3. Aus Barths Einsicht in die theologische Begründung der Taufe in der Neuschöpfung folgert er für die kirchliche Praxis, dass es zum Schaden der Kirche wie der Täuflinge gereicht, diese einfach „einzuverleiben“ und jene grenzenlos austeilen zu lassen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Barth bestreitet, indem er die Praxis der Kindertaufe kritisiert, mitnichten die Gnade – wie die Heiligung und Rechtfertigung Gnadengaben Gottes sind, so auch die Taufe. Doch es ist für Barth so, dass Gott kein Ja von Unmündigen, sondern von Freien will, ansonsten wird, und das ist beinah prophetisch gesprochen, auch kein Gemeindewachstum stattfinden (s.o.). Kommen wir zum für Barth wichtigsten Punkt in Auseinandersetzung mit den Reformatoren, nämlich zu den dogmatischen Einwänden.
c. Barths Tauflehre wurde 1967 veröffentlicht. Hinter Barth lagen dabei schon zwölf Jahre als Gemeindepfarrer und über dreißig Jahre als Professor. Aus seiner Zeit als Pfarrer in Safenwil wusste er, was es heißt, Kinder zu taufen. Zu beachten ist, dass Barth im Zusammenhang der dogmatischen Einwände häufig auf die Unredlichkeit der Argumente seiner Gegner eingeht. Barth unterscheidet in seiner Argumentation drei Hauptargumente und fünf Nebenargumente. Er geht vom stärksten zum schwächsten Argument über:
I. Dass der Glaube der Taufpaten als stellvertretender Glaube der Täuflinge zu gelten habe, ist Barth zufolge eine Anmaßung, da so Jesus Christus als „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2) suspendiert bzw. sein Heilswerk als Stellvertretungswerk ad acta gelegt wird. Das erste Argument Barths ist, wenn man so will, ein streng christologisches Argument. Niemand kann und darf im Glauben an die Stelle dessen treten, der der Mittler zwischen Gott und den Menschen ist (vgl. 1Tim 2,5).
II. Dass die Taufe von Kindern kirchliche Tradition sei, lässt Barth, jedenfalls für die Zeit der Alten Kirche, nicht vorbehaltlos gelten und verweist auf Tertullian, der die Säuglingstaufe für unnötig erachtet habe, weil Jesus Kinder vor allem gesegnet habe und die Taufe auf Bitten des Täuflings erfolgen solle (hier mit Verweis auf Lk 6,30). Das zweite Argument Barths besteht darin, den responsorischen Charakter der Taufe zu betonen. Die Taufe mit Wasser ist Antwort des Menschen auf Gottes Frage: „Adam, wo bist du?“ (Gen 2,7) Die Erneuerung des Bundes, den Gott gegründet und gehalten hat, geschieht auf Seiten der Christen in Gestalt gehorsamer Lebensantwort auf Gottes Gnade.
III. Dass die Taufe der Konfirmation als nachträglichem Bekenntnisakt bedürfe, offenbare die Konfirmationsnot als Reflex und Symptom der Kindertaufnot, so Barth. Da und indem ja die Säuglingstaufe der Konfirmation bedürfe, erweise sie sich letzten Endes als halbe Taufe. Dies dritte Argument verweist auf den Konstruktionsfehler der Kindertauflehre: die Kindertaufe sei abhängig von der Konfirmation, denn die Lebensantwort des Täuflings Gott gegenüber könne nicht in der Taufe erfolgen, sondern müsse in der Konfirmation nachgeholt werden und eben das mache das ganze Unterfangen der Kindertauflehre zu einem nachträglichen Unterfangen, dass darum theologisch für Barth nicht verantwortet werden kann.
Gewiss kennen Sie das: der Pfarrer/die Pfarrer bittet im Gottesdienst, nachdem am vorangegangenen Sonntag Säuglinge getauft wurden, im Namen der Gemeinde dafür, dass die Täuflinge christlich erzogen werden mögen – von ihren Eltern ebenso wie von ihren Paten – und dass darum auch die Gemeinde in Gestalt der Presbyter oder Kirchenvorstandsmitglieder an dieser mittun und -wirken sollen. Es ist um die Gebetsbitte eine ernste Sache. Können aber Eltern, Paten oder Presbyter Täuflingen die christliche Botschaft mehr als ausrichten? Können sie mehr sein als Begleiter im Glauben? Ein rechter christlicher Erzieher wird wissen, dass alle christliche Sozialisation zwiespältig ist – die Getauften und Konfirmierten machen erhellende und befreiende Erfahrungen, ebenso ist mit ernüchternden Erfahrungen zu rechnen, die, wenn es der Begleitung ermangelt, auch dazu führen, dass die Getauften sich von der Gemeinde distanzieren. Doch es geht in der Taufe, das ist ja Barths Ansinnen, nicht zuerst um einen rechten Begleiter in Glaubensdingen, so wichtig der auch ist. Es geht in der Taufe um die gehorsame Lebensantwort des Menschen auf Christi Ruf in die Nachfolge. Es geht darum, dass Jesus wahrhaftige Zeugen seines Evangeliums will, dass es Ostern wird bei Menschen, dass das ausstrahlt, was Christi Auferstehung bewirkt hat: neues Leben. Nachfolge erweist sich aber gerade nicht in christlicher Selbstbeweihräucherung – ihr eignen folgende Adjektive: ehrlich, bescheiden, behutsam, unaufgeregt, zuversichtlich. Was die fünf Nebenargumente betrifft, so sind dies:
I. Gerade die Taufe von Säuglingen veranschauliche auf geradezu drastischste Weise die freie Gnade Gottes, so die Befürworter. Barth stimmt zu, verweist allerdings darauf, dass dieses Argument auch als Begründung für eine Erwachsenentaufe Verwendung finden könnte. Dabei geht er noch einen Schritt weiter und argumentiert, dass der Nexus von Kindertaufe und freier Gnade dazu geführt habe, dass Gottes freie Gnade Säuglingen aufgedrängt werde, sodass bei der Kindertaufe nicht länger von freier, sondern von übergestülpter Gnade zu reden sei. Diese Argumentation ist uns bei Bonhoeffer begegnet. Als exklusive Kindertaufe verliert die Gnade Gottes ihre Freiheit. Sie kann an den Säugling gebunden und damit billig werden.
II. Gerade die Taufe von Kindern, den Schwächsten der Schwachen, gefalle Gott nach Luther sehr gut, da dadurch schon die Kleinsten der Kirche „ein-verleibt“ würden. Barth wendet ein, dass dieses Argument unredlich sei, da Gott vieles an der Kirche auch nicht gut finde, ihr aber dennoch beistehe, kurz: Gottes Wohlgefallen an Kleinkindern (Sein) kann Barth zufolge nicht automatisch deren Taufe nach sich ziehen (Sollen). Das wäre ein naturalistischer Fehlschluss.
III. Im Heidelberger Katechismus sei der Kindertaufe eine göttliche Verheißung zugesprochen – für Barth ist dieses Argument bestechend, es übersehe aber, dass Gottes Gabe auf Annahme ziele und damit wären wir wieder beim differenzierten Zusammenhang von Zuspruch und Anspruch, bei der gehorsamen Lebensantwort, die mit der Taufe einen „Anfang“ macht.
IV. Die Ersetzung der Kindertaufe durch eine Glaubenstaufe übersehe, dass es bei der zweiten Art von Taufe um heuchlerische Bekehrungen gehen könnte, die zu einer Trennung zwischen Christen und Nichtchristen führen müsse. Für Barth ist auch dieses Argument nicht stichhaltig und zwar zum einen deshalb nicht, weil es hypothetisch ist und zum anderen, da er annimmt, dass der Täufling sich zu seinen Nächsten solidarisch bekenne. Dieses vierte Argument rückt den Bekenntnischarakter der Wassertaufe in den Vordergrund und das erste, was Barth hier so wichtig ist, ist, dass das Christenwerden ein Ja zur Gemeinschaft ist, nämlich zu einer solchen Gemeinschaft, die nicht an den Kirchenmauern endet, sondern Wirkung nach außen hat. Es ist wie mit der Heiligung: Heiligung ist keine Privatsache, sondern als totale Auseinandersetzung mit sich selbst weist sie über den Kirchenraum hinaus in die „Welt“, der die Versöhnung Jesu Christi gilt (vgl. 2Kor 5,19).
V. Fromme Eltern wünschten von der Kirche, dass ihre Kinder getauft würden. Das jedoch ist für Barth kein Argument, denn keiner könne zum Christen erzogen werden und daraus ergebe sich die Schlussfolgerung: die Kindertaufe ist „eine tief unordentliche Taufpraxis“68. Es muss nach Barth zu einer Kurskorrektur kommen, die mit dem Sakramentsbegriff anfängt und dann weiter geht hin zur Unterscheidung der Taufe in ein göttliches und menschliches Moment und auch genau in dieser Reihenfolge und in diesem Gefälle, sonst bleibe es bei der Unordentlichkeit. Barths steile Schlussfolgerung stieß und stößt auf Unverständnis. Der wesentliche Punkt, wieso sie abgelehnt wird, dürfte in der folgenden Entgegnung des seit 2012 an der Universität Saarbrücken tätigen Landespfarrers Matthias Freudenberg auf Barths Tauflehre sein:
„Barths bedenkenswerter Impuls, göttliches und menschliches Handeln eng aufeinander zu beziehen, hat aber auch Schwächen: Der Geschenkcharakter von Gottes Ja zum Menschen droht sich in einen – u.U. ethisch aufgeladenen – Bekenntnisakt zu verflüchtigen; dem Gedanken der bedingungslosen Aufnahme des Täuflings in Gottes Gnadenbund wird nicht ausreichend Rechnung getragen.“69
Freudenbergs Argument ähnelt eher einem diffusen Unwohlsein als dezidierter Kritik. Das ist an zwei Stellen ablesbar: zwar lobt Freudenberg Barth für die Verbindung von Geisttaufe, die vermittelt ist durch das neue Leben in Christus und die Antwort des Menschen in der Wassertaufe, die er als freien „Gehorsam auf dieses Handeln Gottes“70 liest, aber zugleich fürchtet er, dass die Gabe (Gottestat) vom Bekennen (Menschentat) dominiert wird. Diese Angst spiegelt das uns bekannte Extrem der Dominanz der Heiligung über die Rechtfertigung, die für Barth solange unbegründet ist, solange beide Momente im rechten Verhältnis erkannt werden: dem von Ziel (Heiligung) und Grund (Rechtfertigung). Erst wenn dieses Verhältnis sich einseitig verschiebt, kommt es zu Irritationen und Missverständnissen und zu theologischen Extremen. Diesen will Barth aus dem Weg gehen und das gilt auch für die Taufe: die Unterscheidung bei gleichzeitiger Verknüpfung von Geisttaufe (Tat Gottes) und Wassertaufe (Tat des Menschen) weist auf die Korrelation von Frage und Antwort hin; zudem wiederholt Freudenberg in seiner Entgegnung die Sorge, dass da, wo der Bekenntnischarakter der Taufe betont wird, sprich: die Bedingungslosigkeit der Gnade infrage gestellt ist. Auch in diesem Punkt können wir ihn mit Barth beruhigen. Jenes Bekenntnis des Täuflings zur Solidarität mit seinem Nächsten bedeutet nicht, dass er vergessen hätte, dass Gottes Annahme bedingungslos geschieht. Im Gegenteil! Gerade die Bedingungslosigkeit des Zuspruch ist der Garant dafür, dass es zu einer lebendigen Inanspruchnahme und zu wirklicher Dankbarkeit kommt, die in Verantwortungsübernahme(!) mündet. Gewiss: wer Gottes Zuspruch von der bedingungslosen Vergebung der Sünden den Sündern vorenthält und das geschieht zuweilen, dem ist „Vergebung“ „immer eine irgendwie geartete Gesetzlichkeit“71. Aufgrund der Heiligungslehre Barths, die in der Tauflehre vollends durchschlägt, ist Gesetzlichkeit dadurch unterbunden, dass die Heiligung die Rechtfertigung, die rechtmäßige Inanspruchnahme die gnädige Annahme nur zu ihrem eigenen Schaden hinter sich lassen kann. Der Geist Jesu Christi tritt in beidem als Befreier von der Entfremdung auf: in der Rechtfertigung, die in der Kreuzigung – und in der Heiligung, die in der Auferstehung beschlossen ist und mit der nach Barth das neue Leben beginnt, dessen Gestalt in der Taufe in Form der Verortung in der Gemeinde anhebt.
Darüber hinaus weist Freudenberg kurz auf Barths Vorbild in Sachen Taufe hin, nämlich auf Zwingli, der ja ebenfalls zwischen einer Geisttaufe (Glaube) und einer Wassertaufe (Zeichen) unterschied: im Anschluss an Johannes den Täufer nennt der Züricher Reformator die „Taufe“ „eine Einweihungs- und Verpflichtungshandlung, mit welcher sich die Menschen kennzeichnen, die ihr Leben bessern wollen“.72 Im Anschluss an Mt 3,11, Mk 1,4 und Lk 3,7 spricht er davon, dass „die Taufe ein einweihendes und verpflichtendes Sakrament ist, mit dem sich diejenigen Menschen, die Leben und Sitten ändern wollten, kennzeichneten und unter die Büßer rechneten“.73 Bei Johannes dem Täufer sei zu sehen, dass er zwischen seiner Wasser- und der Geisttaufe Jesu unterschieden habe, darum möchte auch Zwingli erst über die Taufe mit dem Heiligen Geist sprechen, ehe er zur Wassertaufe übergeht, denn über die Geisttaufe seien viele „nicht recht unterrichtet“.74 Bei der Taufe mit dem Heiligen Geist unterscheidet er die innere, innerliche (Glaube an Jesus Christus) von der äußeren, äußerlichen Taufe, die er dann als der Wassertaufe „ähnlich“ bezeichnet.75 Die äußerliche sei nicht notwendig, die innerliche schon: „ohne sie kann niemand selig werden“76 Der Glaube als Geistwerk sei von Johannes mit Blick auf das Kommen Christi vorausgesagt und so eine Unterscheidung zwischen seiner Taufe und der Taufe Christi „zwecklos“77.
Zwingli verweist im Folgenden auf den Zusammenhang von Geist und Buße und merkt an, dass die „Wiedertäufer“ die Buße über den Glauben stellen und darum die Kindertaufe ablehnen müssten – problematisch ist ihm ihre „Schmähsucht“78. Aber wieso Kinder und nicht Erwachsene zu taufen sind, kann Zwingli, zumindest im „Kommentar über die wahre und falsche Religion“ nicht wirklich plausibel machen. Vielleicht hängt das im Endeffekt auch damit zusammen, dass es bei Zwingli, sowenig wie bei anderen Reformatoren, nicht zu einer grundsätzlichen Kritik am Sakramentsbegriff und dessen ontologischen Implikationen gekommen ist.Wenden wir uns zum Schluss der Zielperspektive der Barthschen Ausführungen zur Taufe mit Wasser zu und setzen mit einem Zitat ein, das u.E. für sich selbst spricht: „Ein Mensch tritt in seiner Taufe als tätiges Glied hinein in das heilige Volk Israel, das nach Jes 42, 6 zum ‚Bundesmittler unter den Völkern‘ bestellt ist.“79 Das Zitat belegt den geradezu konstitutiven Israelbezug der Tauflehre Barths: Christi Leib besteht aus Kirche und Synagoge. Horizont der Taufe ist der Bund JHWHs mit Israel. Im Bund leben die Glieder als aktive Bundesgenossen. Natürlich ist das nicht aktivistisch misszuverstehen. Die Bundesgenossen sind nicht religiösen Eiferer vergleichbar, sondern verantwortlichen Staatsbürgern, denen Zivilcourage eigen ist.
Diese Courage wird für Barth besonders sichtbar da, wo es zu hoffnungsvollen Begegnungen zwischen Juden und Christen kommt, denn Israel ist der Bundesmittler. Was ist aus Christus geworden? Ist er damit als Bundesmittler abgelöst? Für Barth keineswegs. Der Israelbezug in der Tauflehre verweist sowohl nach hinten (AT) als auch nach vorne (NT), aufs Eschaton: die Wiederkunft des Messias (Parusie) wird von Juden und Christen gleichermaßen erhofft. Zwar ist den einen der Messias als Jesus von Nazareth bekannt, während er den anderen noch nicht bekannt ist, doch gerade Christen haben sich nach Paulus davor zu hüten, sich zu Sachwaltern des Bundes aufzuspielen und ihr Wissen auf Kosten Israels auszuspielen (vgl. Röm 11). Israel ist die Wurzel, auf die die Gemeinde bleibend angewiesen ist. Auch und gerade in ihrer Taufpraxis! Darum der Gnadenbund als Klammer um die Tauflehre. Ein letzter Aspekt muss nach Barth aber noch angesprochen werden und das ist die Zukünftigkeit des Christenlebens, das in der Taufe exemplarisch anhebt und im Gebet die Dauerhaftigkeit der Gnade an uns zeigt. Was ist gemeint? (vgl. S. 225-234)
Barth bezeichnet die Taufe mit Wasser als einen „Akt der Hoffnung“80. Er zeichnet nach, in welchen Gefahren, Unsicherheiten, Verwirrungen und Anfechtungen das mit der Taufe ja erst beginnende christlichen Leben ausgesetzt sein kann. Zugleich ermutigt er die Leser dazu, stets zu bedenken, dass in allem tief Bedenklichen, das sich im Christenleben ereignet, der Christ nicht allein ist, nicht sich selbst überlassen ist, sondern dass er im Raum der Gemeinde: er mit der Gemeinde und die Gemeinde mit ihm immer neu darum bitten muss, „für das ganze Meer ihrer Verfehlungen nach und schon in der Taufhandlung“ einzustehen.81 Darum ist die besagte Bitte „Veni creator Spiritus!“ der eindeutige Gehorsam gegen Gott und die ebenso eindeutige Antwort auf Gottes rechtfertigendes und heiligendes Wort und Werk, so Barth abschließend.82
Barth weiß, dass mit der Taufe als Beginn des Christenlebens kein Besitzen, kein Genießen in Aussicht gestellt ist, sondern auf Lauf, eine Bewegung, etwas Vorläufig-Unabgeschlossenes, dass trotz des Lob der Werke auch das Tragen des Kreuzes erfahren wird und dass sich, damit mutet Barth den Zeitgenossen etwas zu, der Christ aufmachen soll zum Bruder, den jüdischen ausdrücklich eingeschlossen: das Christenleben in der eschatologischen Spannung und im Angesicht des Wirkens des Geistes bleibt mancherlei Übeln ausgesetzt, doch, so Barths Schlussvotum, es ist ein Leben aus Glauben und in Hoffnung. Wieso? Da es ein Leben aus und in der Liebe Gottes ist. Damit verdeutlicht Barth noch einmal, dass die Taufe kein Menschenwerk ist – sie ist nicht Heilswerk und nicht Heilsoffenbarung, darum ist auch jeder Sakramentalismus (s.o.) auszuschließen. Wieso? Da sie exemplarisches Handeln ist.83 „Wirklich der erste Schritt christlichen Lebens, im Rückblick auf den ethische Besinnung, […] Ermahnung bei jedem auf sie folgenden Schritt möglich, notwendig, erlaubt und geboten sein wird.“84
Nachdem wir Barths Tauflehre in ihren Grundaussagen nachgezeichnet haben und dabei auch aufmerksam auf ihre (rechtfertigungs- und) heiligungstheologische Konstitution wurden, wird es jetzt an der Zeit sein, ihre Aktualität für heutige Taufpraxis zu prüfen. Klar ist, dass Barths Tauflehre eine nicht unbeträchtliche historische Distanz zur heutigen Taufpraxis aufweist. Sie ist ein Produkt der späten 1960er Jahre und uns trennt ein Zeitraum von über 50 Jahren von ihr – das soll nicht heißen, dass sie aus der Mode gekommen ist, nur weil sie „alt“ ist. Wir sahen, dass sie auf ihre Weise eine gehörige Neuerung gegenüber der Taufpraxis ihrer Zeit darstellte. Und doch sind 50 Jahre vergangen und nicht nur die Taufpraxis der Evangelischen Kirche hat sich gewandelt, sondern das Bild von Kirche in der Postmoderne überhaupt. Sie steht heute – in Zeiten des demokratischen Wandels und zunehmender Kirchenaustritte – vor ganz anderen Herausforderungen als noch vor 50 Jahren. Sie steht auch vor anderen Herausforderungen als noch vor 30 Jahren, worauf die neue „Taufagende“ der VELKD von 2018 hingewiesen hat.
Im Folgenden vertreten wir jedoch die Auffassung, dass Barths deutlich heiligungstheologisch aufgeladene Tauflehre bleibende Relevanz für die Frage nach einer heutigen Taufpraxis hat. Das hängt mit ihren unabgegoltenen Potentialen zusammen, die wir versuchten zu erarbeiten. Wir rufen uns noch einmal folgende Stichworte in Erinnerung: I. Barths Ablehnung jeder Art von Sakramentalismus, II. Barths Vor- und Überordnung der Tat Gottes (Geisttaufe) vor dem Tun des Menschen (Wassertaufe) bei gleichzeitigem Wissen darum, dass es im Christenleben zur Entsprechung zwischen dem Menschen und Gott kommt aufgrund des Gnadenbundes, III. Barths Infragestellung einer reformatorischen Tauflehre und damit verbunden: Die Betonung der Taufe als anfänglicher, vorläufiger und gebotener Lebensantwort des Menschen, die in der Gemeinde ihren Ort hat und gerade darum mit der Welt solidarisch verfährt, was sie im Gebet bezeugt. Natürlich ist der erste Punkt der Anstößigste. Die beiden anderen Punkt sind jedoch nicht minder herausfordernd. Sie sind daher in Bezug auf die neue „Taufagende“ der VELKD besonders im Blick zu behalten.
Wir fragen: greift die neue „Taufagende“ Anliegen der Tauflehre Barths auf? Bevor die Frage beantwortet werden kann, haben wir uns zu vergegenwärtigen, was der Anlass der Agende ist. Dazu werten wir im Folgenden ihren Einleitungsteil aus.85
Die Taufpraxis habe sich seit der Einführung der Agende in den 1980er Jahren in der VELKD und UEK in vielerlei Hinsicht verändert, so das Eingangsstatement.86 Demnach habe etwa die Säuglingstaufe in zeitlicher Nähe zur Geburt an Zuspruch verloren, dafür würden aber Kinder als Kleinkinder oder Jugendliche im Kontext von Religions- und Konfirmandenarbeit getauft; die Zahl von Erwachsenentaufen nehme nur schwach zu und dazu nur im Zusammenhang von Glaubenskursen. Hinzu komme, dass viele Täuflinge meist nur ein oder kein Elternteil hätten, das Glied der Kirche sei, aber dennoch viele Eltern ihr Kind taufen lassen würden. Außerdem erfreuten sich Taufen außerhalb des Kirchenraumes (etwa Tauffeste) wachsender Beliebtheit. Schwierig sei es für Eltern geworden, Paten mit Kirchenmitgliedschaft zu finden, was die Entscheidung zur Taufe erschwere; zugenommen habe schließlich die Verbindung von Taufe und Trauung, sowohl der Taufe von Kindern wie der von Ehepartnern.87
Diese fünf Gesichtspunkte weisen in einigen Fällen auf die Zunahme der Kirchenaustritte zurück. Sie veranschaulichen aber auch, dass sich in der Praxis der Säuglingstaufe pragmatische Probleme ergeben: die Patensuche gestaltet sich schwierig, Taufe findet bei der Konfirmation statt, Eltern sind nicht Kirchenmitglied. Um der veränderten Praxis Rechnung zu tragen, setzt die VELKD stärker auf die Wechselseitigkeit von Lebenswelt und Kirche, während die UEK mehr den Verkündigungsaspekt betont, das heißt: Lutheraner und Reformierte/Unierte setzen angesichts der veränderten Taufpraxis unterschiedliche Akzente.88 Interessant ist nun das Verständnis der Taufe, das die Agende anhand mehrerer kirchlicher Verlautbarungen der letzten 40 Jahre zu rekonstruieren sucht, dabei aber freilich keinen Anspruch auf Systematik erhebt. Zuerst verweist die Agende auf die Leuenberger Konkordie (1973) und stellt dabei die Worte „Wassertaufe“, „Christusgemeinschaft“, „neue Kreatur“, „Umkehr“ sowie „Nachfolge“ in den Mittelpunkt. Die Auflistung zeigt, zumindest terminologisch, eine Nähe zu Barths Tauflehre – zentrale Begriffe seiner Heiligungslehre finden sich wieder. Darauf ist gleich einzugehen.
Danach nimmt die Agende die Magdeburger Erklärung (2007) ins Visier und hebt dabei nun folgende Termini hervor: „Sakrament“, „Christus“, „Neugeburt“ und „Ökumene“ – besonders hervorgehoben ist die Dimension der Ökumene als „Zeichen der Überwindung der getrennten Kirchen“. Während „Christus“ sowie „Neugeburt“ leicht mit Barths Tauflehre in Einklang zu bringen sind, sperrt sich der Begriff „Sakrament“ dagegen. Die ökumenische Ausrichtung ist als Spezifikum der Magdeburger Erklärung auszumachen, das über die Konkordie hinausgeht, weil nicht nur die Annäherung zwischen Reformierten und Lutheranern in puncto Abendmahl im Blick ist, sondern zudem die römisch-katholische Kirche und deren Tauflehre im Blick ist; darum auch die Betonung des Sakramentscharakters der Taufe.
Schließlich rekurriert die Agende auf das Lima-Papier (1982) und dessen Deutung von Taufe als Heilsgabe in christologischer, soteriologischer, pneumatologischer, ekklesiologischer und: eschatologischer Perspektive, wobei alle Perspektiven sich gegenseitig durchdringen würden. Auch hier fällt es nicht schwer, Bezüge zu Barths Tauflehre herzustellen, sehr enge sogar. Das wird besonders deutlich durch den Hinweis auf die Verbindung von Gabe und Antwort.
Ganz am Ende kommen einige Verweise auf die CA und Luthers Kleinen Katechismus sowie erneut auf das Lima-Papier, die jedoch gegenüber den vorherigen Ausführungen inkonsistent wirken. Etwa wenn mit Bezug auf die CA von der Heilsnotwendigkeit der Taufe gesprochen wird oder mit Blick auf das Lima-Papier von einem theologischen Gebot der Säuglingstaufe. Die Schlussverweise wirken wie nachträgliche Legitimations- und Absicherungsversuche. Zu Recht wird mit 2Tim 2,13 auf den character indelebilis der Taufe verwiesen: Gott bleibt treu – unserer Untreue zum Trotz. Darum ist die Taufe einmalig und bedarf keiner Wiederholung.89 Gemeinsam sind dem Taufverständnis der Agende die Punkte Einheit von Gabe und Antwort, Taufe als Sakrament, ökumenische Einheit und das Motiv der Christusgemeinschaft.
Wie wir bei Barth entdecken konnten, lässt er den Sakramentscharakter der Taufe wegfallen – so komme es zu einer naturhaft-elementaren Deutung der Taufe (s.o.). Diese ist für ihn gleichbedeutend mit einer Vereinnahmung des Handelns Gottes durch das Handeln des Menschen – kurz: der Gnade Von hieraus wird verständlich, wieso Barth die Heilsnotwendigkeit der Taufe ablehnt: wenn Christus das einzige Sakrament ist, dann entscheidet sich an ihm allein das Heil und kann der kirchliche Ritus dies in keiner Weise ‚einholen‘, mag der Gabecharakter noch so stark betont werden. Für Barth und Bonhoeffer lag ja genau hier das Problem: die Gabe wurde über die Antwort gestellt, die Rechtfertigung über die Heiligung, was die Gnade entleerte.
Wenn also das Lima-Papier diese Diskrepanz zu überwinden sucht und auch die Leuenberger Konkordie dieses heiligungstheologische Moment der Taufe herauszuarbeiten sucht, zeigt das eine (implizite) Bezugnahme auf Barths Einsicht, dass der Heilige Geist in der Taufe mit dem Wasser einen Bundespartner erschafft, der Gott (fragmentarisch) gehorsam ist. Deshalb wird es nach Barth kontraproduktiv sein, wenn sowohl die VELKD als auch die UEK weiterhin am Sakramentscharakter der Taufe festhalten und darin nun sogar die ökumenische Basis mit der Papstkirche sehen. Nicht minder kontraproduktiv ist der Verweis auf die CA und deren hartes, wie sagten es bereits, Anathema.
Alles in allem sieht es, was die theoretische Fundierung der „Taufagende“ angeht, danach aus, als komme sie Barths Anliegen entgegen. Doch nur auf den ersten Blick. Die Agende verfährt in Sachen Säuglingstaufe zwar pragmatischer als früher, jedoch nicht grundsätzlich anders. Es wird auf die Zunahme von Erwachsenentaufen sowie Kindersegnungen aufmerksam gemacht, es wird jedoch nicht dafür geworben. Die Präferenz liegt – schon aus ökumenischen Gründen – weiterhin bei der Säuglingstaufe, ungeachtet der Herausforderung mangelnder Paten. Hinzu kommt, dass die Agende zwar den ursprünglichen Bezugsort der Taufe schwinden sieht, aber nur wenig Konkretes darüber aussagt, wie dem entgegengewirkt werden könnte. Die Liturgievorschläge, die die Agende sowohl für die VELKD als auch für die UEK macht, zeigen, dass die kirchliche Verortung der Taufe den Primat inne hat, doch dass dieser schwindet. Gibt sich die Kirche selbst auf, wenn die Taufe aus dem Kirchenraum in andere Räume auswandert?
Es sollte deutlich geworden sein, dass nach Barth Gottes heiligendes Handeln (ebenso wie schon sein rechtfertigendes Handeln) universal ist, also den Kosmos umfasst und darum eigentlich auch nicht mehr von profanen (im Unterschied zu sakralen) Orten geredet werden kann (s.o.). Ebenso deutlich insistiert Barth aber darauf, dass die Gemeinde der Ort der Taufe und: sodann auch des Täuflings zu sein hat. Vielleicht würde er angesichts der veränderten Situation die so enge Ortsgebundenheit dahingehend flexibel halten, dass er zwar Tauffesten zustimmen, diese aber, wie die Taufe selbst, als Anfang des christlichen Lebens werten würde, sodass eben die Kirchengliedschaft selbstverständlich sei. Das ist eine Vermutung. Fakt ist: die Mitgliedschaft in einer Kirche ist zu Beginn des 21. Jahrhundert überhaupt nicht selbstverständlich. Barth ist aber auch schon im Jahrhundert klar, dass das Konzept einer Volkskirche, wie es Deutschland lange dominiert hat, im Bröckeln ist. Eberhard Busch geht (mit Barth) gar so weit, dass er der Volkskirche die Zukunftsfähigkeit abspricht. Mittlerweile ist das unübersehbar geworden. Es stellt sich also nicht nur die Frage, welche veränderte Taufpraxis nötig wird, sondern es stellt sich grundsätzlich die Frage danach, welches Selbstverständnis Kirche im 21. Jahrhundert hat. Welche Traditionen sind zu bewahren, welche Neuaufbrüche sind zu wagen?
Für die Taufe ist damit der Horizont geweitet hin zu einer ekklesiologischen Neubesinnung der EKD. Aber das bildet die „Taufagende“ nicht ab. Das wäre zu viel verlangt! Was es im Anschluss an Barths Versöhnungstheologie und Versöhnungsethik braucht, ist eine Neukonzipierung nicht nur der Taufpraxis, sondern der Tauflehre der Evangelischen Kirche. Erst durch eine grundsätzliche, theologische Fundierung, wie Barth sie uns hier angeboten hat, kann auch die Taufpraxis neu angegangen werden. Dies wird von Ort zu Ort, von Kirche zu Kirche unterschiedlich gehandhabt werden. Froh wären wir, wenn im Anschluss an Barth die Säuglingstaufe nicht nur pragmatisch, sondern generell auf den Prüfstand gestellt würde und weiter gedacht würde in Richtung Kindersegnung, Erwachsentaufe, vor allem auch: Glaubenskurse. Christ wird man nicht in oder durch die Taufe, sondern durch das Wirken des Geistes, das freilich auch am Baby geschehen kann, aber diese Praxis ist nicht der Anordnung Gottes entsprechend, sondern einfach überkommene Tradition, die, zumindest ist das unsere Hoffnung, endlich ernsthaft diskutiert werden sollte. Um eine generelle Verabschiedung der Säuglingstaufe geht es nicht.
Die Agende geht u.E. in die richtige Richtung. Sie reicht aber nicht aus. Was bei ihr vor allem Widerspruch erzeugt, ist der Sakramentalismus, der zwar klein gehalten, aber nachweisbar ist. Wir fragen zum Schluss: Könnte ein im Raum der Kirche verortete und darum grundsätzliche Diskussion über die Taufe nicht eine geradezu befreiende Relativierung sein?
An die Stelle einer Zusammenfassung unserer Ergebnisse setzen wir folgendes bekannte Zitat Barths: „Der erste und grundlegende Akt theologischer Arbeit […] ist das Gebet.“90 Dies war Karl Barth nicht nur in seiner Predigt, sondern in seiner akademischen Tätigkeit, der er ja weit über 30 Jahre nachgekommen ist, immer wichtig. Mag es uns ein Anstoß sein, über die Frage sowohl der Taufe als auch der Heiligung und deren Zugehörigkeit weiter nachzudenken – und damit diejenigen, die in unseren Gemeinden haupt- oder ehrenamtlich tätig sind, nachhaltiger herauszufordern?
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68 KD IV/4, 213; vgl. zu den Haupt- und Nebenargumenten insg. a.a.O., 204-213. Barth geht es also um eine veränderte Handhabung der Taufe. Er geht übrigens an keiner Stelle positiv auf die Glaubenstaufe ein. Ob er sich nicht genauer mit dem täuferischen und evangelikalen Anliegen auseinandergesetzt hat, muss hier offen bleiben.
69 Matthias Freudenberg, Reformierte Theologie. Eine Einführung, Neukirchen-Vluyn 2011, 293.
70 A.a.O., 292.
71 Eduard Thurneysen, Die Lehre von der Seelsorge, Zürich 1946, 150.
72 Huldrych Zwingli, Schriften, Bd. 3, Zürich 1995, 237. Ich beziehe mich hier auf Zwinglis „Kommentar über die wahre und falsche Religion“ von 1525. Dabei handelt es sich um eine theologische Hauptschrift des Zürcher Reformators.
73 A.a.O., 239.
74 Ebd. Zwingli denkt hierbei auch an die Täufer, die er (zumindest an dieser Stelle) nicht explizit verdammt.
75 A.a.O., 239f.
76 A.a.O., 240.
77 A.a.O., 240.241.
78 A.a.O. 241ff.250.
79 Barth, KD IV/4, 221.
80 A.a.O., 227.
81 A.a.O., 229.
82 Vgl. a.a.O., 231.
83 Vgl. a.a.O., 233f.
84 A.a.O., 234.
85 Vgl. Die Taufe. Entwurf zur Erprobung, Taufbuch für die Union Evangelischer Kirchen in der EKD – Agende III, Teilband 1 der VELKD für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden, Hannover 2018 (hier: 8-27).
86 Vgl. a.a.O., 8.
87 Vgl. a.a.O., 8f.
88 Vgl. a.a.O., 9f.
89 Vgl. a.a.O., 13-27.
90 Karl Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich 52004, 176.