wetterwendisch genannt oder eigentlich „Zeitgläubige", nicht nur darum, weil sie sich nur eine Zeitlang als Christi Jünger bekennen und hernach in der Versuchung wieder abfallen, sondern weil es bei ihnen auch so aussieht, als ob sie den wahren Glauben hätten. Darum sagt Jesus auch bei Lukas, sie würden nur eine Zeitlang glauben, weil jene Ehrerbietung, die sie dem Evangelium zollen, so ähnlich aussieht wie Glaube. Doch müssen wir wissen, daß sie nicht in Wahrheit von dem unvergänglichen Samen wiedergeboren sind, der niemals kraftlos wird, wie Petrus lehrt (1. Petr. 1,23ff.). Denn jenes Wort des Jesaja (Jes. 40,8): das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit, erfüllt sich nach den Worten des Petrus an den Herzen der Gläubigen, in die einmal die Wahrheit Gottes eingesenkt wurde und dann niemals wieder verging, sondern bis ans Ende kräftig ist. Doch glauben in gewisser Hinsicht auch die, denen das Wort Gottes als liebenswert erscheint und bei denen es eine gewisse Ehrerbietung erfährt. Denn ganz gewiß unterscheiden sie sich von den Ungläubigen, die mit dem Glauben nichts zu tun haben wollen, wenn Gott zu ihnen redet, oder sein Wort gar zurückweisen. Nur soviel sollen wir wissen: Keiner ist des wahren Glaubens teilhaftig, der nicht vom Geist der Kindschaft Gottes versiegelt ist und Gott von ganzem Herzen als Vater anruft. Wie einerseits jener Geist niemals erlischt, so kann auch unmöglich der Glaube, den er den Herzen der Gläubigen einmal eingeprägt hat, sich verflüchtigen und vergehen.
Matth. 13, 22. „Bei dem aber unter die Dornen gesät ist ..“. Zu der dritten Gruppe rechnet Jesus die, die sich zwar als geeignet erweisen würden, den Samen bei sich innen zu behalten, wenn sie ihn nicht von anderer Seite verderben und verkommen ließen. Mit Dornen vergleicht Christus die weltlichen Lüste oder die bösen Begierden und die Habsucht und die anderen Sorgen des Fleisches. Obgleich Matthäus außer der „Sorge der Welt“ nur noch die Habsucht erwähnt, so meint er doch dasselbe; denn er begreift unter diesem Wort die Verlockungen der Begierden, die Lukas aufzählt, und jede Art von Lust. Denn wie Dornen und anderes Unkraut den sonst munter sprossenden Samen ersticken, wenn er in die Halme schießt, so herrschen in den Herzen der Menschen die bösen Leidenschaften des Fleisches und sind dem Glauben überlegen. Dadurch zerstören sie die Kraft der himmlischen Verkündigung, die noch nicht ausgereift ist. Wenn die bösen Begierden das Herz des Menschen auch besitzen, bevor das Wort des Herrn Blätter treibt, so scheinen sie doch bei den ersten Anfängen das Feld noch nicht zu beherrschen, sondern sie kommen erst langsam, nachdem der Same aufgegangen ist und Frucht verspricht. Darum muß sich jeder einzelne Mühe geben, die Dornen aus seinem Herzen auszureißen, wenn er nicht möchte, daß das Wort Gottes bei ihm erstickt wird. Denn es gibt niemanden, der nicht voll wäre von einem unübersehbaren Gehege von Dornen, ja gleichsam einem dichten Wald. Und wir sehen ganz genau, wie nur wenige zur Reife gelangen; denn kaum jeder Zehnte bemüht sich, die Dornen auszuroden, geschweige denn sie wenigstens zurückzuschneiden. Und gerade diese riesige Menge, die unsere Trägheit aufrütteln müßte, ist den meisten ein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. „Betrug des Reichtums“ nannte Christus die Habsucht. Er hat es genau bedacht, wenn er den Reichtum täuschend und verführerisch nannte, damit sich die Menschen um so mehr vor seinen Fangstricken in acht nehmen lernen. Im übrigen denken wir daran, daß es ebenso viele Schädlinge gibt, die den Samen des Lebens zerstören, wie Leidenschaften unseres Fleisches, deren Menge und Mannigfaltigkeit unzählbar ist.
Matth. 13, 23. „Bei dem aber in das gute Land gesät ist...“ Nur die vergleicht Christus mit guter und fruchtbarer Erde, in denen das Wort des Herrn nicht nur Wurzeln treibt, und zwar tiefe und beständige, sondern wo es auch alle Hindernisse überwindet, die seiner Frucht zuvorkommen wollen. Wenn einer einwendet, es gäbe keinen Menschen, der von Dornen frei und rein wäre, so ist die Antwort leicht: Christus spricht hier nicht von der Vollkommenheit des Glaubens, sondern zeigt nur, bei welchen Menschen er Frucht bringt. Obgleich also das Vorankommen gering sein wird, so wird doch jeder, der nicht vom aufrichtigen Gottesdienst abfällt, als gutes und fruchtbares Erdreich angesehen. Zwar müssen wir uns mühen, die Dornen auszureißen, aber weil wir es niemals in auch noch so fleißiger Arbeit zuwege bringen, sondern immer irgendein Rest bleibt, so soll doch wenigstens jeder von uns danach streben, ihnen die Lebenskraft zu nehmen, damit sie nicht der Frucht des Wortes hinderlich sind. Der folgende Satz bestätigt dieses Wort, wenn Christus lehrt, daß nicht alle nach dem gleichen Maß Frucht bringen. Wenn auch im Vergleich mit dem hundertfältigen Ertrag die Fruchtbarkeit der Erde nur kläglich ist, wo sie einen dreißigfältigen Ertrag bringt, so sehen wir doch, daß Christus alle diese Böden zusammen nennt, die die Arbeit und Hoffnung des Bauern nicht gänzlich zunichte machen. Und daraus lernen wir, daß wir in keiner Weise die verachten dürfen, die sich weniger hervortun; wenn zwar der Hausvater selbst jeden einzelnen nach dem Maß seines Reichtums den andern voranstellt, so würdigt er doch auch die Geringeren in einem gemeinsamen Lob ihrer guten Beschaffenheit. Im übrigen verrenkt Hieronymus in unsinniger Weise jene drei Gruppen auf Jungfrauen, Witwen und verheiratete Frauen, als ob der Fortschritt, den der Herr von uns fordert, allein mit der Ehelosigkeit zu machen sei und als ob nicht oft ein rechtschaffener Ehestand sich reicher erweise im Hervorbringen jeglicher Frucht und Vorzüge. Nebenbei muß man auch dies wissen, daß Christus hier nicht übertreibt, wenn er von der hundertfältigen Frucht spricht; gewisse Gebiete besaßen damals eine Fruchtbarkeit, die wir von sehr vielen Geschichtsschreibern, und zwar von Augenzeugen, kennen.
Aus: Calvin, Auslegung der Heiligen Schrift, Die Evangelienharmonie 1. Teil, Neuenkirchener Verlag 1966, S. 382ff.
Bewahre uns davor, biblische Sätze als Waffe zu missbrauchen, mit der wir einschüchtern und verletzen.