... so heißt es einprägsam in der vor 80 Jahren verabschiedeten Theologischen Erklärung von Barmen. Sechsmal werden mit dieser Formulierung die Überzeugungen der „Deutschen Christen“ als Irrlehren enttarnt, Irrlehren im Sinne von Behauptungen, die mit dem christlichen Glauben unvereinbar sind. 1934 gibt es noch kein Auschwitz und noch keinen Zweiten Weltkrieg, aber die christlich verbrämte Nazi-Ideologie der „Deutschen Christen“ wird ohne Umschweife als „falsche Lehre“ verworfen. Weit über Deutschland hinaus und noch Jahrzehnte später wirken diese Formulierungen nach. Die Thesen der Bekenntnissynode von Barmen haben nichts an Brisanz und Aktualität eingebüßt. Wo immer es gilt, sich als bekennende Kirche gegen den Totalitätsanspruch einer Diktatur, einer Gesellschaftsordnung oder einer Ideologie zu behaupten, wird die Erinnerung an Barmen wach.
Das hat vor 10 Jahren auch die in Accra (Ghana) versammelte Vollversammlung des reformierten Weltbundes so erfahren. „Angesichts wirtschaftlicher Ungerechtigkeit und ökologischer Zerstörung“ wurde um Formulierungen für eine Glaubensverpflichtung gerungen. „Die Frage der globalen wirtschaftlichen Gerechtigkeit“ hatte man als entscheidende Glaubensfrage erkannt und so kam man nicht umhin, auf die einprägsame Formulierung von Barmen zurückzugreifen: „Wir verwerfen…“. Die Ideologie, die „den Profit über die Menschen stellt“ und „jene Gaben Gottes, die für alle bestimmt sind, zum Privateigentum erklärt“ sollte als Irrlehre verworfen werden.
So heißt es in der englischen Originalfassung des Bekenntnistextes von Accra zehnmal „we reject“, dieselbe Verbform, mit der auch in den Barmer Thesen das deutsche „wir verwerfen“ wiedergegeben wird. Der Anklang an Barmen war von den Autoren ausdrücklich beabsichtigt, und ebenso absichtlich hat man ihn aus der offiziellen deutschen Übersetzung entfernt. Dort liest man jetzt: „wir sagen Nein“.
Das zentrale Anliegen des Textes von Accra war die Entlarvung der herrschenden ökonomischen Ideologie als pseudoreligiöse Irrlehre, die mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar ist. In Europa und Nordamerika wurde diese Unternehmung überwiegend mit Skepsis aufgenommen. Sollte der Neoliberalismus mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe gestellt werden? Konnte man eine ökonomische Lehre im theologischen Sinne als Irrlehre bezeichnen? Können Fragen der Weltwirtschaftsordnung wirklich als „grundlegende Glaubensfragen“ bezeichnet werden?
Schon 1984, also 50 Jahre nach Barmen, hatte eine „Versammlung von Christen“ aus dem Umfeld der Evangelischen Studentengemeinden erklärt: „wir treten der Vergötzung des westlich-kapitalistischen Wirtschaftssystems entgegen, wie es sich in der Strategie des totalen Marktes mit ihrer menschenvernichtenden Auswirkung darstellt…“
Inzwischen haben wir eine Weltfinanz- und Bankenkrise mit verheerenden Folgen vor allem für die Ärmsten auf unserem Planeten erlebt. Der Glaube daran, dass der Markt sich selber heilt, ist geplatzt. Die Heilsversprechen der Privatisierungsbefürworter klingen heute hohler denn je; die Machenschaften der Großbanken und der Ratingagenturen sind entlarvt. Die Gegner einer Regulierung der Finanzmärkte sind kleinlaut geworden. Vieles von dem, was vor 30 Jahren in Wuppertal und vor 10 Jahren in Accra geschrieben wurde, hat sich als „prophetisch“ erwiesen.
Vom 2. bis 5. November wurde mit einer internationalen Tagung in Hannover an die Entstehung des Bekenntnisses von Accra vor 10 Jahren erinnert. Die Weltgemeinschaft reformierter Kirchen hatte dazu eingeladen und Delegierte aus aller Welt aufgefordert, Bilanz zu ziehen, danach zu fragen, was sich seit 2004 geändert hat und welchen Themen man sich im Geist der Bekenntnisverpflichtung von Accra konkret zuwenden will. In der Tat, es hat sich in den letzten 10 Jahren manches geändert. Man denke an die Rolle Chinas und Russlands auf der Weltbühne, aber auch an die Konfrontation des Westens mit dem Islam. Und dennoch bleiben die Erkenntnisse von Accra aktuell. Die ungerechte Weltwirtschaftsordnung ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist weder gottgewollt noch naturgegeben. Sie wird von Menschen gestaltet, gesteuert, verteidigt, die sich davon einen Gewinn versprechen, die Hungernöte, Kriege und auch Klimakatastrophen als Kollateralschäden in Kauf nehmen und ihre Ideologie als Heilslehre verbreiten.
Der Impuls, der von Accra ausgegangen ist, wirkt weiter in den Bemühungen der Ökumene, eine Wirtschaft im Dienst des Lebens (economy of life) zu beschreiben. Es ist inzwischen bei den Kirchen weltweit und auch in Deutschland angekommen, dass die Frage der globalen wirtschaftlichen Gerechtigkeit im Sinne von Accra eine entscheidende Glaubensfrage ist. Darum sind die Mitgliedskirchen des ÖRK auf der Suche nach einer neuen ökonomischen und finanziellen Architektur (New economic and Financial Architecture), die sich gegen strukturelle Gier und Ungerechtigkeit abgrenzt. Für die reformierte Weltgemeinschaft ist das keine Nebensache, denn mit den Worten von Accra bekennt sie:
„Wir glauben, dass die Integrität unseres Glaubens auf dem Spiel steht, wenn wir uns gegenüber dem heute geltenden System der neoliberalen wirtschaftlichen Globalisierung ausschweigen oder untätig verhalten“.
Paul Oppenheim, 12. November 2014
Fotos von der internationalen Konsultation in Hannover:
Pfarrerin Lilly Kudzai Phiri
aus Sambia
Robert Jordan aus Großbritannien