Nationalismus auf dem Vormarsch

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim

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Man spricht vom „Sommermärchen“, wenn man an jenen Sommer denkt, als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wurde. Über Nacht kamen sie zum Vorschein: große und kleine Fahnen. Schwarz-Rot-Gold war überall. Diese Begeisterung für das Nationale war mir schon damals nicht geheuer. Heute wird deutlich, wohin sie führt.

Die nationale Idee ist gar so sehr alt. Es gibt sie eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert, teils als Antrieb zur Vereinigung, teils als Motivation zur Abspaltung von Volksgruppen. Der Nationalismus war es, der aus vielen Kleinstaaten ein Deutsches Kaiserreich und ein italienisches Königreich entstehen ließ. Nationalismus war es aber auch, der Österreich-Ungarn in viele kleine Staaten zerfallen ließ, und der immer wieder blutige Kriege im Namen der nationalen Unabhängigkeit entfachte.

Heute kämpfen russischer Nationalismus und ukrainischer Nationalismus gegeneinander. Es geht um Sprache, Kultur, historische Ansprüche. Völkerrechtlich festgelegte Grenzen spielen keine Rolle, wo Nationalismus das Sagen hat. Im Namen der Nation wird alles Fremde diffamiert: ausländische Medien, importierte Waren, Menschen, die aus anderen Ländern eingewandert sind, andere Religionen.

Im Supermarkt werden Fleisch und Gemüse mit Fähnchen gekennzeichnet. Das Herkunftsland gilt gewissermaßen als Gütesiegel. Auf der Speisekarte heißt es: „Wir verarbeiten nur inländische Produkte“. Wird es bald auch für das Personal heißen: „Hier bedienen nur inländische Kräfte“?

Amerika hat gewählt: „America first“. So ähnlich war auch der Brexit gemeint, und wohin steuern Länder wie Ungarn und Italien, aber auch Polen, Deutschland und Frankreich? Immer stärker werden die Kräfte, die nicht über den nationalen Tellerrand schauen mögen. Der Nationalismus, der schon zwei Weltkriege verschuldet hat, ist wieder auf dem Vormarsch. Manche fragen sich, ob der dritte nicht schon begonnen hat.


Paul Oppenheim