Wann immer Katastrophen passieren und Menschen unvorstellbares Leid auferlegt wird, taucht die Frage nach der Verantwortung Gottes auf. Die kürzeste Form dieser Frage lautet schlicht „Warum?“. Etwas ausführlicher ausgedrückt: „Wie kann Gott das zulassen?“ Diese Frage geht davon aus, dass Gott es irgendwie hätte anders machen können. Ist das nur ein verzweifelter Wunsch? Oder beten wir in solchen Situationen mit Recht zu einem allmächtigen Gott, der in der Lage ist, uns zu helfen?
Hierüber ist angesichts verschiedener Anlässe ein theologischer Streit neu entflammt. Die Terroranschläge in den USA 2001, der Tsunami im Indischen Ozean 2004, die Atomunfälle in Japan und jüngst der Terroranschlag in Norwegen werfen die Frage auf: Dürfen wir Gott die unschuldigen Opfer zum Vorwurf machen?
In früheren finsteren Zeiten war es insofern einfacher, als die Menschen andere Mächte als Gegenspieler Gottes kannten: die personifizierten Naturgewalten, Dämonen oder gar den Teufel. Je mehr der Mensch freilich in die Natur eingreift, desto mehr sieht er sich selbst in der Verantwortung. Die kausalen Zusammenhänge sind auch in manchen Fällen leicht erklärt und unbestreitbar: Umweltbelastung, Globalisierung und die Chancenungleichheit in der Gesellschaft tragen jedenfalls zu der einen oder anderen Katastrophe gehörig bei.
In den politischen und ethischen Kategorien ist es richtig und wichtig, diese Mitverantwortung anzusprechen. Doch in der theologischen und seelsorgerlichen Dimension ist der Verweis auf die Mitverantwortung des Menschen geradezu hämisch. Denn wenn wir uns mitschuldig fühlen, bringt das den Opfern gar nichts. Kein Mensch wird in der Lage sein, diese Katastrophe abzuwenden oder die Gewalt zu beenden.
Wenn sich die Betroffenen, die Überlebenden oder auch die solidarisch Betenden an Gott wenden, dann geht es nicht um Schuldanteile, sondern um Hilfe, um Erlösung und um Schicksale. Jede einzelne Menschengeschichte sucht nach einer Erklärung. So ist es ja nicht nur bei Mega-Katastrophen, sondern auch im alltäglichen Leben. Ständig passieren grausame und tragische Dinge, die uns völlig unerklärlich sind.
Nüchtern betrachtet ist es aber gar nicht außergewöhnlich, dass wir Gottes Willen nicht verstehen. Es ist sogar unsere alltägliche Erfahrung mit ihm. Genau das zeichnet uns als Gläubige aus, dass wir ihm trotzdem vertrauen. In extremen Situationen wird dieses Vertrauen freilich besonders strapaziert – und unter Umständen sogar erschüttert. Aber daraus zu schließen, dass Gott für bestimmte Vorgänge nicht mehr verantwortlich zu machen ist, mag unserem menschlichen Wunschbild von Gott entsprechen, logisch ist es nicht.
Wenn wir uns und Anderen Erlösung wünschen, dann müssen wir Gott auch die Macht dazu zutrauen. Wenn wir zu jemand beten wollen, der nicht nur Mitleid mit uns hat, sondern der uns beim Wort nehmen kann und unsere Wünsche erfüllen, dann braucht Gott die Macht dazu.
Die Psalmen sind eindrückliche Beispiele dafür, wie Menschen vor vielen Jahrhunderten schon mit Gottes Plänen und ihrem Ergehen haderten. Die Gebete der Bibel schlagen manchmal mitten im Satz um von der Verzweiflung in tiefes Vertrauen – und umgekehrt. Klar ist immer: Die da beten, beten zu einem Gott, dem sie alles zutrauen – dem allmächtigen Gott.