In Huub Oosterhuis´ Lied "Was leichthin über dich geschrieben steht" wird als Erfahrung mit Gottes Wort formuliert: "Dies große Wort, geschrieben weiß auf schwarz, treu bei uns, wie hat es uns befreit, beschämt, berauscht, getröstet und gereizt." Dass das Gotteswort so wirkt, hat gewiss auch mit seiner Übersetzung zu tun. Nicht nur allgemein hermeneutische Erwägungen der Rezeptionsästhetik, sondern auch die auf Befreiung angelegte Botschaft der Bibel selbst legt eine Übersetzung nahe, bei deren Lektüre es zum Ereignis der Interpretation kommen kann. Dazu bedarf es sprachlicher Verlässlichkeit, Klarheit und Schönheit, auch ausgewogener Kantigkeit und Eleganz.
Nimmt man das Bohei, das um eine Bibelübersetzung gemacht wird, als Maßstab für deren Seriosität, scheut man einen Vergleich zwischen den beiden Werken, die innerhalb eines Jahres erschienen sind: die "Bibel in gerechter Sprache", deren Text und Prinzipien der dreifachen Gerechtigkeit gegenüber Juden, Armen und Frauen in Kirchen, Feuilleton und zuletzt auf dem Kirchentag in Köln heftig umstritten sind, und die Neubearbeitung der Zürcher Bibel, die nach 23jähriger Arbeit – annähernd fünfmal solang wie bei der Bibel in gerechter Sprache! – am 24.Juni 2007 vom Präsidenten des Zürcher Kirchenrats Ruedi Reich präsentiert werden konnte.
Eintausend Gäste hatten sich zur Bibel-Vernissage eingefunden, über zehntausend Bibeln wurden noch im Juni verkauft – und in Deutschland bleiben dieses Ereignis und diese Bibel weitgehend unbeachtet; auf der website der EKD beispielsweise findet sich nur eben eine Notiz. Immerhin hat die FAZ-Feuilletonistin Heike Schmoll, eine der energischsten Kritikerinnen der Bibel in gerechter Sprache, unter dem Titel "Textnah und unideologisch" eine freundliche Besprechung veröffentlicht.
Will man eine Bibelübersetzung bewerten, kann man die ihr zugrunde liegenden Übersetzungsprinzipien vorstellen und an Einzeltexten demonstrieren. Dabei sollten möglichst viele Textsorten berücksichtigt werden. Neben, ja vor allen philologischen Details entsteht indes ein subjektiver Eindruck, zumal die Zürcher Bibel 2007 als literarisches Kunstwerk gesehen werden kann, wie es der Paderborner Alttestamentler Bernhard Lang in seiner NZZ-Rezension tat. Zudem muss gefragt werden nach der Eignung für Gottesdienst und Lehre, private Lektüre, auch für die Seelsorge.
Die Zürcher Bibel 2007 liest sich wie aus einem Guss gearbeitet, und dies ungeachtet der mehr als zwanzig Mitarbeiter; dies unterscheidet sie wohltuend auch von der Bibel in gerechter Sprache, bei der aus der Not eines großen Übersetzerkreises eine Tugend gemacht wird mit der Feststellung, die Bibel auch in ihren Ursprachen sei nicht einheitlich. In der sprachlichen Geschlossenheit der Zürcher Bibel 2007 liegt auch ein Unterschied zur Luther-Übersetzung, die ja eine Momentaufnahme einer Jahrhunderte langen Revisionsgeschichte bietet, während die Zürcher Bibel 2007 eben keine Neubearbeitung der Zürcher Bibel 1931 ist (seinerzeit waren Altes und Neues Testament nicht auf gleichem sprachlichen Niveau). Dem Text der Zürcher Bibel 2007 kommt sichtlich zugute, dass unter den Mitarbeitern nicht nur Exegeten, auch die anderen theologischen Disziplinen vertreten waren, nicht nur Theologen, sondern besonders auch Germanisten mitarbeiteten.
Die erwünschte Urtextnähe hat bisweilen einen Verfremdungs- und Verblüffungseffekt, insofern liturgisch und theologisch vertraute Sprache fortfällt. Besonders im Alten Testament liest sich in der Zürcher Bibel manches konkreter als in der Luther Übersetzung. Beispielsweise lautet der als Trauspruch nicht totzukriegende Satz in Ruth 1,16: "Wohin du gehst, dahin werde auch ich gehen, und wo du übernachtest, da werde auch ich übernachten." Statt des abstrakteren (und durch das Johannes-Evangelium theologisierten) "bleiben" (Luther Übersetzung) das konkrete "übernachten", also gemeinsame Ruhe und Intimität. Das junge Paar, mit dem ich beide Übersetzungen gelesen habe, sagte mir, sie freuten sich schon auf die Traupredigt.
Bleiben wir beim "bleiben": Im Schlussvers von Psalm 23 (Luther Übersetzung: "Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.") wird in der Zürcher Bibel 2007 auf die gewohnte textkritische Änderung verzichtet und so übersetzt: "Ich werde zurückkehren ins Haus des Herrn mein Leben lang." So wird das "Haus des Herrn" konkret als Tempel verstanden, nicht spiritualisiert als Gottesnähe. Statt "frisches Wasser" (Luther Übersetzung) lesen wir "Ruhe am Wasser" – im Hebräischen ist nämlich von Weideplätzen die Rede – und statt "rechte Straße" das buntere "Pfade der Gerechtigkeit". Und genau nachempfunden werden hebräische Syntax und Poesie wie etwa der sogenannte casus pendens "dein Stecken und Stab, sie trösten mich". Sehr schön auch die typographische Darstellung poetischer Passagen bei den Propheten!
Allerdings nötigt die Zürcher Bibel 2007 auch zu bedauerlichen Abschieden von liebgewordenen Worten: Die Zusage Gottes an den Psalmbeter "Ich will dich mit meinen Augen leiten!" (Psalm 32,8 Luther Übersetzung) heißt nun nur noch: "Ich will dir raten, mein Auge wacht über dir." So steht es aber (leider?) im masoretischen Text.
In den Evangelien wirken die Dialoge lebendiger, etwa in Lukas 19,5: "Zachäus, los, komm herunter!" Mit Johannes 1,1 hat sich bekanntlich auch schon Faust herumgeplagt:
Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Faust erwägt noch die Begriffe Kraft und Tat für das griechische logos, die Zürcher Bibel 2007 scheint diese sprachlichen Skrupel zu teilen und übersetzt mit "Wort", um als Apposition sogleich "der Logos" lehnwörtlich hinzuzusetzen; die Fußnote dazu ist aber hilfreich. Im Übrigen ist nach meinem Geschmack bei den Fußnoten in der Zürcher Bibel 2007 des Guten ein wenig zu viel getan worden. Eine gute Idee ist es, biblische Verweisstellen (wie im Nestle-Aland) am Rand zu notieren.
Auch zu Paulus ein gelungenes Beispiel, und zwar der theologisch und sprachlich dickste Brocken des Apostels: Römer 3,21-26 gewinnt durch kluge syntaktische Entscheidungen in der Zürcher Bibel 2007 an Klarheit. Der eine verschwurbelte Megasatz des Apostels wird in mehrere Sätze aufgelöst. Diese glasklare Wiedergabe des locus classicus der Rechtfertigungslehre mag ein wichtigerer Beitrag zu ihrem Verständnis sein als manche voluminöse Monographie. Übrigens ist es erfreulich, dass in den paulinischen Passagen zur Rechtfertigung der umstrittene Begriff pistis Christou richtig mit "Glaube an Christus" übersetzt wird, während hier die Bibel in gerechter Sprache entsprechend der Forschungssituation uneinheitlich übersetzt: neben der richtigen Übersetzung findet sich das modische, aber falsche "Glaube Jesu". Den weiteren wichtigen Begriff in diesem Zusammenhang, das noch umstrittenere erga nomou, gibt die Zürcher Bibel 2007 mit "Tun dessen, was im Gesetz geschrieben steht" wieder; hier kann man füglich auch anders verstehen und in den "Gesetzeswerken" die Vorschriften der Tora, die Halachoth, insbesondere zur Beschneidung, zu den Speisen und zum Sabbat sehen. Sei´s drum!
Über die nicht durchgängig angestrebte phonetische Nähe der Eigennamen zum hebräischen Original (z.B. Achab, aber Saul) kann man streiten – oder es einmal damit versuchen. Den Loccumer Richtlinien für die Schreibung biblischer Eigennamen kommt ja kaum kanonische Bedeutung zu.
Die Einleitungen zu den 66 biblischen Büchern bieten mit knappen bibelkundlichen und historischen Informationen eine gute Orientierung für Nichttheologen. Gleiches gilt für das 150seitige Glossar, das einem Kompendium biblischer Theologie gleichkommt – wobei sich Lutheraner ein wenig wundern werden über das Fehlen eines Artikels "Rechtfertigung", bevor sie unter "Gerechtigkeit" dann doch noch fündig werden. Eine hier nicht zu leistende ausführliche Würdigung ist das Beiprogramm wert, nämlich ein "Reiseführer" durch die Bibel mit historischen Fotos aus den Ländern der Bibel, ein anspruchsvolles Bibelseminar mit gut zwei Dutzend interessant gestalteter Einheiten, ein dreibändiger Kommentar, in dem der Kommentar – gewiss zum Leidwesen der Kommentatoren! – nicht umfangreicher als der kommentierte Text sein durfte, eine Kunstbibel mit 26 suggestiven Schriftbildern von Samuel Buri sowie ein feministisch-theologischer Begleitband. Hoffentlich wird bald die Konkordanz zu Zürcher Bibel 2007 folgen; auch eine elektronische Version wäre wünschenswert.
Hatte ich während meines Theologiestudiums mit der Zürcher Bibel in der Übersetzung von 1931 – im humorigen Theologenjargon früherer Generationen "Codex Z" genannt – gearbeitet und besonders das Alte Testament mit seiner Nähe zur hebräischen Sprache geliebt, hat mich die kirchliche Praxis in Vikariat und Pfarramt zur liturgischen Raison und damit zum Luther-Text gebracht. Keine Frage, dass diese Übersetzung ein hohes und zu pflegendes Kulturgut ist. Oft wird in diesem Zusammenhang mit der prägenden Sprachkraft der Luther Übersetzung argumentiert.
Allerdings haben sich die meisten Formulierungen aus dem kulturellen Gedächtnis unserer Zeitgenossen verflüchtigt, auch der Luther-Text ist, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend unbekannt. Der nun auch in der Neuübersetzung der Zürcher Bibel gewahrten Fremdheit und Rätselhaftigkeit, der sprachlichen Schönheit und Klarheit, kurz: der Faszination der biblischen Texte wegen möchte ich mir einen neuerlichen Wechsel erlauben und meiner Gemeinde zumuten. Meine ersten Erfahrungen in Gottesdienst und Konfirmandenunterricht sind sehr positiv. Ich kann mich also Zwingli anschließen, der die Vorrede der ersten Zürcher Bibel 1531 so schloss: "Wir wöllend euch diss … buoch empfohlen haben fleissyg zeläsen / damit das reych Christi allenthalb ufgange und zuonemme / und die welt gebesseret und fromm werde / Amen."