Jüngst warnte Elisabeth Wehling, die das politische Framing erforscht, vor dem Gebrauch des Wortes „Flüchtling“*. Die Endung „-ling“ mache Menschen klein und werte sie ab. Außerdem sei ein „-ling“ stets männlich und so erscheine „der“ Flüchtling „eher stark als hilfsbedürftig, eher aggressiv als umgänglich“. Das mag widersprüchlich klingen. »Mein Lieb ling – mein Feig ling – mein Ling! Weißt du, was ein Ling ist?«, fragte schon Clarisse in Robert Musils Roman „Mann ohne Eigenschaften“.
Die Diskussion um das Wort aus flüchten/Flucht plus Suffx -ling ist nicht neu, auch nicht der Vorschlag, besser von Geflüchteten zu sprechen oder noch etwas konkreter von einer geflüchteten Frau, einem geflüchteten Mann oder einem geflüchteten Kind. Das Wort Zufluchtsuchende ist auch eine Alternative. In Anlehnung an das englische refugee konnotiert es die Situation der betroffenen Menschen anders: die Schutz Gebenden werden stärker in die Verantwortung genommen.
In biblisch geschulten Ohren klingt das Wort Flüchtling wie Fremdling. Fremdling.eu heißt die Internetseite der Evangelischen Kirche im Rheinland zu Flucht und Asyl. Aus der Erfahrung des Fremdseins – in Ägypten, im Babylonischen Exil profilierte sich die Existenz des „Gottesvolkes“ als Fremdlingsexistenz gegenüber Gott, dem einzigen Besitzer der Erde. Christen sehen ihr Leben als Pilgerschaft. Ihr Bürgerrecht haben sie im Himmel (1 Petr 2,11; Hebr 13,14). Nicht als Ortsansässige, sondern als Beisassen wohnen sie auf Erden. Von ihrem Ursprung her versteht die Kirche sich als Versammlung von Menschen, die als Fremde in der Zerstreuung leben (1 Petr 1,1.17).
Sei’s die gläubige Fremdlingsexistenz, sei’s mein eigener Vorname „Barbara“, die Fremde, was mich im Fremden das Wohltuend andere sehen lässt, ja eine Weitung des Blicks über den eigenen Tellerrand hinaus - einerlei. Problematisch bleibt auch dieses positive Framing vom Fremden.
Das Fremdsein im Wort für die Geflüchteten blendet die Nähe aus, empfindet nicht als erstes, wie gut wir Menschen uns verständigen können ohne eine gemeinsame Sprache, achtet das Gemeinsame zu gering.
Wie sehr das Framing des Fremdlings mich prägt hat, wurde mir erst bewusst, als ich überrascht war, so viel Nähe zu empfinden beim Spielenachmittag in einer Flüchtlingsnotunterkunft. Irgendwie vertraut, wie ein Junge stolz auf Englisch bis sechs zählt, eine Jugendliche mit Kopftuch mich beim „Mensch ärgere dich nicht“ ohne Schulterzucken kurz vorm Ziel hinauswirft, ein Vater sanft, aber bestimmt seine Hand über das aus Bauklötzen geformte Gewehr legt, als sein dreijähriger Sohn auf die Menschen am Nachbartisch zielt.
„Nennt mich nicht Flüchtling“, schrieb Hannah Arendt 1943.
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